Warschau - Immer wieder sind im Programm des privaten polnischen Nachrichtensenders TVN 24 die Bilder der nationalen Wallfahrt der Polen nach Rom zu sehen. "Europa braucht Polen, Polen braucht Europa." Die mit fester Stimme vorgetragenen Worte von Papst Johannes Paul II., dem einstigen Krakauer Erzbischof Karol Wojtyla, kommen vor dem Referendum der Polen über den EU-Beitritt am 7. und 8. Juni besonders gelegen. Im Werben um Zustimmung der Polen zur EU wird auch der Papst, für die Mehrheit der Polen die höchste moralische Autorität, zum Helfer der EU-Befürworter.
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Lange schien es, als sei ein positiver Ausgang des Referendums oder auch nur die notwendige Wahlbeteiligung von 50 Prozent gefährdet. Als der Papst vor 20.000 Landsleuten, darunter Staatspräsident Aleksander Kwasniewski, betonte, dass Polen sich nicht aus Europa ausschließen dürfe, waren polnische EU-Befürworter mehr als erfreut. "Diese Stellungnahme dürfte auch bei den größten Skeptikern keinen Zweifel aufkommen lassen", sagte EU-Ministerin Danuta Hübner.
"Bisher stand ich vor einem Dilemma, aber nun fällt mir die Wahl leicht", gestand eine polnische Pilgerin auf dem Petersplatz vor Fernsehkameras. "Natürlich werde ich jetzt für den Beitritt stimmen."
Seit gut einem Jahr laufen in Polen gleich mehrere Kampagnen, um über die Chancen des polnischen EU-Beitritts zu informieren, Ängste abzubauen und für eine Zustimmung im Referendum zu werben. Nicht nur die Regierung, auch mehrere Oppositionsgruppen haben mobil gemacht. Staatsoberhaupt Kwasniewski und seine äußerst beliebte Frau Jolanta bekennen auf Plakatwänden im ganzen Land "Ich bin ein Europäer", und in diesen Wochen ist Kwasniewski fast täglich in der polnischen Provinz unterwegs. Es ist Wahlkampf - ein Kampf um das Ja zu Europa.
Prominente Hilfe aus dem Ausland wird gern gesehen. Günter Verheugen, EU-Erweiterungskommissar, kam zum Start von Kwasniewskis EU-Kampagne, EU-Kommissionspräsident Romano Prodi begleitete Ministerpräsident Leszek Miller in das zentralpolnische Siedlce, um mit den Bürgern über den EU-Beitritt zu diskutieren. Das Gipfeltreffen des "Weimarer Dreiecks" im niederschlesischen Breslau (Wroclaw) stand Anfang Mai ganz im Zeichen eines Europa-Festes. Als Bundeskanzler Gerhard Schröder und der französische Staatspräsident Jacques Chirac mit Kwasniewski zusammentrafen, jubelten hunderte Breslauer, die auf europablauen Plaketten bekannten: "Polen in die EU - ich sage Ja".
Die Kampagnen bleiben nicht ohne Wirkung. Fast vier Fünftel der Polen (79 Prozent) wollen einer Umfrage zufolge an dem Referendum teilnehmen. Die Mehrheit der Befragten, nämlich 74 Prozent, will für den Beitritt stimmen, nur 15 Prozent gaben an, mit Nein stimmen zu wollen.
Die Euroskeptiker sehen sich zunehmend unter Druck. "Ich bin ja gar nicht gegen die Integration", versuchte der streitbare Bauernführer Andrzej Lepper zu beschwichtigen. Aber die Bedingungen des Beitritts müssten neu verhandelt werden.
In der Warschauer Innenstadt dagegen hält ein kleines Grüppchen meist älterer Demonstranten Transparente hoch, auf denen sie fordern: "Sagt Nein zu den Verrätern." Der Beitritt zur EU löst bei ihnen tiefe Ängste aus. "Abtreibung, Unmoral und sogar Hochzeiten zwischen Homosexuellen - so etwas wollen wir nicht!", ereifert sich eine Frau. Ein anderer Demonstrant umklammert sein Plakat. "Heiliger Vater! Sie wollen unser Land verkaufen!", heißt es darauf anklagend, trotz der Papst-Worte aus Rom.