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Politik braucht Flexibilität

Von Heinz Kienzl

Gastkommentare
Heinz Kienzl war Generaldirektor der Nationalbank. Er ist Vorstandsmitglied der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik. Foto: Alexander Ch. Wulz

"Ja, die Zeit ändert viel . . ." - der Satz von Johann Nestroy passt auch auf Österreichs Verhältnis zur Europäischen Union.


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Vor 70 Jahren wurden die Römischen Verträge beschlossen, und in der Folge kam auch die Frage auf, ob Österreich der nunmehr geplanten Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) beitreten sollte.

Die SPÖ ließ in den 1970ern eine wahre Propagandawalze gegen den Beitritt laufen, mit der Argumentation, die EWG sei ein Konstrukt von Kartellen und Konzernen. Franz Nemschak, der damalige Leiter des Wirtschaftsforschungsinstituts, drängte mich, im Gewerkschaftsbund Stimmung für einen Beitritt Österreichs zur EWG zu machen. Offensichtlich war ich erfolgreich, denn Kanzler Bruno Kreisky rief mich zu einem Gespräch und sagte zu mir: "Du verstehst das nicht, die Sowjets lassen uns nicht beitreten, aber sie werden nicht selbst aktiv werden, sondern die Franzosen vorschieben, die ja einen Anschluss-Komplex haben." Ich erwiderte: "Warum sagst du das nicht in der Öffentlichkeit? Da wären wir alle auf deiner Linie!" Darauf Kreisky: "Eher beiße ich mir die Zunge ab, als dass ich zugebe, dass wir ein halbsouveräner Staat sind!"

Den Fall griff dann die Freiheitliche Partei auf, und vor allem Jörg Haider bedrängte die Bundesregierung, der EWG beizutreten. Ob Kreisky auch zu ihm einmal gesagt hat, dass das nicht gehe, weiß ich nicht - jedenfalls hat es ihn nicht gestoppt. Über eine andauernde Kritik an der EU haben dann die Freiheitliche in unseren Tagen zu einer gedämpft positiven Haltung gefunden.

Selbst die Europapartei ÖVP hatte ihre Probleme mit der EU: Bei den Beitrittsverhandlungen war die Transitfrage ein arger Stolperstein, aber viel entscheidender war die Landwirtschaft. Vizekanzler Erhard Busek musste eingreifen, um die Weichen zu stellen - und kurioserweise zeigte sich bald, dass von allen Wirtschaftszweigen in Österreich die Landwirtschaft am meisten von der EU-Mitgliedschaft profitierte.

Von Gegnern zu Befürwortern der Europäischen Union

In den 1980ern bildeten umweltbesorgte Persönlichkeiten die neue Partei der Grünen, und als es bei der Volksabstimmung über den Beitritt zur EU zum Offenbarungseid kam, agitierten die Grünen und die FPÖ gegen den Beitritt. Kanzler Franz Vranitzky hatte vorher schon die SPÖ von den Vorteilen der EU-Mitgliedschaft überzeugt und nur bedauert, dass er für einige Nachbarstaaten nicht die Tür offen halten konnte.

Inzwischen sind die Grünen gereift, und ihr ehemaliger Obmann, Alexander Van der Bellen, ist in seiner Kampagne zur Bundespräsidentenwahl im Vorjahr sogar so weit gegangen, sich festzulegen, dass er - falls er gewählt würde - niemanden zum Bundeskanzler angelobe, der offen für einen Austritt Österreichs aus der Europäischen Union eintrete.

Wutbürger und strenge Kritiker unserer politischen Führung könnten nun unsere Parteien für Wendehälse und die Politiker für Opportunisten halten, aber die politische Führung kann ja nicht die Aufgabe haben, die Nation in ein ehrenvolles Debakel zu führen, sondern muss flexibel sein, um dem Volk ein gutes Leben zu ermöglichen, soweit es überhaupt in ihrer Macht steht. All die über die Wendejacken Empörten mögen eine persönliche Bilanz darüber ziehen, wie gut es ihnen im besten Österreich, das es je gab, geht.