Das Ringen zwischen Warschau und Brüssel um die Rechtsstaatlichkeit stellt die nationalkonservative Regierung auf die Probe.
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Rechtswidrige Erpressung, aggressives Verhalten, Kolonialherren-Mentalität: So lauten einige der Anschuldigungen an die Europäische Union und vor allem an den Europäischen Gerichtshof (EuGH). Geäußert hat sie der Justizminister und gleichzeitig Generalstaatsanwalt eines EU-Landes: Zbigniew Ziobro.
Dass Polens nationalkonservative Regierungsvertreter den EU-Institutionen diktatorische Gelüste und nicht zuletzt Doppelmoral bei der Unterscheidung zwischen west- und osteuropäischen Mitgliedern vorwerfen, ist zwar nicht neu. Doch gerade der Justizstreit zwischen Warschau und Brüssel sowie Luxemburg, dem Sitz des EuGH, hat sich in den vergangenen Wochen verschärft.
Seit Jahren schon sorgen die Justizreformen in Polen für Streit, wird um die Unabhängigkeit der Richter gerungen. Der EuGH hat bereits mehrere Verstöße gegen das Unionsrecht festgestellt und zuletzt das Land aufgefordert, die Arbeit der Disziplinarkammer des Obersten Gerichts einzustellen. Beinahe parallel dazu ist das Verfassungstribunal in Warschau zu dem Schluss gekommen, dass Polen keineswegs allen Verfügungen des EuGH folgen müsse.
Diese Pattsituation will die EU-Kommission nun mit einem Ultimatum auflösen: Bis 16. August muss Polen eine Stellungnahme übersenden, wie mit der Disziplinarkammer umzugehen ist. Andernfalls können Strafzahlungen verhängt werden.
Für Justizminister Ziobro wäre das kein Grund für einen Rückzieher - oder, wie er es formuliert, der "Erpressung" nachzugeben. "Polen sollte in keinem Bereich rechtswidrige Urteile respektieren", sagte er im Interview mit der Tageszeitung "Rzeczpospolita". Der EuGH handle nämlich nicht nach rechtlichen, sondern politischen Kriterien und orientiere sich vor allem an den Interessen der stärksten EU-Mitglieder.
"EU-Mitgliedschaft nicht um jeden Preis"
Laut Ziobro seien Polen und Ungarn die Opfer einer "brutalen politischen Attacke" seitens der EU-Institutionen, weil die zwei Länder mit ihren Vorstellungen von der Union und deren Werten dem "europäischen Mainstream" und vor allem der "deutschen Vision" davon entgegenstehen. Polen sollte gegenüber dem EuGH nicht nachgeben: Würde es das heute im Justizbereich tun, könnte der EuGH morgen Polen beispielsweise dazu verpflichten, Homo-Ehen einzuführen. Daher müsse die EU-Mitgliedschaft nicht um jeden Preis, wie die Aufgabe der Eigenständigkeit, beibehalten werden.
Die scharfen Aussagen sind teilweise innenpolitischen Reibereien geschuldet. Ziobros ultrakonservative Gruppierung "Solidarisches Polen" und eine weitere kleine Fraktion bilden mit der größten Regierungspartei PiS (Recht und Gerechtigkeit) eine Koalition. Die Risse in dem Bündnis sind unübersehbar, ebenso die Rivalität zwischen Ziobro und Premier Mateusz Morawiecki, dem der Justizminister im Interview zu viel Kompromissbereitschaft gegenüber der EU vorwirft.
Die Kritik des Oberstaatsanwalts am EU-Gericht macht aber auch den tiefen Konflikt mit der Union deutlich, in dem sich Polen mittlerweile beim Thema Rechtsstaatlichkeit befindet. Zusätzlich soll das Verfassungstribunal in Warschau bald darüber entscheiden, ob EU-Recht immer Vorrang vor nationalen Regelungen hat - was als fundamentaler Grundsatz der Union gilt. Die Beantwortung dieser heiklen Frage haben die Verfassungsrichter schon mehrmals verschoben; eine Verhandlung steht nun Ende August an.
Eine Antwort darauf hat übrigens der slowenische Premier Janez Jansa, der wiederum große Sympathien für seinen ungarischen Amtskollegen Viktor Orban hegt. Der polnischen Presseagentur PAP erklärte Jansa: "Das EU-Recht steht über den nationalen Gesetzen, hat aber keinen Vorrang vor den Verfassungen der Mitgliedstaaten." Slowenien hat derzeit den EU-Vorsitz inne.