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Polit-ökonomisches Lachkabinett: Die fiskalische Vogel-Strauß-Politik

Von Erich W. Streissler

Analysen
"Wir müssen mit weniger leben lernen!", prognostiziert der renommierte Ökonom Erich W. Streissler. Foto: Newald

Staatsausgaben befeuern den Konsum nur kurzfristig. | Exporte und Investitionen sollten steuerlich begünstigt werden. | Budgetsanierung nur über höhere Steuern möglich. | Vorschlag: Steuer auf 13. und 14. Gehalt. | Zur gegenwärtigen Lage: Notenbank-Gouverneur Ewald Nowotny hat soeben glaubwürdig prognostiziert, dass der Sozialproduktabfall 2009 nur 3,5 bis 3,8 Prozent statt 4,3 Prozent betragen wird. Grob gesagt: dass es uns heuer nur sehr dreckig, aber nicht saudreckig gehen wird!


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Er fügte eine Prognose für 2010 hinzu, nach der das Sozialprodukt sogar um ein Prozent wachsen werde. Das scheint mir eher optimistisch zu sein. Wesentlich ist jedoch, dass weder 2010 noch 2011 die Rückkehr zu nennenswertem Wirtschaftswachstum zu erwarten steht: Der Sozialproduktabfall wird um eine Größenordnung höher liegen als je zuvor seit 1945.

Und danach wird es bestenfalls nahezu Stagnation geben, also mindestens drei Jahre lang keine Rückkehr auch nur zur Höhe des Sozialprodukts, wie es 2008 bereits erreicht war. Wir müssen mit weniger leben lernen!

Einsparungen würden gerade Zinsen decken

Aber in Österreich tragen die Politiker zu unserem psychischen Wohlbefinden bei, indem sie uns wie auf einer Grottenbahn in eine Serie von Lachkabinetten führen:

* Lachkabinett Nummer eins: Österreichs Parlamentarier beabsichtigen, in heroischer Selbstzurückhaltung sich heuer keine Erhöhung ihrer Bezüge zu gönnen. Nur leider, wenn das Volkseinkommen um 3,5 bis 4 Prozent fällt, ist Konstanthaltung der Bezüge tatsächlich eine erhebliche finanzielle Besserstellung um eben diesen Prozentsatz gegenüber dem Durchschnitt der Österreicher. Die Selbstzurückhaltung der Volksvertreter ist also nichts als Exzeptionismus: Einkommenssicherung für uns, alles Leid für das Volk!

* Lachkabinett Nummer zwei: Der Finanzminister und Vizekanzler will im Kreise seiner EU-Ministerkollegen vorschlagen, eine pro Transaktion geringfügige, in Summe aber beträchtliche Steuer auf kurzfristige Finanztransaktionen, vulgo: Spekulationssteuer, einzuführen. Eine solche Steuer würde vor allem die bereits arg gezausten Banken treffen und überdies zu - nach EU-Recht zulässigen - Finanzvermögensverlagerungen ins EU-Ausland führen. (Noch weniger einträglich wäre jetzt, nach dem Zusammenbruch vieler Finanzvermögenswerte, die von Landeshauptmann Voves vorgeschlagene Finanzvermögenszuwachssteuer.)

Freilich: Vielleicht ist der Vizekanzler hier bewundernswert raffiniert. Angesichts der fast völligen Finanzmarktunkundigkeit so vieler Österreicher schlägt er etwas vor, was dem Durchschnittswähler klug und gerecht erscheint, was aber, wie er gewiss weiß, von EU-Ländern mit sicheren Finanzhäfen, zuvorderst England (mit den Kanal-Inseln usw.) sowie natürlich Malta und Zypern ohnehin abgelehnt würde.

* Lachkabinett Nummer drei - und dieses ist das Lustigste: Der Bundeskanzler schlägt vor, weder Steuern zu erhöhen noch zusätzliche einzuführen, dafür aber 500 Millionen Euro pro Jahr an Staatsausgaben einzusparen.

Hier liegt ein erschreckender Größenordnungsfehler vor: Bei einem Budgetdefizit (ohne Steuererhöhungen) von etwa 12 Milliarden (und bald wohl 15 Milliarden) würden 500 Millionen gerade die Zinsen auf die Staatsanleihen abdecken, die zur Finanzierung eines solchen Defizits alljährlich neu aufzunehmen wären! Der Erfolg wäre also per Saldo genau null. Und ebenso für neuerliche 500 Millionen in jedem Folgejahr. Immer wieder wird vergessen, dass die Aufnahme zusätzlicher Staatsanleihen laufend Zinsen kostet.

Tief Luft holen und durchtauchen?

Mühsam hochklettern oder durchtauchen?

Welche Fiskalpolitik in dieser, der tiefsten Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg wäre zielführend? Hier hat man von den USA bis England, von Deutschland bis Österreich das Gefühl, dass Politiker allenthalben versuchen, rein reflexhaft und ohne tiefer nachzudenken, eine Politik zu wiederholen, die sich bei einem geringfügigen Rückgang des Sozialprodukts - der nur einige Monate dauern darf - durchaus bewährt hat. Man reagiert in der unbegründeten Hoffnung, dass sich diese Maßnahmen, wenn obendrein verstärkt eingesetzt, für eine relativ zur letzten Krise fast zehnmal so schwere und schon jetzt - in den USA - doppelt so lang dauernde Krise gleichfalls bewähren werden.

Dazu eine Illustration: Stellen Sie sich vor, Sie befinden sich in einem großen wasserumspülten Höhlenkomplex, aus dem Sie herauszufinden versuchen, um wieder ans Tageslicht zu gelangen. Vor Ihnen einerseits eine steile und glitschige Felswand und ganz oben ein kleiner Lichtschacht, den Sie vielleicht mit größter Mühe durchklettern könnten.

Andererseits liegt vor Ihnen, von Wasser bedeckt, ein Durchschlupf, und Sie haben von einem Freund gehört, mit Glück könne man aus einem solchen Höhlenkomplex herausschwimmen. Jetzt kommt alles darauf an: Ist der durchspülte Höhlengang kurz und die Wasserströmung günstig, so gelangen Sie tatsächlich schwimmend am sichersten und leichtesten ins Freie. Ist aber die Höhlenstrecke lang, zeigt sie gefährliche Verengungen und strömt Ihnen das Wasser entgegen, so geht Ihnen die Luft aus und Sie ertrinken hoffnungslos. Die Politiker in allen genannten Ländern sind sich ungeprüft ganz sicher, dass es am besten durch die Höhlenstrecke ins Freie geht! Wollen Sie ihnen bei so riskanter Aussicht und so großer Gefahr Glauben schenken?

Oder, um es nun wirtschaftswissenschaftlich darzustellen: Die Abfederung eines Konjunkturabschwungs durch Budgetdefizite heißt nach Lord John Maynard Keynes "keynesianische Politik". Diese ist nur sinnvoll, wenn die wirtschaftlichen Kapazitäten nicht voll ausgelastet sind, wenn also Unterbeschäftigung herrscht. Seit dem Jahr 2001 sind wir in der sogenannten "westlichen" Welt, also in den USA, Kerneuropa und auch in Japan, überall in solcher Unterauslastung, in der zusätzliche staatliche Nachfrage kapazitätsmäßig auch befriedigt werden kann. Also: hinein in die Höhle!

Aber halt: Jetzt kommt es noch darauf an, wie lange solche Konjunkturstützungsmaßnahmen durchgehalten werden müssten: wie lange also, um im Beispiel zu bleiben, die Strecke unter Wasser ist. Man muss in langer, schwerer Krise fragen: Was sind die langfristigen Folgen einer massiven Budgetdefizitpolitik?

Es sind andere als bei einem kleinen Staatsdefizit während einer kurzen, scharfen Rezession. In einer solchen brechen die unternehmerischen Investitionen zusammen, und der Staat kann einen Teil derselben durch staatliche Konjunkturstützung ersetzen, ohne die Finanzmärkte übermäßig zu belasten und ohne die Zinssätze zu erhöhen. Bei den derzeit erwogenen, massiven und sehr langfristig durchzuhaltenden Staatsdefiziten ist es anders: Die Finanzmärkte werden stark belastet und die Zinssätze gehen hoch.

Staatsausgaben sind momentaner Konsum

So wird bei der europäischen Bewunderung für US-Präsident Barack Obama nicht beachtet, dass seine Staatsinterventionspolitik die langfristigen (zehnjährigen) Zinssätze für Staatsanleihen gegenüber 2008 in den USA bereits jetzt um einen vollen Prozentpunkt hochgetrieben hat; weiteres wird folgen.

Aber noch wichtiger: Bei außerordentlich hohen Volumina der Staatsfinanzierung stürzen sich die Banken mit Begeisterung nur auf den Kauf der vielen sicheren Staatsanleihen, und private Unternehmen erhalten für ihre beabsichtigten Investitionen keine oder, weil riskanter, nur sehr teure Kredite.

Große Volumina von Staatsanleihen wirken wie Doping: Die Patienten, zum Beispiel die Banken, nehmen sie gerne an und sind kurzfristig glücklich. Sie werden aber auch süchtig und wollen vom Staatsanleihen-"Konsum" nicht mehr weg. Die Wirtschaft bleibt in der Rezession, denn nur gewinnträchtige Investitionen und Exporte könnten die Grundlage für neuen Aufschwung schaffen, während Staatsausgaben zwar momentaner Konsum sind, aber nicht den längerfristigen vorteilhaften Effekt der wirtschaftlichen Kapazitätsausweitung haben, wie ihn Investitionen hätten.

Derzeit tut vor allem Exportstützung not

Gerade in einer schweren und langen Krise bringen Staatsausgaben nach dem Gießkannenprinzip fast nichts, außer eine die Unternehmer weiter belastende Zinssteigerung.

Nun werden aber volle 56 Prozent der österreichischen Produktion ins Ausland exportiert und gerade diese Exporte (einschließlich des Dienstleistungsexports, den der Ausländerfremdenverkehr darstellt) sind von der Krise negativ betroffen. Daher tut vor allem Exportstützung not: die Exporte müssten möglichst preiswert gefördert werden. Staatliche Bürgschaften bei privaten Krediten könnten hier helfen und eine Fülle weiterer für den Fiskus kostengünstiger Maßnahmen.

Aber als letzte Fördermöglichkeit könnte man, sagen wir, 20 Prozent der Exporterlöse von der Einkommens- und Körperschaftsbesteuerung ausnehmen. Umgekehrt könnte man privatwirtschaftliche Investitionen zu 120 Prozent als Kosten abzugsfähig machen. Das wäre eine Wiedereinführung des bewährten Investitionsfreibetrages. Derlei Ideen wurden vor 50 Jahren in Österreich erfolgreich verwirklicht. Steuerlich geförderte Exporte und steuerlich geförderte Investitionen könnten, vergangenen Erfahrungen zufolge, den Wirtschaftsabschwung erheblich vermindern. Und sie wären Maßnahmen nicht nur für den Moment, sondern solche mit langfristiger Wirkung.

Gegensteuern durch Steuererhöhungen

Steuerliche Export- und Investitionsförderung würde freilich etwas kosten und das Budgetdefizit weiter erhöhen (allerdings auch einnahmenerhöhende Beschäftigungseffekte haben).

Was aber könnte man zur Defizitsenkung unternehmen? Entgegen dem österreichischen Verständnis werden wir zu einer solchen Defizitreduktion weit früher, als unseren Politikern lieb ist, durch die EU gezwungen werden.

Insbesondere wird zwar eine einmalige (das heißt ein Jahr betreffende) Überschreitung der Drei-Prozent-Maastricht-Defizitgrenze zugelassen, aber danach verlangt die EU die schrittweise Sanierung. Und deshalb ist eine Erhöhung des prozentuellen Budgetdefizits, wie sie bei uns für das Jahr 2010 geplant ist, unzulässig.

Ein Budget kann man ausgabenseitig oder einnahmenseitig sanieren. Andere Staaten sanieren ausgabenseitig. Kroatien zum Beispiel beabsichtigt, die Staatsbeamtengehälter um acht Prozent zu senken. Natürlich würde auch ich die ausgabenseitige Sanierung bei weitem vorziehen.

Nach aller Erfahrung wäre auf diese zu hoffen in Österreich jedoch ganz und gar vergeblich: Keiner Regierung der letzten Jahrzehnte gelang bisher eine Staatsausgabensenkung in mehr als homöopathischen Dosen.

Und erst recht erlebten wir kürzlich ein erschreckendes Beispiel in dem gescheiterten Versuch der Bundesministerin Claudia Schmied, Lehrer zu etwas mehr Unterricht, und das nur während eines Teiles des Jahres zu verpflichten, um so Lehrer-Dienstposten einzusparen. Sie scheiterte kläglich an der Gewerkschaft. Soweit diese Lohnerhöhungen durchsetzen oder Lohnsenkungen im öffentlichen Sektor verhindern kann, schädigt sie definitionsgemäß die zahlende Allgemeinheit.

Da der öffentliche Dienst aber in Österreich nichts anderes ist als der Dienst an eben diesem öffentlichen Dienst, lässt sich in Österreich ausgabenseitig so gut wie nichts einsparen.

In einer schweren Krise läge es nahe, vorzüglich die herrschende Klasse zur Kasse zu bitten. Historisch gesehen ist eine Klasse nur so lange wirklich herrschend, als sie Macht im vollen Bewusstsein der Gerechtigkeit nur der eigenen Sache ausübt. Diese in Österreich herrschende Klasse ist unschwer zu finden: Es sind die ASVG-Pensionisten.

Die Pensionisten erwarten eine Pensionserhöhung im Ausmaß der hohen Inflationsrate des Vorjahres von fast 2 Prozent, während jetzt die gemessene Inflationsrate bei null liegt und wir, richtig gerechnet, sogar Deflation haben. (Inflationserwartungen sind in Österreich im Unterschied zu den USA unrealistisch, da die EZB als einziges, sie verpflichtendes Ziel die Inflationsvermeidung hat und entsprechend wenig zusätzliches Geld schöpft.)

Am gerechtesten: Volle Steuer auf 13., 14. Gehalt

Das durchschnittliche Pensionsantrittsalter in Österreich von zuletzt 57,9 Jahren für Männer wird, wie bisher laufend, weiter fallen, und das erst recht in einer schweren Rezession. Aber das Volkseinkommen schrumpft ja obendrein um 3,5 bis 4 Prozent. Zugleich erhöht sich die Zahl der Pensionisten. Damit steigt das Einkommen der Durchschnittspensionisten um rund 7 Prozent stärker als das Volkseinkommen. Da Pensionisten (und bei gleichbleibenden Einkommen auch Staatsbeamte) relativ zum fallenden Durchschnittseinkommen mehr erhalten, muss logisch zwingend die das Volkseinkommen tatsächlich erarbeitende Bevölkerung relativ weniger bekommen: Ihr Anteil am schrumpfenden Volkseinkommen muss fallen. Damit erhalten die Pensionisten um fast 10 Prozent mehr als die Arbeitenden. In Österreich gilt eben nicht: "Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen" (Genesis 3,19), sondern: Auf dem Ruhebett des Pensionisten sollst du es genießen.

Ignoriert wird: "durch die Arbeit verwirklicht sich der Mensch" und "Arbeit ist eine echte, den Menschen bindende Verpflichtung", wie es die Enzyklika "Laborem Exercens" von Johannes Paul II. (9,3 und 16,2) formulierte. Nein, bei uns ist menschliche Verwirklichung allein die Pension. Bei weitem die einfachste Budgetsanierung im Ausmaß von vier Fünftel der erforderlichen 10 Milliarden Euro wäre jene, einfach die 8 Milliarden Euro Staatszuschuss zu den Pensionen zu streichen.

Aber auf selbstverständliche Gerechtigkeit kann man in Österreich nicht hoffen. Nicht einmal darauf, dass das Pensionsantrittsalter auf einen in der Nachkriegszeit ursprünglich angepeilten Zeitpunkt von 10 bis 12 Jahren vor dem erwarteten Ableben angehoben wird. Denn das hieße bei der laufenden Steigerung der Lebenserwartung derzeit, das Pensionsantrittsalter auf etwa 72 Jahre anzuheben! Und Hinaufsetzung auch für alle, die früher in Pension gegangen sind.

Bleibt also zur Zurückschraubung des Budgetdefizits auf noch erträgliche 1 bis 2 Prozent des Sozialprodukts nur die zusätzliche massive Erhöhung großer Steuern. Sinnvoll sind dabei nur solche zusätzliche Steuern, die leicht und sicher einhebbar sind.

Wie ich in der "Wiener Zeitung" schon argumentiert habe, wäre am ungerechtesten und gesamtwirtschaftlich am schädlichsten eine Erhöhung der Mehrwertsteuer im erforderlichen Ausmaß (um 5 oder eher 10 Prozentpunkte auf 25 bzw. 30 Prozent): Sie würde die Ärmeren, die nicht sparen können, überproportional treffen und die österreichische Wirtschaft besonders schädigen, weil Käufe ins Ausland verlagert würden. Auch wäre sie in der Europäischen Union wohl gar nicht zulässig.

Die einfachste und gerechteste Steuererhöhung sehe ich in einer Abschaffung der Steuerbegünstigung und voller Besteuerung des sogenannten 13. und 14. Gehalts, also eines Siebentels des Einkommens, im Rahmen der Einkommensteuer. Das würde vor allem Personen mit mittleren und höheren Einkommen treffen, da ja die Empfänger niedriger Einkommen gar keine Einkommensteuer zahlen und der Steuersatz um so höher liegt, je höher das Einkommen ist.

Aber das hieße doch, eine heilige Kuh schlachten?! Dem ist zu entgegnen: Wir haben einen Konjunkturabschwung wie nie zuvor; da müssen heilige Kühe geschlachtet werden. Allerdings brächte die so erzielbare Einnahme leider nur ein Viertel bis ein Drittel der erforderlichen Summe von jährlich 10 Milliarden.

In einem Einkommensabfall wie jetzt sind Pensionisten und Beamte (einschließlich der Vertragsbediensteten) besonders begünstigt, da Personen mit garantierten Festeinkommen bei einem Sozialproduktabfall relativ zu Markteinkommensbeziehern bessergestellt sind.

Niedrig verzinstes Zwangssparen

Daher würde ich empfehlen, alle öffentlich Bediensteten und alle Pensionisten zusätzlich zur vollen Besteuerung des 13. und 14. Gehaltes noch weiter im Ausmaß von vielleicht 10 Prozent des über das Existenzminimum hinausgehenden Einkommens zur Kasse zu bitten. (Da auch die Besteuerung dieser 10 Prozent wegfallen würde, wäre die laufende Einkommensminderung nur 5 bis gut 6 Prozent des Überschussbetrages über das Existenzminimum.)

Um diesen Eingriff schmackhafter zu machen, würde ich vorschlagen, diese Abgabe als vererbliche, ja verkäufliche ewige Anleihe zu konzipieren. (Geschickt gestaltet würde sie nicht erhöhend für die Maastricht-Staatsschulden wirken, da sie vom Staat nie zurückgezahlt werden müsste.) Das Anleihenmäßige läge darin, dass vom Staat in allen Folgejahren 2 bis 2,5 Prozent steuerfreie Zinsen auf den eingehobenen Zwangsanleihenbetrag gezahlt werden sollten. Es würde sich also nur um relativ niedrig verzinsliches Zwangssparen handeln.

Schließlich würde ich eine Anhebung der Körperschaftssteuer, der Besteuerung von Sparbuchzinsen, Anleihezinsen und Dividenden, die alle mit 25 Prozent besteuert sind, auf jeweils 30 Prozent vorschlagen. Mehr ist hier nicht möglich, da Deutschland soeben die Körperschaftssteuer auf 30 Prozent gesenkt hat und bei höherer Besteuerung in Österreich Steuerflucht nach Deutschland drohen würde. Mit geringer Gefahr könnte man freilich auf eine - verpflichtend nur dreijährige - erste Periode alle diese Steuern auf 35 Prozent anheben, ohne die Verlagerung der Gelder nach Deutschland befürchten zu müssen. Auf Zinsen für Sparkonten mit kürzerer als dreijähriger Bindung könnte man sogar für immer 40 Prozent Steuer einheben, da diese laufende Ausgabenrisiken abdeckenden Konten wohl nicht ins Ausland verlagert werden würden.

Wie? Sie meinen, solche zusätzlichen Steuern schon während der noch andauernden Krise würden diese verlängern und noch vertiefen? Richtig, aber ebenso die vom Staat zusätzlich zu zahlenden Zinsen und deren Steigerung, wenn der Staat ungehemmt weiter defizitfinanziert.

Wie, Sie meinen, keine Regierung kann sich solche Steuererhöhungen leisten, sie würde dann nicht wiedergewählt? In einer Weltwirtschaftskrise gehen ohnehin regelmäßig fast alle herrschenden Regierungen unter. Bei der EU-Wahl hatten die jetzigen Regierungsparteien nur mehr 52 Prozent der Wähler hinter sich. Untergehen wird diese Koalition wohl so und so.

Die Frage ist nur, ob sie untergeht, nachdem sie etwas langfristig Sinnvolles getan hat oder nachdem sie durch Nichtstun die Staatsfinanzen noch weiter geschädigt haben wird.

Eine Art der Krisenbekämpfung, die unter Garantie nicht funktioniert - in Zeiten wie diesen müssen heilige Kühe geschlachtet werden, warnt der Ökonom Erich Streissler. Foto: corbis

Erich W. Streissler, geboren 1933, ist emeritierter Professor für Volkswirtschaftslehre, Ökonometrie und Wirtschaftsgeschichte an der Universität Wien.