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Polen: Fast 60 Prozent blieben den Urnen fern

Von Maria Graczyk

Europaarchiv

Warschau. (APA) Die Polen sind mehrheitlich (fast 60 Prozent der über 27 Millionen Wahlberechtigten) den Wahlurnen ferngeblieben. Nach 16 Jahren Transformation sind die meisten von der Politik tief enttäuscht. Von einer neuen Regierung erwarten sie vor allem die Verwirklichung der Träume der "Solidarnosc"-Zeit - von einem ehrlichen Staat und einer klugen, pragmatischen Regierung.


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Manche Polen haben darauf gewartet, die anderen davor gewarnt - die Zeit der von der konservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) angekündigten vierten Rzeczpospolita (Republik) ist gekommen. Vor allem der Wahlsieger PiS hat versprochen, den "dicken Strich" unter die kommunistische Vergangenheit aufzuheben - und eine echte Bewältigung in Gang zu bringen. Sowohl die PiS wie auch PO wollen die Geheimdienstakten öffnen, aufarbeiten und zugänglich machen. Die beiden künftigen Koalitionspartner sind sich auch einig, die herrschende Korruption auszumerzen und neuen Affären vorzubeugen.

Wie die von der PiS versprochene Politik aussehen wird, kann noch nicht beurteilt werden. Klar ist, dass die Dritte Republik, jene der Wende seit 1989, zu Ende ist und eine Vierte Republik, in der laut PiS der Postkommunismus überwunden werden soll, anbricht. (Die erste Republik endete mit der Teilung Polens Ende des 18. Jahrhunderts. Die zweite Rzeczpospolita Polska, RP, herrschte zwischen dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg. Die dritte RP kam nach der Wende, Anm.).

Die Polen sind der Korruptionsaffären - mit ihrem Höhepunkt unter der postkommunistischen Linksregierung in den letzten vier Jahren - und auch der Streitereien unter den ehemaligen Verbündeten auf der rechten Seite müde. Wahrscheinlich hätten die beiden siegreichen Parteien die noch vor zwei Wochen prognostizierte absolute Mehrheit im nächsten Parlament bekommen können. Der harte Wahlkampf der letzten Tage kostete sie aber einige Mandate. Die konservative Partei der Zwillinge Lech und Jaroslaw Kaczynski (PiS) hatte kurz vor der Wahl schwere Attacken gegen ihren künftigen Koalitionspartner PO geritten: Sie hätten kein einheitliches Wirtschaftsprogramm und ihre Steuerpolitik (darunter eine Flat Tax in Höhe von 15 Prozent) führe zu massiven Preissteigerungen, hieß es.

Viele Polen hatten Angst vor den wirtschaftsliberalen Reformvorschlägen der Bürgerplattform (PO). Diejenigen, welche die Idee mit der Flat Tax entweder zu riskant oder zu ungerecht fanden, können jetzt ruhig schlafen. Die Postkommunisten hatten wiederum Angst, dass eine dominierende Rolle der konservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) eine Hexenjagd bedeuten würde. Von einer echten Dominanz der PiS kann jetzt aber nicht die Rede sein.

Die mit der Europäischen Union verbundenen Ängste haben sich im Laufe des letzten Jahres nicht bewahrheitet. "Die meisten Polen sind mit der EU-Mitgliedschaft zufrieden, was auch die Parlamentswahlen gezeigt haben - die PO bekam eine erstaunlich große Unterstützung auf dem Lande", unterstreicht Roman Gutkowski, Chefredaktor der Website über die europäische Politik (www.europolityka.pl). Die Wähler erwarten nun eine schnell gebildete, kompetente und ehrliche Regierung. Dies haben beide Sieger den Polen versprochen.