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Politik als höhere Mathematik

Von Walter Hämmerle

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Können sechs und mehr Parteien leisten, woran schon fünf gescheitert sind? Möglich. Vielleicht wird aber auch einfach alles nur noch schlimmer.


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Fünf Parteien waren nach der Wahl 2008 im Nationalrat. Seitdem ist das Team Stronach hinzugekommen - qua politischer Zellteilung des BZÖ; Neos, Piraten, Christen und etliche andere wollen es diesem bei der Wahl gleichtun, wenngleich bei weitaus schlechteren Aussichten.

Die Grundsatzfrage aus Sicht der Bürger lautet: Stärken neue Parteien im Parlament die Qualität der Demokratie in Österreich?

Prinzipiell wohl eher ja, allerdings kommt es, wie fast immer, auf die Umstände an. Vereinfacht lässt sich sagen: Zwei Parteien sind stets besser als nur eine, ab dann kann es kompliziert werden.

In den USA scheint über Demokraten und Republikaner hinaus kein Bedarf zu bestehen. In Großbritannien, Mutter aller Zweiparteiensysteme, bevölkern derzeit drei Mittelparteien und etliche Kleinstparteien die altehrwürdigen Bänke des House of Commons. Die Effizienz der Regierungsarbeit hat ob der ungewohnten Notwendigkeit einer Koalition eher nicht profitiert; das Unterhaus selbst wurde durch die Zersplitterung der politischen Kräfte bunter, ohne jedoch an Gestaltungskraft einzubüßen.

In Deutschland hat die Entstehung einer neuen Partei das Gefüge dagegen nachhaltig verändert. Hätte sich nicht die Linkspartei in den Jahren nach 2004 aus enttäuschten Sozialdemokraten und den Überbleibseln der ehemaligen Staatspartei der DDR entwickelt, hätte die SPD heute eine Machtalternative zur Rolle des Juniorpartners in einer großen Koalition. In Deutschland hat also eine zusätzliche Partei die Chancen auf einen Machtwechsel reduziert, indem sie die Position von CDU und CSU als stärkste Partei zementierte. Weniger Demokratie trotz größerer Zahl an Parteien.

Im Bundestag ist es weniger die schiere Anzahl an Partei als der Umstand, dass Mehrheiten links der Mitte durch die Isolation der Linkspartei erschwert werden. Nur so wurde möglich, was Kanzlerin Merkel als stets unterschätzte politische Leistung würdigte: eine konservative Regierung in einem strukturell linken Land.

In Österreich ist es recht ähnlich, nur umgekehrt, wird hier die Rolle der Linkspartei von der FPÖ besetzt, was wiederum der SPÖ das Vorrecht auf den Kanzler in einem tendenziell rechten Land sichert.

Wenn sich nun die Zahl der Parteien im Nationalrat erhöht, ergibt das automatisch die Chance auf neue Regierungskombinationen; demgegenüber stehen wachsende Probleme, die Interessen einer bunten Koalition unter einen Hut zu bringen. Gut möglich, dass dann im Parteiengezänk der Wählerwille verloren geht. Italiens fragile Wahlbündnisse, auch Belgiens gespiegeltes Politiksystem sind geeignete Anschauungsbeispiele. Dagegen sitzen im schwedischen Reichstag acht Parteien - von mangelnder Regierungsfähigkeit nichts zu hören.

Mehr Demokratie bedeutet für Österreich: so konstruktive wie stabile Alternativen zur ewigen großen Koalition. Daran scheiterte bisher auch ein Fünf-Parteien-Parlament. Ob sechs und mehr Parteien es besser machen - oder doch nur SPÖ und ÖVP noch enger aneinanderbinden? Die Wochen nach dem 29. September werden es zeigen.