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Polit-Extremisten tragen Gewalt auf die Straße

Von Ioannis Seferiadis aus Athen

Europaarchiv

Neofaschistische Morgenröte droht Gegnern mit Straßenschlachten.


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Athen. "Um den unentschlossenen griechischen Wählern ein wenig zu helfen: Heute müssen sie zwischen zwei (deutlichen) Auswegen aus der Krise wählen: 1. Möge Gott uns helfen; 2. Mit Geld kann man Liebe nicht kaufen." Das war einer der vielen Witze, die am vergangenen Sonntag, dem Tag der Wahl, in Griechenland die Runde machten. Mit seiner Wahlentscheidung hat das griechische Volk klargestellt, dass es eine Regierungskoalition will, die für ein neues Memorandum - also den von den Geldgebern verordneten Sparkurs - einsteht, aber auch eine sehr starke Opposition, die dagegen ist.

Im Laufe der vergangenen Monate sind Gewaltakte gegen Politiker (wie die abfällige "Moutza"-Geste - offene Hand mit gespreizten Fingern -, oder das Bewerfen mit Joghurt) sehr selten geworden. Niemand hat mehr vor dem Parlament demonstriert, obwohl sich die Rezession weiter verschlimmert hat und die Arbeitslosigkeit erneut gestiegen ist.

Trotzdem werden bestimmte Gewaltakte von einigen Leuten mittlerweile als "sozial akzeptabel" angesehen - sogar soweit, dass für sie diese Selbstjustiz zu einer Bewegung geworden ist und kein Verbrechen mehr darstellt. Der "gerechtfertigte Ärger" wurde in Wahlentscheidungen übersetzt, Gewalt auf der Straße ausgelassen.

Manche Griechen - erschöpft, verängstigt und innerlich gespalten - hielten Anti-Nazi-Flaggen gegen Deutschland hoch. Sie verlangten Kriegsentschädigung für die Zeit des Zweiten Weltkriegs. Gleichzeitig wählten sie eine Nazi-Partei (Goldene Morgenröte), die Gewalt gegen Immigranten zu unserem Alltag gemacht hat.

Optimisten hatten gedacht, der hohe Wähleranteil (sieben Prozent), der sich am 6. Mai für die Goldene Morgenröte entschieden hatte, sei unbedeutend, ein Zufallsergebnis gewesen. Es war aber eine bewusste Taktik aus Provokation und Einschüchterung, die Mitglieder der rechtsradikalen Partei während ihrer Kampagne anwandten. Diese führte sogar dazu, dass ein Parteisprecher einem Mitglied der kommunistischen KKE live im Fernsehen eine Ohrfeige verpasste. Die Strategie wurde belohnt, die Partei hielt ihren Anteil stabil.

Die Wähler mussten in einer extrem schwierigen Situation die Balance finden: Ihren Widerstand gegen die Sparvorgaben ausdrücken, gleichzeitig Bedingungen für deren Neuverhandlung sicherstellen - aber nicht für ihre komplette Aufhebung, was die Euro-Hilfskredite gefährdet hätte. Sie wollten ihre Kritik an der alten politischen Elite ausdrücken und Stabilität erreichen.

Eine Stimmung zwischen Angst und Wut

Das Wahlergebnis hat klar gezeigt, dass sich die Angst, die von allen politischen Pro-Memorandum-Kräften kultiviert worden war, gegenüber dem Ärger in der griechischen Gesellschaft, wenn auch nur kurzfristig, durchgesetzt hat. Dennoch brachten diese Wahlen eine Machtverschiebung in Griechenland, weil die zwei Großparteien (die konservative Nea Dimokratia und die sozialistische Pasok) zusammen nur 42 Prozent der Stimmen erreichten. Der Einfluss einer weiteren starken Kraft in unserem politischen System, der kommunistischen Partei KKE, wurde beschnitten. Sie verlor fast 50 Prozent verglichen mit den Wahlen am 6. Mai. Aus all dem konnte sich eine starke Linkspartei (Syriza) behaupten, aber auch die Nazi-Partei Goldene Morgenröte schaffte es ins Parlament.

Antonis Samaras, Vorsitzender der Nea Dimokratia, erlangte einen knappen Sieg (wenn man die hohe Nichtwählerquote von 39 Prozent bedenkt). Dieser erlaubt ihm, eine Regierungskoalition zu bilden. Samaras hatte im Vorfeld klargestellt, dass er für das Memorandum ist. In seiner ersten Rede nach dem Wahlsieg am Sonntag erwähnte er nichts von einer Neuverhandlung der internationalen Sparvorgaben, sondern betonte, wie wichtig es für Griechenland ist, Vereinbarungen einzuhalten.

Alexis Tsipras, Chef von Syriza, war der klare Sieger dieser Wahlen, da der Stimmanteil seiner Partei von einem einstelligen Ergebnis auf 27 Prozent hinauf schoss. Das ist ein wichtiges Signal für die Zukunft der extremen Linken in Griechenland.

Es ist nicht verwunderlich, dass die Menschen jetzt schon von einer machtlosen Regierung sprechen, auch wenn Samaras eine Langzeit-Regierung der nationalen Einheit vorschwebt. Ihr steht eine mächtige Opposition gegenüber, die aber weit auseinanderklafft: Ihr gehören neben dem Linksbündnis Syriza auch die Goldene Morgenröte, die gegen das Memorandum ist, die KKE und die ultrarechten Unabhängigen Griechen an, eine weitere neue Partei, die aus dieser Wahl gestärkt hervorgegangen und gegen das Memorandum ist.

Darüber hinaus wird die neue Regierung mit einer rasenden Rezession zu kämpfen haben. Deshalb wird es wohl nicht lange dauern, bis sie Neuwahlen ansetzen muss. Sogar renommierte Ökonomen wie Nouriel Roubini und Paul Krugman, aber auch internationale Zeitungen sprechen bereits von einer dritten Wahlrunde in den kommenden Monaten.

Keiner glaubt, dass die harten Zeiten vorbei sind oder die neue Regierung Bestand haben wird. Vielmehr herrscht die Meinung vor, die Krise in der Eurozone werde weiter eskalieren - so lange, bis sich Deutschlands Besessenheit auf Einsparungen ändere. Auf der anderen Seite werden Polarisierung und das ständige Gerede vom Untergang in Kombination mit dem Druck und den Dilemmata, die schwer auf der griechischen Gesellschaft lasten, bald die humanitäre Krise in Griechenland anheizen, die Verbrechensrate wird steigen.

Samaras spricht vorsichtig von einer "Anpassung der Konditionen im Memorandum, die nur durch Neuverhandlungen erreicht werden kann". Doch all das hängt von unseren Gläubigern ab, die kaum mehr als etwas mehr Zeit anbieten dürften, um unseren Staatshaushalt in Ordnung zu bringen. Tsipras, der für seinen Anti-Sparkurs inner- und außerhalb Griechenlands extrem unter Druck geraten war, betonte, dass Syriza nun "die Hauptstütze jener Mehrheit ist, die das Memorandum ablehnt". Er sprach von "verantwortungsvoller, scharfer Opposition gegen Einsparungsmaßnahmen", die keine "Legitimierung durch die Öffentlichkeit" haben. Und er stellte klar, dass die neue Regierung "Strategien nicht gegen den Willen des Volkes umsetzen kann".

Zerrissen zwischen zwei fast gleich starken Lagern

Die Nea Demokratia konnte in diesen Wahlen mehr Menschen mobilisieren als in jenen vom 6. Mai, aber trotz dieses Anstiegs gilt die Partei als obsolet. Das Wahlergebnis beweist, dass die griechische Gesellschaft extrem polarisiert und gespalten ist. Im Moment ist sie konservativer geworden, was man an dem Wahlerfolg der Nea Demokratia ablesen kann, sowie an kleineren Parteien wie den Unabhängigen Griechen (Anel), die eine eher konservativ-nationalistische Partei ist. Aber auch die tiefe Zersplitterung wird aus dem Wahlergebnis deutlich: Die Anti-Memorandums-Parteien Syriza, Anel, KKE und Goldene Morgenröte kamen zusammen auf 45,8 Prozent, während ND, Pasok und Dimar, die gemäßigte Demokratische Linke, zusammen 48,19 Prozent erreichten.

Nachdem die ersten Wahlergebnisse bekannt geworden waren, sagte der Generalsekretär der Goldenen Morgenröte, Nikos Michaloliakos, vor der griechischen Presse: "Die Goldene Morgenröte ist hier, um zu bleiben. Meine Damen und Herren, sie haben verloren." Seine politischen Gegner warnte er, dass ihnen das Schlimmste noch bevorstehe. Seine Partei werde nicht nur im Parlament gegen sie Widerstand leisten werde, sondern auch auf der Straße, polterte er.

Tsipras hat den künftigen Ministerpräsidenten in spe, Samaras, schon davon in Kenntnis gesetzt, dass es seitens der Parlamentsfraktionen Attacken gegen Mitglieder der Syriza gegeben hat und spielte dabei auf die Goldene Morgenröte an. Seine Partei, so Tsipras, werde sich jedoch jedem Versuch, der Demokratie in Griechenland zu schaden, widersetzen. Allerdings müssten auf dieses Ziel alle politischen Kräfte gemeinsam hinarbeiten, fügte der 37-jährige politische Senkrechtstarter hinzu. Eines scheint jedenfalls fix: Griechenland stehen schwierige Zeiten bevor.