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Polens Demokratie ist nicht in Gefahr

Von Wojciech Przybylski

Gastkommentare
Wojciech Przybylski ist Vorsitzender der Res Publica Foundation in Warschau und Chefredakteur des paneuropäischen Online-Magazins "Eurozine" (www.eurozine.com).

Eine unreflektierte Kritik der neuen Machtverhältnisse nach dem Wahlsieg der PiS kann nur Radikalismen begünstigen.


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Vor der Parlamentswahl hieß es in Polens Medien, die Demokratie könnte gefährdet sein, und internationale Medien spekulierten über verschiedene Entwicklungsmöglichkeiten Polens. Die Wahl am Sonntag verlief ruhig, mit einer für Polen üblichen Beteiligungsquote. Die Unterstützung für bisherige Regierungspartei PO (Bürgerplattform) ist dramatisch gesunken: um etwa 16 Prozentpunkte.

Die PO hat als bis dato einzige Partei nach 1989 zwei Amtszeiten lang regiert. Dieser Doppelsieg war das Werk Donald Tusks, der vor einem Jahr die Staats- und Parteiführung abgab, um Präsident des Europäischen Rates zu werden. Diesen Führungswechsel hat die PO nicht überwunden. Vor fünf Monaten setzte es eine Niederlage in der Präsidentschaftswahl, jetzt in der Parlamentswahl. Warum?

Den Führungsstil von Premierministerin Ewa Kopacz kann man kritisch beurteilen - er reicht aber nicht als Erklärung dieser Niederlagen aus. Polen ist wirtschaftlich stabil, die Arbeitslosigkeit sinkt, die internationale Position sorgt für ein gewisses Sicherheitsgefühl und die Werte zu sozialer Ungleichheit, Korruption und Bildung sind in Ordnung. Die Oppositionspartei PiS (Recht und Gerechtigkeit) gewann jedoch mit der These, dies sei in Wirklichkeit anders, ganze 10 Prozentpunkte dazu und damit auch die Wahl.

Das Gespött, das vormals der PiS galt, gilt nun der PO.

Die neue Regierung wird die eher klaren Richtlinien aus dem PiS-Programm widerspiegeln. Diese entsprechen den demokratischen Reformtendenzen, die allgemein in Europa beobachtbar sind. Der Grund für die Angst vieler Polen vor PiS ist nicht deren politisches Programm, sondern die freche Rhetorik: voller Komplexe, ohne diplomatisches Taktgefühl, überzeugt davon, die Wahrheit für sich gepachtet zu haben. Zum Schreckensszenario nach der Wahl gehören eine Übernahme der öffentlich-rechtlichen Medien, eine potenzielle Politisierung des Justizsystems und eine schwächere Position im EU-Parlament (wo PiS der Minderheitsfraktion der Konservativen und Reformer angehört). Der xenophobe Unterton wird die Isolation vertiefen. Ein großes Problem stellen auch die teuren sozialen Versprechungen dar, die die finanzielle Glaubwürdigkeit der polnischen Wirtschaft in Frage stellen könnten.

Es ist aber noch zu früh, um darüber zu urteilen. Man darf nicht vergessen, dass manche der ökonomisch liberalsten Reformen gerade die damalige PiS-Regierung durchgeführt hat. Eine Schwierigkeit wird darin bestehen, von der aggressiven Wahlkampfsprache abzukommen. Jaroslaw Kaczynski hat nach der Wahl seine Anhänger bereits zu einer weniger aggressiven Rhetorik aufgerufen.

Im Gegensatz zu den meisten Kommentatoren sehe ich Polens Demokratie nicht gefährdet. Sie hat jetzt sogar die Chance auf eine Erneuerung: Einige neue Parteien haben die politische Szene betreten. Für die PiS werden zwar die alten Abgeordneten im Parlament sitzen, es wird aber auch eine ganz neue Generation an Politikern ebendort politische Erfahrung sammeln. Offen bleibt die Frage, welche Rolle die neuen Parteien in der kommenden Amtszeit spielen und ob sie die Zeit bis zur nächsten Wahl überstehen.

Übersetzung: Joanna Marszalek