Etabliert sich der Trend, könnten große Parteien langfristig Probleme bekommen.
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Wien. Es war einmal. So könnte man auch eine Geschichte über die Nationalratswahlen beginnen lassen. Es waren einmal Rot und Schwarz, und neun von zehn wählten entweder oder. Vor 30 Jahren fehlte nicht viel, und die FPÖ wäre aus dem Parlament geflogen, das dann zu einer Zweiparteienkammer geworden wäre. Gemeinsam hatten SPÖ und ÖVP jedenfalls mehr als 90 Prozent der Stimmen auf sich vereinigt. Doch das war einmal.
Wenn am Sonntag über die Neuverteilung der Mandatssitze im Parlament bestimmt wird, könnten zwei Szenarien Realität werden, die damals, 1983, völlig undenkbar schienen. Dem Nationalrat könnten erstmals sieben Fraktionen angehören, wenn BZÖ und Neos vier Prozent und mehr erreichen sollten, und erstmals könnte Rot und Schwarz eine Mehrheit verwehrt bleiben. Insgesamt treten diesmal 14 Parteien an, sechs davon zum ersten Mal.
Wenige Tage vor der Wahl ist schwer zu beurteilen, ob der Anfang auch schon wieder das Ende einiger dieser Parteien bedeuten oder zumindest einläuten wird. Dass es sich durchwegs um langfristige Projekte handelt, betonen aber jedenfalls auch jene Kleinstparteien, für die ein Einzug ins Parlament unrealistisch ist. Dennoch geht es für sie am 29. September um viel, denn ab einem Prozent der Stimmen gibt es eine einmalige Parteienförderung. Oder auch "Demokratieförderung", wie es Fayad Mulla, der Vorsitzende des "Wandel" umschreibt. Wenn Financiers fehlen, sind Parteien auf diese Subvention angewiesen, um ein Büro anzumieten, Computer zu kaufen, oder anders formuliert: um Grundvoraussetzungen für Parteiarbeit schaffen zu können.
"Wir sind gekommen, um zu bleiben", sagt Christopher Clay von den Piraten und verweist auf die Schwesternparteien in anderen Ländern. Das Selbstverständnis der Piraten ist dahingehend vergleichbar mit jenen der Grünen in den 80er Jahren, da sie sich als Teil einer internationalen Bewegung sehen, die überall in die Volksvertretungen drängt und die nicht einfach so verschwinden wird. Die Grünen dienen in dieser Hinsicht auch als Vorbild für die neuen Parteien, schließlich haben sie es so gut wie überall in Europa geschafft, einen fixen Platz in der Parteienlandschaft einzunehmen. Aber auch das war einmal.
"Die letzte Innovation haben wir in Österreich vor 27 Jahren erlebt", sagt Daniela Platsch, die Geschäftsführerin des "Wandel". Deshalb hat sich vor zwei Jahren, zunächst als loser Verbund, diese neue linke Partei gegründet, die Chancengleichheit und Gerechtigkeit als begrifflichen Überbau über ihr gesamtes Programm stellt. Es sei zunächst ein offenes Projekt gewesen, auch das persönliche Engagement bei einer etablierten Partei stand anfangs in Raum, doch diese Idee wurde schnell verworfen.
Von ihrer Struktur her wären die Grünen eine Option gewesen, "aber das ist keine linke Partei", sagt Mulla. "Die Grünen haben eine ökologische Vision, sie haben aber nicht Chancengleichheit als Vision. Uns geht es aber um soziale Gerechtigkeit". Rein thematisch ist "Der Wandel" näher den Sozialdemokraten, die aus ihrer Sicht diese Werte allerdings nicht mehr vertreten oder zumindest nicht ihnen entsprechend handeln. Der Glaube, dies durch Mitarbeit in der SPÖ zu verändern, war jedoch nicht gerade groß. Und das ist noch übertrieben ausgedrückt. "Auf dem Weg durch die Partei hätten wir unseren Idealismus verloren", sagt Platsch.
Prominente Unterstützerin
Die Gründer der SLP, der Sozialistische Linkspartei, waren sogar Teil der SPÖ. Sie gaben über Jahre die "Vorwärts"-Zeitschrift heraus, doch ihr radikal-marxistischer Ansatz führte in den 90er Jahren zum kollektiven Parteiausschluss. "Es gab eine Kräfteverschiebung in der SPÖ, eine Verbürgerlichung", sagt SLP-Kandidat Sebastian Kugler. Die SPÖ von heute bewerten die Vertreter der SLP als neoliberal.
Im Gegensatz zur Sozialistischen Linkspartei sieht sich "Der Wandel" aber nicht als Abspaltung, zumal keiner der durchwegs jungen Kandidaten SPÖ-Mitglied war. "Wir sind keine linke Splittergruppe", sagt Mulla, der die grüne Ikone Freda Meissner-Blau als Unterstützerin gewinnen konnte. Bei einer Diskussion mit der SLP war dann auch schnell klar, dass es es kein Bündnis geben wird können, nachdem der Wandel von der SLP als kapitalistische Partei identifiziert wurde.
Auch wenn über die weitere Zukunft dieser neuen linken Partei nur spekuliert werden kann, stellt sich die Frage, ob allein deren Gründung nicht auch eine Begleiterscheinung der Erosion der beiden großen Parteien darstellt, in diesem Fall der SPÖ. Bei den Neos sind es wiederum einige ehemalige Protagonisten der ÖVP-nahen Aktionsgemeinschaft, allen voran Spitzenkandidat Matthias Strolz, die sich nun emanzipiert und eine eigene Partei gegründet haben.
Bemerkenswert ist jedenfalls der Mitgliederschwund bei den Sozialdemokraten, die vor 30 Jahren noch etwa 650.000 Mitglieder aufwiesen, gegenwärtig aber nur noch 240.000 haben. Die ÖVP hat nach eigenen Angaben von ihrem Hoch in den 70er Jahren (750.000 Mitglieder) deutlich geringe Verluste erlitten (2013: 700.000), allerdings ist die Volkspartei durch ihre Bünde auch anders strukturiert als ihr Koalitionspartner.
Während die Gründung der Neos und des "Wandel" in der Unzufriedenheit mit dem politischen Angebot wurzelt, sind andere Kleinparteien Nischenanbieter, wie die in Vorarlberg kandidierende Männerpartei und die EU-Austrittspartei sowie die Christliche Partei Österreichs. Derartige Strömungen hat es auch schon früher gegeben, etwa mit der Pensionistenpartei ("Wahlplattform der Grauen Österreichs") oder sogar einer Yogi-Partei ("Österreichische Naturgesetzpartei").
Nischen-Politik
"Die großen Parteien versuchen alles abzudecken, neue Parteien haben eine Spezialisierung", sagt Robert Marschall von der EU-Austrittspartei. "In der Wirtschaft haben sie ja auch die Kaufhäuser, die alles anbieten, und kleine Geschäfte, die in Nischen erfolgreich sein können." In seinem Fall ist das die Gegnerschaft zur EU, die von Frank Stronach oder der FPÖ zwar kritisiert wird, ein kompletter Austritt wird in letzter Konsequenz aber nicht verfolgt. Auch Marschall sieht keine Chance, sich in den Großparteien zu behaupten. "Bei SPÖ und ÖVP wird jede Meinungsvielfalt unterdrückt." In der SPÖ versuchen die "Sektion 8" und bisweilen die SJ das Gegenteil zu beweisen, wirklich ernst genommen werden sie von der Parteiführung aber nicht.
Engagement in NGOs
Durch die Parteiwerdung von Interessensgemeinschaften müssen Standpunkte auch zu anderen Themen erarbeitet werden, was sich etwa bei der EU-Austrittspartei durch die Heterogenität der Gruppe als schwierig erwies. Das ging so weit, dass sich einige Mitglieder schnell wieder von der neuen Partei abwandten.
Die Männerpartei, die Benachteiligungen für Väter im Familienrecht und eine ihrer Meinung nach verfehlte Frauenpolitik beklagt, hat jene Punkte in ihrem Wahlprogramm, die über die zwei zentralen Themen hinausgehen, recht grundsätzlich formuliert. Auch Parteichef Hannes Hausbichler nimmt sich die Grünen als Vorbild. "Diese Partei hat Österreich völlig verändert", sagt er. Umweltschutz ist Common Sense geworden, aber Kernkompetenz der Grünen geblieben. "Ich kann mir vorstellen, dass das bei uns auch so sein wird", sagt er.
Die Piratenpartei mag von vielen zwar ebenfalls als Special-Interest-Partei bewertet werden, allerdings ist ihr Kernthema Internet breitenwirksamer und zudem bieten sie strukturell und demokratiepolitisch Neues an, etwa durch die von den Piraten verwendete "Liquid Democracy", bei der die Stimme für einzelne Themengebiete vor Abstimmungen zeitlich befristet an andere Personen delegiert werden kann. Laut Christopher Clay hat dieser betont andere Zugang, Politik für bisher unpolitische Menschen wieder interessant gemacht.
Fayad Mulla und Daniela Platsch waren vor der Gründung des "Wandel" sehr wohl politisch interessiert, jedoch habe sie die Visionslosigkeit der Parteien desillusioniert. "In der Zivilgesellschaft passiert viel. Was früher von den Parteien abgedeckt wurde, findet sich heute bei NGOs oder Vereinen", sagt Mulla. Auch dort findet heute politisches Engagement statt, vielleicht sogar: vor allem dort. "Die Zivilgesellschaft steht halt immer draußen, vor dem Parlament", ergänzt Platsch. "Wir wollen dem Wort Partei auch seinen Schrecken nehmen."
Dass ein Richtungswechsel der großen Parteien eher durch die Gründung neuer Bündnisse als durch innerparteiliche Karrieren möglich ist, glauben so gut wie alle neue Fraktionen. "Wir irritieren", sagt Platsch. Auch wenn der Wandel für die SPÖ gegenwärtig keine ernste Bedrohung darstellt, kann es langfristig für die Großparteien problematisch sein, vor allem inhaltlich, wenn sich engagierte Anders- und Querdenker a priori herausnehmen und etwa neue Parteien gründen. Und auch demokratiepolitisch ist es eine Herausforderung, wenn sich die Stimmen auf immer mehr Parteien verteilen. Deutschland mag zwar seit Sonntag tiefschwarz eingefärbt sein, allerdings haben sich auch fast 16 Prozent der Wähler für eine jener 26 Parteien ausgesprochen, die gar nicht im Parlament vertreten sein werden. Auch das ist ein Szenario, das am Sonntag in Österreich eintreten könnte.