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Polit-Karriere endet auf Bezirksebene

Von Stefan Beig

Politik

Viele Zuwanderer aus der Türkei sind Kurden. | Die höheren Sphären der Politik bleiben bisher Türken vorbehalten. | Wien. Seine Herkunft stellt Senol Akkilic in der Politik nicht in den Vordergrund: "Ich bin weder in einer kurdischen, noch einer türkischen Organisation dabei. Für mich steht die Einhaltung der Menschenrechte im Vordergrund - natürlich aber auch in der Kurdenfrage." Akkilic stammt aus einer kurdischen Familie und kam 1979 im Rahmen der Familienzusammenführung von der Türkei nach Wien. Heuer kandidiert er bei der Wiener Gemeinderatswahl auf Platz zwölf für die Grünen. Er ist der einzige kurdischstämmige Kandidat auf Landesebene.


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Die Migrantencommuntiys sind politisch unterschiedlich stark aktiv, obwohl das Interesse an ihnen massiv gestiegen ist, seit die Parteien Zuwanderer als Wähler entdeckt haben. Während die Serben als Wiens größte Migrantencommunity kaum präsent sind, waren türkische-stämmige Kandidaten schon sehr erfolgreich: Nurten Yilmaz (SPÖ), Sirvan Ekici (ÖVP) und Alev Korun (Grüne) schafften es bereits in den Wiener Landtag oder - im Falle von Korun - sogar in den Nationalrat. Im Wiener Landtag sind kurdischstämmige Österreicher bisher nicht vertreten, obwohl viele von ihnen politisch engagiert sind.

Durch Konflikte in der Heimat politisch sensibilisiert

"Die Lebensbedingungen haben uns politisiert", begründet der Politologe und Menschenrechtsaktivist Mustafa Akgün das starke politische und soziale Engagement unter Angehörigen seiner Volksgruppe. Er spielt dabei auf die Unterdrückung, der viele Kurden in ihren Herkunftsländern ausgesetzt waren, an. Die erste kurdische Migration nach Österreich geschah Mitte der 60er bis Ende der 70er Jahre noch über Gastarbeiterfamilien aus der Türkei. Doch nachdem das Militär in der Türkei 1980 zum dritten Mal geputscht hatte, kamen viele Kurden als politische Flüchtlinge her, die bereits vorher politisch aktiv waren. Mustafa Akgün war einer von ihnen. Heute sind viele als Sozialarbeiter oder Mitarbeiter in Integrationsprojekten tätig. "Ob es nun um das Fremdenrecht oder Rassismus geht: In jeder Plattform trifft man hier auf Kurden", meint Akgün.

Auch in Österreich ist man für nationalistische oder extremistische Strömungen stark sensibilisiert. "Nationalismus gibt es in jeder Bevölkerungsgruppe, die sich in Österreich aufhält", meint etwa Senol Akkilic. "Durch Symbole wollen hier einige politische Organisationen die Bevölkerung in der Diaspora beeinflussen." Als Beispiel nennt er die Grauen Wölfe. "Die Anti-Diskriminierungspolitik muss erweitert werden und sich auch auf Defizite in der Migranten-Community konzentrieren", so Akkilic. Das gelte etwa für Frauenrechte, Homophobie und Zugang zu Demokratie. Auch serbische Lokale, die keine kosovarische Musik, und türkische Lokale, die keine kurdische Musik spielen wollen, seien eine Realität. Angezettelt werde der Nationalismus aber auch durch Attacken der FPÖ auf die Türken. "Die FPÖ will den türkischen Nationalismus fördern, um damit die Polarisierung und den Ärger unter den Österreichern anzuzetteln."

"Einige Communitys in Wien sind strenger als in ihren Herkunftsländern", kritisiert auch Saya Ahmad, Integrationssprecherin der SPÖ-Alsergrund. "Nicht alle Menschen in den Communitys sind Gutmenschen." Ahmad floh nach einer Kindheit im kurdischen Nordirak mit der Familie 1991 nach dem gescheiterten Kurden-Aufstand vor Saddams Milizen und kam schließlich nach Klagenfurt.

Dass Ahmad in Kärnten fernab der kurdischen Community aufgewachsen ist, wertet sie heute als Glück, obwohl sie sich als Kind nach kurdischen Freunden gesehnt hat. "Ich hatte dadurch mehr Freiraum zur Entfaltung und konnte über gewisse Dinge offen diskutieren." In Wien verfolgt sie die Tätigkeit einiger Migranten-Vereine kritisch. "Die Politik hat nicht hingeschaut", meint sie, angesprochen auf den politischen Islam. "Es gibt bei uns islamische Vereine mit viel Spielraum, die politisch aktiv sind. Das hat negativen Konsequenzen." Von der Politik forderte die Austro-Kurdin: "Man muss die Scheu verlieren, die Dinge beim Namen zu nennen." Als Co-Autorin des Buchs "Zwischen Gottesstaat und Demokratie. Handbuch des politischen Islam" hat sie sich selber mit dem politischen Islam befasst

Anzahl kurdischer Migranten in Österreich unbekannt

Wie viele Kurden leben überhaupt in Österreich? Offizielle Zahlen fehlen: "Es gibt nur empirische Daten zur Staatsangehörigkeit. Volksgruppen werden statistisch nicht erfasst", berichtet Rudolf Gallia vom Innenministerium. Die meisten zugewanderten Kurden stammen aus der Türkei, andere kommen vom Irak, Iran oder auch aus Syrien. "Ich schätze, dass 35 bis 40 Prozent der Zuwanderer aus der Türkei Kurden sind", meint Senol Akkilic.

Als potenzielle Wähler sind kurdischstämmige Österreicher für die heimische Politik zweifels-ohne interessant: Zu dem alljährlichen kurdischen Neujahrsfest Newroz, das der kurdische Dachverband Feykom organisiert, kamen im März heuer in Bregenz 2000 Personen, 3000 waren es in Graz und 4000 in Wien. Und zwar ohne übermäßig großen organisatorischen Aufwand.

Feykom-Obmann Hüseyin Akmaz würde sich freuen, "wenn jemand von uns in der Politik an wählbarer Stelle für Landtag oder Nationalrat kandidiert". Freilich hebt er auch hervor: "Wenn man hier Politik macht, darf man das nicht nur für eine bestimmte Gruppe tun, sondern für die gesamte Bevölkerung. Man muss sich etwa in Wien mit der Landesbevölkerung identifizieren. Die Politik soll die Gruppierungen ernst nehmen, aber es hätte fatale Folgen, wenn man durch islamische, arabische, türkische Interessensvertretungen in den Parteien Spaltungen erzeugt."