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"Polen muss europäisch handeln"

Von WZ-Korrespondent Wolfgang Tucek

Europaarchiv

Margot Wallström: Keine Einigung wäre Rückschritt. | Bürger stehen mehrheitlich hinter Reform. | "Wiener Zeitung":Einige europäische Spitzenpolitiker haben sich trotz aller Probleme zuversichtlich gezeigt, beim EU-Gipfel eine Einigung auf einen neuen EU-Vertrag zustande zu bringen. Teilen Sie diese Zuversicht?


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Margot Wallström: Wir können nicht absolut zuversichtlich sein. Aber der politische Wille der Mitgliedsstaaten für eine Lösung ist da, und wir haben viel zu verlieren, wenn wir scheitern. Dann bleibt es nicht beim Status Quo, sondern wir werden einen Rückschritt erleben. So kann ich mir nicht vorstellen, dass jemand der Schwarze Peter sein möchte.

Polen läuft also Gefahr, der Schwarze Peter der EU zu sein?

Das Risiko ist natürlich größer, wenn man Themen so auswählt, dass man sehr isoliert ist, weil alle anderen Mitgliedsstaaten sie nicht diskutieren wollen. Aber wir brauchen die Ratifizierung durch alle Länder. Wenn wir keine Einigung haben, gibt es keine Gewinner sondern nur Verlierer.

Wieso wäre keine Einigung ein Rückschritt?

Wir würden Vertrauen verlieren - bei unseren Bürgern und beim Rest der Welt wie Russland, China oder den USA. Die werden zu Recht sagen: Ihr könnt euch nicht einmal darauf einigen, effizienter Entscheidungen zu treffen und habt weiterhin keinen außenpolitischen Ansprechpartner. Denn das Ziel des Vertrags ist ja, die EU für das 21. Jahrhundert bereit und zu einem stärkeren Spieler auf der Weltbühne zu machen.

Wie wollen Sie die polnische Regierung zum Einlenken bewegen?

Polen ist ein großer, moderner Mitgliedsstaat und will eine konstruktive Rolle im europäischen Projekt spielen. Dann muss es auch seine Verantwortung wahrnehmen und europäisch handeln statt nur seine nationalen Interessen zu vertreten. Es ist eine bessere Idee, den Bürgern zu erklären, warum sie als Europäer handeln müssen, als warum man für das Quadratwurzelsystem sterben sollte.

Warschau findet, das Quadratwurzelsystem sei fairer und daher europäischer als das vorgesehene Modell der doppelten Mehrheit.

Aber wir fangen ja nicht ganz von vorne an. Der Verfassungsvertrag wurde inklusive der Vorbereitungszeit über zehn Jahre verhandelt. Er wurde von allen Mitgliedsstaaten akzeptiert und unterzeichnet. Wenn sie das Paket jetzt aufmachen, werden auch andere Mitglieder mit ihren Vorschlägen kommen, die Büchse der Pandora wäre geöffnet. Daher wollen fast alle EU-Länder davon Abstand nehmen.

Also muss die Einigung jetzt gelingen.

Wir haben jetzt ein Zeitfenster. Die letzte Eurobarometer-Umfrage zeigt, dass es wachsendes Vertrauen nicht nur in die europäische Wirtschaft sondern auch in die EU-Institutionen gibt. Die Erwartungen der Bürger sind sehr klar. Sie wollen, dass die EU bei der Energie, dem Klimawandel, der Migration und all diesen Problemen tätig wird. Das ist eine gute Plattform. Darauf sollten wir bauen.

Ist da die deutsche Strategie richtig, alle Verhandlungen hinter verschlossenen Türen zu führen?

Bis zu einem gewissen Grad muss das so sein. Niemand will öffentlich in die Ecke gedrängt werden. Dann kann es keine Einigung geben. Das Risiko ist allerdings, dass die Gegner des Projekts das ausnützen und sagen: Da seht ihr, wie sie arbeiten: Sie machen sich alles im Verborgenen aus. Daher muss jede Regierung parallel dazu den Medien, den politischen Parteien und der Zivilgesellschaft erklären, was ihre Bedenken, Wünsche und Ziele sind. Das ist übrigens schwieriger für jene Länder, die den Text bereits ratifiziert haben.

Finden Sie es gut, dass neue Referenden möglichst vermieden werden sollen?

Referenden vermeiden zu wollen, ist eine sehr schlechte Strategie. Wie auch immer Sie einen neuen Vertrag ratifizieren, Sie müssen mit den Bürgern sprechen. Sie müssen sie motivieren, ihnen ins Gesicht sehen und ihnen Rechenschaft ablegen. Den Bürgern muss erklärt werden, warum wir den Vertrag brauchen - etwa weil wir in so kurzer Zeit so stark erweitert haben. Sie müssen wissen, wer wofür zuständig sein soll, wie wir die Demokratie und nationale Parlamente Schritt für Schritt stärken und welche neuen Elemente Bedeutung haben, die im Verfassungsvertrag gar nicht vorkommen - etwa Energiepolitik.

Was hat der einzelne Bürger nun vom neuen Vertrag?

Zuallererst die Möglichkeit zur aktiven Teilnahme an der Gestaltung der EU. Wenn er eine Initiative ergreift, die durch eine Million Unterschriften unterstützt wird, muss sie aufgegriffen werden.