Nach Angriffen auf Muslimas in Favoriten, in der U-Bahn oder auf der Straße erzählen eine Frau und ein Mädchen, warum sie sich entschlossen haben, ein Kopftuch zu tragen.
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Wien. Man sitzt in einer U-Bahn und lauscht dem einschläfernden Geräusch des fahrenden Zuges. Die meisten Menschen bleiben für sich allein, spielen mit dem Telefon, lesen ein Buch oder sehen einfach gelangweilt aus dem Fenster. So auch Menerva Hammad, als zwei betrunkene Männer einsteigen und sich gezielt zu ihr setzen. Lauthals fangen sie an, darüber zu fantasieren, wie es einmal wäre, eine muslimische Frau zu vergewaltigen.
Menerva Hammad ist 25 Jahre alt, ägyptischer Abstammung und hat Publizistik studiert. Mit 18 hat sie entschieden, ein Kopftuch zu tragen, und ist seitdem immer wieder Ziel von Aggression oder Unverständnis. Einmal wurde sie angespuckt: "Das Schlimmste war dabei die Demütigung, die du spürst. Andererseits war ich dann froh, als mir ein Österreicher ein Taschentuch zugesteckt hat." Als sich vor knapp vier Wochen die beiden Betrunkenen zu Menerva gesetzt hatten und sie eine Salafistin nannten, versuchte die Akademikerin der Situation zu entkommen. "Ich dachte mir, ich bin keine Salafistin und wollte mich woanders hinsetzen. Sie folgten mir, doch mein Glück war, dass ein Bekannter einstieg. Dann gaben sie Ruhe, denn mein Bekannter sieht aus wie ein Kasten."
Die Muslima wurde zwar islamisch erzogen, aber das Kopftuch sei erst auf Nachfrage einer Schulkollegin zum Thema geworden. "Mich hat geärgert, dass ich nicht viel über diese Thematik wusste, und so habe ich begonnen zu recherchieren", erzählt sie. Im Verlauf der Nachforschungen gelangte Menerva zur Ansicht, dass sie die Kontrolle darüber habe, wer was von ihr sehen durfte. "Das, was man zum Kommunizieren braucht, sieht man sowieso."
Auch Meryem (Name von der Redaktion geändert), elf Jahre alt, trägt ein Kopftuch. Den Entschluss dazu fasste sie vergangenen Sommer: "Bereits früher wollte ich eines tragen und habe immer mit Tüchern experimentiert. Ich fand es einfach schön. Meine Eltern waren zu Beginn dagegen und meinten, ich sei für eine solche Entscheidung zu jung. Ich solle mir Zeit lassen. Diesen Sommer habe ich mich endlich durchgesetzt."
Auch Menervas Mutter war gegen das Kopftuch: "Mit 18 bin ich in Ägypten an einem Tüchergeschäft vorbeigekommen. Dort habe ich gleich 25 davon gekauft, weil sie mir gefallen haben. Ich habe vorab mit niemandem darüber gesprochen, damit es mir niemand ausredet. Als mich meine Mutter das erste Mal mit Kopftuch sah, hat sie mich nicht erkannt und wollte, dass ich es abnehme. Ein Jahr später folgte sie aber meinem Beispiel." Bei Meryem dominierte dagegen die Überraschung. "Manche Mitschüler haben mich direkt angesprochen, andere tuschelten darüber. Meine besten Freunde haben Zeit gebraucht, sich an mein verändertes Äußeres zu gewöhnen, sind aber noch immer mit mir befreundet, weil sie mich mögen. Ihnen ist egal, wie meine ‚Verpackung‘ ist."
"Kein Zwang"
Die anfänglichen Ressentiments von Menervas Mutter gegen das Kopftuch lagen in der Sorge um ihre Tochter begründet: "Sie hatte Angst, dass ich diskriminiert werde und es schwer bei der Jobsuche hätte. Aber Zwang war bei uns nie ein Thema. Ich wurde noch nie zu etwas gezwungen. Ebenso wenig meine Brüder." Auch Meryems Eltern fürchteten, dass sich ihre Tochter mit dem Tragen des Kopftuchs Angriffen aussetzen könnte. Doch die Schülerin erklärte ihren Eltern, warum sie sich mit Kopfbedeckung wohler fühlt. "Weil es mich ausmacht und zu mir gehört. Ich fühle mich damit frei, geborgen, beschützt und reifer." Die Eltern Meryems denken dennoch, dass sich ihre Tochter mit dem Kopftuch in der Öffentlichkeit einer größeren Gefahr aussetzt. Sie muss nach der Schule sofort heimkommen und darf nur in Begleitung einkaufen gehen.
Muslima und Österreicherin
Das Kopftuch wird bei muslimischen Frauen zum Thema, wenn sie die Geschlechtsreife erreichen. "Ja, aber man muss es auch wirklich wollen. Wenn ich ein Kopftuch trage, nur weil es ein Mann will, dann ist es umsonst. Und eins ist auch wichtig: Nur weil man ein Kopftuch trägt oder einen Bart im Gesicht hat, heißt das nicht, dass man ein guter Moslem ist", stellt Menerva klar. Die 25-Jährige hat die vergangenen 23 Jahre in Österreich verbracht. Seitdem sie denken kann, stand sie immer unter Druck, sich beweisen zu müssen. "Ich war ja immer das ,Mulattenkind‘ oder das ,kleine Negerlein‘." Durch die häufige Diskriminierung strebe man nach dem Gefühl, irgendwo dazuzugehören. Es gehe um Identität und Zugehörigkeit. "Ich besaß zwei Identitäten, die ich nicht zur gleichen Zeit pflegen konnte. Später habe ich mir gedacht, dass ich ja muslimische Austro-Ägypterin sein könnte. Das widerspricht sich nicht. Man kann Muslima und Österreicherin sein."
"Gehören Sie zum IS?"
Das steigende Unverständnis gegen Muslime in Wien begegnet Menerva immer sachlich. "Lautes Brüllen bringt nichts. Als mich neulich eine Frau fragte, ob ich dem IS angehöre, habe ich sie gefragt, wieso sie das glaube. Sie hat es nicht böse gemeint und antwortete, weil ich ein Kopftuch trage. Ich habe ihr dann gesagt, dass die zwei Wiener Mädchen, die zum IS gegangen sind, keine Kopftücher getragen haben. Sie waren nicht mal Muslimas. Das hat sie eingesehen. Ich sage auch oft, dass sich auch Nonnen verhüllen und Verhüllung in der Orthodoxie und im Judentum auch ein Bestandteil ist. Das bringt Menschen oft zum Nachdenken."
Das Umfeld Meryems hat allerdings nur einmal negativ auf das Kopftuch reagiert, als ihr eine Klassenkollegin das Tuch vom Kopf riss, um die Elfjährige zu ärgern. "Andere Kinder stellten mir Fragen über den Alltag: Schläfst du damit? Trägst du es daheim? Wie sieht es mit Sport aus? Die häufigste Frage ist, ob mir im Sommer damit nicht zu heiß ist", sagt sie und fügt lächelnd an: "Weder schlafe ich mit meinem Kopftuch, noch ist mir damit zu heiß."
Menerva möchte die Intoleranz einiger Menschen nicht akzeptieren und versteckt sich nicht. "Warum soll ich mich verändern, weil Leute hassen? Was wäre es für eine Welt, wenn homosexuelle Menschen sich verstecken müssten? Das Schlimmste ist, sich zu verstellen. Ich habe keine Angst um mich selbst. Wenn ich etwas fürchte, dann, dass meiner Familie etwas passiert."
11.000 Euro, um zu kämpfen
Firas Houdi, der seit Mai in Syrien kämpft, wird von Interpol gesucht. In Wien war er Menervas Nachbar. "In keiner Zeitung steht, dass der Islamische Staat Muslime tötet. Firas hat areligiös gelebt und wusste nie, was er mit seinem Leben anfangen soll. Er war Schulabbrecher. Jetzt werden ihm 11.000 Euro pro Monat vom IS angeboten. Deshalb ist er dort. Nicht wegen irgendeiner Religion. Der IS ermordet, wie gesagt, dort vor allem Muslime; Schiiten. Eigentlich sollte ich Angst haben, für sie bin ich ja eine Ungläubige", so Menerva. Sie weiß, dass es in Österreich rund eine halbe Million Muslime gibt und 150 davon beim IS sind. "Warum muss der Rest die Rechnung dafür tragen? Die anderen können nichts dafür, werden aber "generalverdächtigt". Warum sehe ich in jedem Österreicher keinen potenziellen ,Frizl’ oder einen Nazi? Weil die Medien es nicht auf diese Art und Weise kommunizieren", holt Menerva zur Medienkritik aus.
Die Bedeutung des Kopftuchs ist für beide Muslimas klar und simpel. "Für mich ist das Kopftuch ein Teil von mir. Und geht niemanden etwas an." Auch Meryem tendiert in diese Richtung: "Ich fühle mich hübsch und wohl in meiner Kleidung und möchte das selbst entscheiden, was ich trage. Egal was die anderen denken. Meine Mama sagt immer, ich soll wertschätzend zu allen Menschen sein. Das wünsche ich mir auch von anderen."
Amer Albayati, Präsident der Liberalen Muslime in Österreich (Ilmö), wird wegen seiner islamkritischen Aussagen und liberalen Haltung oft angefeindet. Er denkt jedoch nicht daran zu schweigen. "Wir sind gegen Ganzkörperverhüllung, man weiß ja nicht, was für ein Mensch dahinter steckt. Das Kopftuch aber darf kein polit-religiöses Symbol sein, sondern ist eine private Sache. Oft ist es ein gesellschaftlicher Effekt, dass Mütter dann fürchten, ihre Töchter würden ohne Kopftuch keinen Ehemann finde. Das Kopftuch wird bei vielen mit Ehre gleichgesetzt, was falsch ist. Freiwillig hat jeder das Recht, es zu tragen, aber wenn man drei- oder vierjährige Kinder dazu zwingt, müssen wir widersprechen. Die Kleinen verlieren ihre Verspieltheit und ihre Jugend." Albayati merkt zudem an, dass weltweit die meisten Muslime ohne Kopftuch sind. Diejenigen, die ihren Kopf bedecken, seien - auch in Österreich - in der Minderheit.
Auch Fuat Sanac, Präsident der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ), stellte klar, dass das Kopftuch kein Symbol ist. "Das Kopftuch ist ein Teil der Glaubenspraxis und kein Symbol. Es wäre ein arges Missverständnis, die muslimische Frau bloß aufs Kopftuch zu reduzieren. Es gibt viele andere Dinge in der Religion, die als Säulen einen hohen Stellenwert haben. Das wären, Glauben an den einen Gott, Gebet, Pflichtabgabe an Bedürftige, Fasten im Ramadan und die Pilgerfahrt nach Mekka. Daneben ist allgemein ein ethisches Verhalten, das dem Geist des Islams entspricht, besonders wichtig", sagte er. Auch mit dem Vorurteil, dass Muslima zum Kopftuch gezwungen werden, räumte er auf. "Da liegen die Wahrnehmung des Außen im Vergleich zur Wahrnehmung der Muslime ganz weit auseinander. Wie empirische Studien zeigen, tragen die allermeisten Musliminnen in Österreich das Kopftuch aus freien Stücken, nur 4 Prozent "weil es die Familie erwartet". Und nur 16 Prozent der befragten Männer waren der Meinung, die Ehegattin solle ein Kopftuch tragen.
Recht auf Selbstbestimmung
Frauen müssen laut Sanac das Kopftuch tragen, wenn die religiöse Mündigkeit einsetzt. "Das Recht auf Selbstbestimmung ist hier sehr wichtig. Aus religiöser Sicht kommt es zum Tragen des Kopftuches, wenn die religiöse Mündigkeit einsetzt. Wie generell beim Ausüben der Religion geht es hier um individuelle Entscheidungen, die mit der eigenen Gläubigkeit zu tun haben. Die Motive von Kopftuchträgerinnen sind da auch sehr individuell. Der Glaube ist dabei aber das zentrale Motiv", so der Präsident der Islamischen Glaubensgemeinschaft.
Das Bedecken von Haaren sei aber keine rein muslimische Angelegenheit. "Im orthodoxen Judentum bedecken Frauen ihr Haar. Auch dem Christentum ist das Kopftuch nicht völlig fremd. Die Großmüttergeneration hat in der Kirche noch einen Schleier aufgesetzt. Frauen, die den Papst besuchen, bedecken ebenfalls ihr Haar", so Sanac.
Die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich will vor allem für das Selbstbestimmungsrecht der Frauen eintreten. "Im gleichen Atemzug stellen wir uns aber gegen die ideologische Instrumentalisierung des Kopftuchs. Diese existiert nämlich in beide Richtungen: Zwang zum Tragen und Zwang zum Ausziehen. Beide Haltungen sind Extreme und greifen in die Mündigkeit von Frauen ein. Diese Haltungen missbrauchen meiner Meinung nach die Sichtbarkeit des Kopftuchs, beziehungsweise des Ablegens, um auf den Köpfen der Frauen Politik zu betreiben."