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Polen muss inmitten kollektiver Trauer das Leben im Staat neu ordnen

Von Martyna Czarnowska

Analysen

Der Schreck wird länger dauern als die Schweigeminute und länger als die Woche der Staatstrauer. Bei allen Spekulationen über personelle Verschiebungen in der Parteienlandschaft, bei allen Versicherungen, dass der Staat funktionsfähig geblieben ist - welche Auswirkungen der Tod des polnischen Präsidenten Lech Kaczynski und 95 weiterer Menschen auf die Politik des Landes haben wird, kann noch niemand sagen. Zu viele Fragen sind offen, zu viele Entscheidungen müssen getroffen werden.


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Offensichtlich ist bloß, dass fürs erste das alltagspolitische Hickhack in den Hintergrund gerückt ist. Die nationale Trauer überdeckt so manches Konfliktfeld - zwischen den Parteien aber auch zwischen dem Premier und dem ehemaligen Präsidenten. Schon bald aber wird wieder Wahlkampfstimmung ausbrechen. Auch das Tauziehen um die Posten, die nach der Flugzeugkatastrophe interimistisch besetzt wurden, wird nicht ausbleiben.

Zunächst muss PiS (Recht und Gerechtigkeit), die von den Zwillingen Jaroslaw und Lech Kaczynski gegründete rechtskonservative Partei, festlegen, wen sie als Präsidentschaftskandidaten aufstellen wird. Das gilt ebenso für die sozialistische Linksdemokratie, deren Kandidat bei dem Absturz ebenfalls ums Leben gekommen ist. Schon gibt es Gerüchte, dass sich Ex-Premier Jaroslaw Kaczynski um das Amt des Staatschefs bewerben könnte. Unklar ist aber, wer dann den Vorsitz der Partei übernehmen sollte, die Kaczynski mit kaum offen hinterfragter Autorität führt.

Für den europapolitischen Kurs der Rechtspartei, der von Misstrauen gegenüber werteliberalen Tendenzen geprägt ist, werden mögliche Verschiebungen hingegen wohl kaum Folgen haben. Die Skepsis wird bleiben, ebenso wie das Pochen auf Polens Interessen, die die EU nicht untergraben dürfe.

Das hat immer wieder zu Zwistigkeiten mit Premier Donald Tusk und seiner Bürgerplattform (PO) geführt, wobei allerdings oft vergessen wird, dass auch die jetzige Regierungspartei nicht frei von nationalen Dünkeln ist. Immerhin war sie es, die mit dem Schlachtruf "Nizza oder der Tod" in den Kampf gegen den europäischen Vertrag von Lissabon gezogen war. Nachdem sie ihren Kurs geändert hatte, hat dann wiederum Präsident Kaczynski die Unterzeichnung des Dokuments hinausgezögert.

Er war es auch, der Slawomir Skrzypek zum Präsidenten der polnischen Nationalbank ernannte. Beide waren gegen eine rasche Euro-Einführung in Polen. Skrzypek ist ebenfalls beim Flugzeugabsturz umgekommen. Sein Nachfolger könnte offener für die Wünsche der Regierung sein. Die will Polen bald in die Eurozone führen.

Siehe auch:Polen: Wahlen spätestens Ende Juni