Zum Hauptinhalt springen

Polit-Tsunami könnte Abe an die Macht spülen

Von Susanne Steffen

Politik

Die LDP steht bei Parlamentswahlen vor Rückkehr in die Regierung.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 11 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Shinzo Abe steht mit seiner LDP vor dem Sieg.
© Kyodo News

Tokio (CE). Wirklich freuen darf sich der 58-jährige Shinzo Abe eigentlich nicht. Selbst, wenn er - wie alle Umfragen voraussagen - am 16. Dezember Japans Parlamentswahl gewinnt. "Es wird keinen echten Gewinner geben", prophezeit der Politikwissenschaftler Etsushi Tanifuji von der renommierten Waseda-Universität. "Egal, wie die Wahl ausgeht, echte Mehrheiten im Parlament wird es nicht geben", erklärt Tanifuji. Tatsächlich kommt keine Partei in Umfragen auf mehr als 20 Prozent. Die Parteienlandschaft ist zersplittert wie noch nie. Zwölf, zum Teil erst kurz vor Ende der Bewerbungsfrist gegründete Parteien buhlen um die Wählergunst. "Diese Wahl ist nur eine Übergangslösung", resümiert Tanifuji lange, bevor die Wahllokale öffnen.

Abe steht vor Rückkehr

Wenn die Meinungsforscher recht behalten, wird dies Abes zweiter Anlauf als Premierminister. Im Herbst 2006 hatte der Nationalist und Verfechter einer harten außenpolitischen Linie erstmals den Vorsitz seiner Liberaldemokratischen Partei (LDP) übernommen. Und danach gemäß alter Parteiregel auch das Amt des Regierungschefs. Doch nach knapp einem Jahr warf der mit 52 Jahren jüngste Nachkriegspremier überraschend das Handtuch und verschwand vorerst auf den Hinterbänken seiner Partei. Jetzt also die Rückkehr. Auch für seine LDP wäre es eine überraschend schnelle Rückkehr an die Macht. Erst vor drei Jahren musste Abes Partei nach mehr als 50 Jahren fast ununterbrochener Alleinherrschaft das Ruder abgeben.

Frustrierte Wähler

Die Wähler waren so frustriert von der ungenierten Vetternwirtschaft der LDP, in der politische Ämter über Generationen vererbt und Wählerstimmen mit Bauprojekten gekauft wurden, dass sie die Demokratische Partei (DPJ) mit überwältigender Mehrheit an die Macht katapultierten. Ihr Wahlsieg war so gewaltig, dass die DPJ Probleme hatte, ihre Parlamentssitze zu füllen. Doch nachdem die DPJ völlig chaotisch auf die Tsunami-Katastrophe vom vergangenen März reagiert hatte und die Wirtschaft wieder am Rande einer Rezession steht, hat die Partei als Hoffnungsträger versagt.

Herausforderer Abe behauptet zwar, seine Liberaldemokraten hätten aus ihren Fehlern gelernt und die LDP sei eine völlig neue Partei, doch politische Beobachter bezweifeln, dass die Wähler tatsächlich an eine geläuterte LDP glauben. "Die LDP gewinnt nicht, weil die Bürger so große Hoffnungen in sie stecken, sondern weil die Menschen so wahnsinnig enttäuscht von der Demokratischen Partei Japans sind", urteilt Sadafumi Kawato, Politikwissenschafter an der Tokio-Universität.

Allen Enttäuschungen zum Trotz hat die DPJ mit Noch-Premier Yoshihiko Noda (55) in jüngsten Umfragen aber zuletzt aufgeholt. Kommentatoren glauben, die Bevölkerung erkenne nun langsam, dass der uncharismatische "Schlammfisch", wie Noda sich bei seiner Amtseinführung selbst charakterisiert hatte, mehr für sein Land getan habe als seine fünf Vorgänger in ihren fünf Amtsjahren zusammen.

Zwar ist es unwahrscheinlich, dass Noda das Ruder noch herumreißt, doch die DPJ hoffte bis zuletzt auf ein Patt. In dem Fall könnte sie als zweit- oder gar drittstärkste Kraft eine entscheidende Rolle spielen. Entweder als Koalitionspartner oder als wichtigste Oppositionskraft mit großem Gewicht im Oberhaus.

In letzten Umfragen der Nachrichtenagentur Kyodo werden derlei Hoffnungen freilich zerstört: Demnach käme die LDP nämlich auf 295 der 480 Sitze im Unterhaus und damit auf eine einfache Mehrheit. Die Demokratische Partei (DPJ) von Ministerpräsident Yoshihiko Noda steuert dagegen auf gerade einmal 60 Sitze zu.

Rechtsnationale Töne

Im Wahlkampf waren es die vielen Kleinparteien, die von sich reden machten. Die rechtsnationale Töne spuckende "Japan Restoration Party" unter der Führung des ehemaligen Tokioter Gouverneurs Shintaro Ishihara liegt Kopf an Kopf mit der DPJ. Auf der anderen Seite des politischen Spektrums steht die in letzter Minute vor Bewerbungsschluss gegründete "Zukunftspartei", deren Hauptziel ein schneller Atomausstieg ist. Drei Prozent erhielt Japans neueste Partei in ihrer allerersten Umfrage und landet damit auf Platz fünf, knapp hinter der "New Komeito", dem buddhistischen Wunschkoalitionspartner der LDP.

Polit-Tsunami?

"Ich habe überhaupt keine Erwartungen an diese Wahl", sagt ein frustrierter Fischfabrikant aus Kamaishi, mitten im Tsunami-Gebiet. Daran ändere auch die Tatsache nichts, dass sowohl Noda als auch Abe symbolträchtig Fukushima zum Auftakt ihrer offiziellen Wahlkampftour besucht haben. "Wir stehen vor der Frage, ob wir vorwärts gehen wollen oder zurück zur alten Politik", dröhnte Noda in Iwaki bei strömendem Regen in die Mikrofone. Während er darauf anspielte, dass die LDP mit ihren engen Beziehungen zur Atomindustrie mitverantwortlich für den Fukushima-Unfall sei, pochte er auf das Ausstiegsszenario seiner Partei bis 2040.

Während Herausforderer Abe warb, nur die LDP werde "unser wunderschönes Land schützen", hielt ihm ein Zuhörer ein Plakat entgegen, auf dem es hieß, die LDP sei für die Atommisere verantwortlich. Abe ignorierte den Protest ganz einfach. Eine Mutter, die den Tsunami überlebt hat und noch immer in einem Übergangsquartier lebt, bringt den Frust der Wähler auf den Punkt. "Ich wünschte, der Tsunami hätte Japans Politiker geschluckt - alle zusammen", sagt sie. Wählen gehen will sie nicht. "Wer weiß, wie viel von dem, was wir wollen, überhaupt bei denen da oben ankommt", ergänzt sie.