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Es ist keine rasche Einigung im Zwist um Verfassungsgericht in Warschau in Sicht.
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Brüssel/Warschau. Nein, von einem Ultimatum sei niemals die Rede gewesen. Vielmehr sei "konstruktiver Dialog" angesagt. Auf diese Formulierung legte die EU-Kommission großen Wert - auch noch an dem Tag, als sie eine Entscheidung über das weitere Vorgehen gegenüber Polen treffen wollte. Anfang des Jahres hat die Brüsseler Behörde wegen des Streits um das Verfassungsgericht in Warschau eine Prüfung der Rechtsstaatlichkeit eingeleitet; mögliche weitere Schritte sollte Vizepräsident Frans Timmermans gestern, Montag, bekanntgeben.
Ein Ultimatum aber sei das keineswegs, versicherte ein Sprecher der Kommission bis zuletzt. Und bis in den Abend dauerten die Gespräche zwischen Brüssel und Warschau an. Es geht um eine formelle Stellungnahme der Kommission, in der diese ihre Vorwürfe darlegt. Die polnische Regierung hat dann zwei Wochen Zeit, darauf zu antworten.
So lange hat sie aber nicht gewartet. Schon am Wochenende schaukelten sich die Emotionen in Warschau hoch. Im Sejm, in Polens Parlament, wetterte Premierministerin Beata Szydlo von der nationalkonservativen Partei PiS (Recht und Gerechtigkeit) gegen die Einmischung von außen. Ihre Regierung werde es nicht zulassen, "dass den Polen der Wille eines anderen aufgezwungen wird". Es folgte eine Entschließung, dass das Land ein souveräner Staat sei.
Scharfe Worte kamen dann auch gestern, Montag, von Außenminister Witold Waszczykowski. Am Rande eines Treffens mit Amtskollegen in Brüssel erklärte er, dass das Vorgehen der Kommission über das EU-Recht hinausgehe. "Nicht für so eine Union haben wir beim Beitritts-Referendum gestimmt", befand er.
Doch auch inhaltlich ist eine rasche Lösung des Zwistes nicht absehbar. Denn die polnische Regierung weigert sich, wichtige Urteile des Verfassungsgerichts zu veröffentlichen. Dem Tribunal droht eine Lähmung: Eine von PiS geplante Reform sieht unter anderem vor, dass die Richter Beschlüsse mit Zwei-Drittel-Mehrheit fassen und Fälle chronologisch statt nach ihrer Bedeutung bearbeiten müssen. Diese Änderungen in eigner Sache hat der Gerichtshof als verfassungswidrig bezeichnet - was aber eben nicht veröffentlicht wird. Hinzu kommen umstrittene Postenbesetzungen: Präsident Andrzej Duda, selbst aus den PiS-Reihen kommend, hat die Vereidigung einiger der Regierung nicht genehmer Richter verhindert und stattdessen andere Amtsträger angelobt.
Proteste auf den Straßen
Das Tempo und die Entschlossenheit, mit denen das Kabinett von Premier Szydlo seit dem Amtsantritt vor gut einem halben Jahr Reformen im Namen einer "guten Änderung" des Staates durchsetzt, löst aber mehr noch als im Ausland in Polen selbst Unruhe aus. Oppositionsparteien wie die frühere Regierungsfraktion PO (Bürgerplattform) oder die liberale Gruppierung Nowoczesna werfen PiS vor, das Recht zu brechen sowie Chaos zu schaffen. Die Zivilgesellschaft hat sich ebenfalls schon formiert: Vor gut zwei Wochen gingen hunderttausende Menschen in Warschau auf die Straße, um gegen das Vorgehen der Regierung zu demonstrieren.
Jedoch müht sich die Kommission, so wenig wie möglich zu einer Eskalation beizutragen. Sie dürfte dabei Rücksicht nicht nur auf die Befindlichkeiten in Polen sondern auch in anderen Staaten nehmen. Maßnahmen, die die EU-Skepsis in Europa schüren könnten, sind nämlich kurz vor dem britischen Referendum über den Verbleib in der Union riskant.
Aber auch abgesehen davon, ist eine drastische Verschärfung des Verfahrens zur Prüfung der Rechtsstaatlichkeit nicht in Reichweite. Nach der Verwarnung durch die Kommission und der Stellungnahme der polnischen Regierung wäre die nächste Stufe, dass die Brüsseler Behörde eine Empfehlung abgibt, wie die kritisierten Mängel abzustellen wären. Erst wenn das ohne Reaktion bleibt, könnten Sanktionen verhängt werden, die bis zum Entzug des Stimmrechts etwa bei Ministersitzungen reichen.