Zum Hauptinhalt springen

"Politik entscheidet, was wahr ist"

Von Katharina Schmidt

Politik
Ludwig Steiner fordert Fakten statt Vermutungen. Foto: Strasser

Vorsitzführung sollte unabhängigem Rechtskundigen vorbehalten sein. | Steiner: Arbeit im Ausschuss dauert "leicht zwei Jahre". | "Wiener Zeitung": Sie waren Vorsitzender der Untersuchungsausschüsse zu Noricum und Lucona. Für wie sinnvoll halten Sie solche Gremien generell?


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 16 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Ludwig Steiner: Natürlich ist es wichtig, dass es einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss gibt. Genauso, wie die parlamentarischen Anfragen im Plenum eine vernünftige Methode sind. Aber ein U-Ausschuss verlangt ein gewisses Verantwortungsbewusstsein der Beteiligten: Diese dürfen nicht der Versuchung erliegen, damit eine Profilierungsneurose zu befriedigen oder einfach aus partei- und tagespolitischen Opportunitäten Personen anzuschütten, ohne es zu beweisen. Es ist auch - das haben die letzten beiden U-Ausschüsse besonders gezeigt - Brauch geworden, zuerst Vermutungen hinauszublasen, in der Hoffnung, dass schon etwas hängen bleibt.

Was kann der Ausschuss überhaupt bewirken?

In der Bevölkerung wird oft übersehen, dass der U-Ausschuss einen Bericht beschließt und an das Plenum weiterleitet. Dann entscheidet das Plenum, was die wirkliche Wahrheit ist. Die Wahrheit ist eine politische Entscheidung. Schwierig ist auch die Frage der Vorsitzführung. Ich war ja auch als Parlamentarier Vorsitzender, aber es ist mir bewusst, dass ein Mandatar, der den Vorsitz führt und gleichzeitig die tagespolitische Arbeit macht, natürlich immer wieder in einer schwierigen Situation ist. Es gehört sehr viel Selbstkontrolle dazu, als Vorsitzender zumindest einigermaßen die Objektivität zu wahren. Der Vorsitzende muss auch eine gewisse Führungsqualität haben. Er muss den Mut haben, Auswüchse zu stoppen und nicht aufzublasen.

Wäre es dann nicht besser, den Vorsitz einer rechtskundigen Person zu überlassen, die nicht in die Arbeit des Parlaments eingebunden ist?

Ich war lange Zeit der Überzeugung, dass es ein Parlamentarier sein muss. Die letzten zwei oder drei Ausschüsse haben aber gezeigt, dass dies auch problematisch sein kann und es wirklich besser wäre, man würde einer Persönlichkeit außerhalb des Parlaments, aber mit hohem Prestige als Rechtskundiger, den Vorsitz überlassen. Das ist keine Abwertung des Parlaments, sondern es täte dem Sinn der Untersuchung gut. Schließlich ist die Untersuchung nicht einfach tagespolitisches Geschehen, sondern dazu da, gewisse Fehlerquellen in Verwaltung und Gesetzen aufzuzeigen.

Es ist im Zusammenhang mit den Innenministeriums-Akten viel über Datenschutz diskutiert worden - kann ein U-Ausschuss den Datenschutz gewährleisten?

Der U-Ausschuss hat selbstverständlich alle Gesetze zu beachten - darunter auch die Frage des Datenschutzes. Wenn ein Minister aber einen Akt mit relevanten Daten, die unter den Datenschutz fallen, vorlegt, so trägt er die Verantwortung. Er könnte zivil- und strafrechtlich für Schäden, die aus dem Missbrauch von Daten entstehen, zur Verantwortung gezogen werden. Damit kann er nicht einfach ein paar Akten herausgeben, damit der U-Ausschuss zufrieden ist. Die Parlamentarier müssten hier Verständnis haben, denn es kann dem Ausschuss nicht gut tun, einen neuen Streit zu eröffnen, wenn Daten an die Öffentlichkeit gelangen. Das sehen wir jetzt im Fall Kampusch. Mich hat auch gewundert, dass die Justizministerin die Personaldaten so leicht herausgegeben hat. Ich glaube, das war nicht richtig. Auch würde ich nicht die Hand dafür ins Feuer legen, dass es in der heutigen Zusammensetzung der U-Ausschüsse nicht auch zu Fehlerquellen kommen kann.

Was meinen Sie mit "heutiger Zusammensetzung"?

Zu 50 oder 60 Prozent sitzen heute die gleichen Leute im U-Ausschuss, wie in den letzten beiden. Man muss annehmen, dass sie sich wieder gleich benehmen werden. Es gibt ein paar Leute, die Olympische Spiele im Sinne eines Chefaufdeckers der Nation spielen wollen - das ist nicht das Richtige für objektive Entscheidungen.

Was aber dem Vernehmen nach in den Personalakten steht, ist die politische Zugehörigkeit. Und möglicher Postenschacher ist eben Teil des Prüfauftrags ...

Es wundert mich, dass sich heute ausgerechnet die Linke über das Innenministerium aufregt, wo über Jahrzehnte die Farbe eindeutig war. Ich bin durchaus gegen Protektionswirtschaft, aber es kommt dann auch irgendwo zu einem gewissen Nachholbedarf.

Wie war die Aktenlage bei Noricum und Lucona?

Akten hatten wir viele - allein 250.000 Seiten beim Noricum-Ausschuss. Es ist daher wichtig, dass der Vorsitzende die Arbeit im Ausschuss strukturiert. Aber die Struktur an sich ist natürlich heiß umkämpft, weil sie teils schon die Richtung anzeigt, in die der Ausschuss gehen könnte.

Ausschuss-Chef Peter Fichtenbauer bringt schon eine Struktur hinein ...

Ich bin weit entfernt von einer Vorverurteilung. Aber es ist schon unglaublich, wie leicht man dem Verlangen nach Zeugen nachgegeben hat. Mit rund 250 Zeugen ist das eine Übung, die über zwei Jahre geht - und dann ist sie ohnedies nicht mehr publikumswirksam.

Auch der Prüfauftrag ist sehr umfangreich. Wird man überhaupt Ergebnisse finden?

Die Frage ist nicht unberechtigt, weil aus den letzten beiden U-Ausschüssen auch nichts Greifbares herausgekommen ist. Diese Inflation der Zeugen, die unselige Befragung nach allen Seiten, wird nicht die Qualität verbessern. Im Gegenteil: Zum Schluss kennt sich kein Mensch mehr aus. Es ist auch wichtig, dass Fakten vorgelegt werden, dann kann man darüber urteilen. Wie soll das gehen, wenn man aus einem Wust von tausenden Seiten herausfiltern soll, ob überhaupt etwas passiert ist?

Waren die Haidinger-Vorwürfe zu unkonkret, um einen U-Ausschuss einzurichten?

Ich glaube nicht, dass das eine oder andere E-Mail schon dafür ausreicht.

Wie lange wird der U-Ausschuss arbeiten?

Das wird leicht zwei Jahre dauern. Wenn in der Zwischenzeit eine Neuwahl ausbricht, dann ist das Ganze wieder hinfällig.

Zur Person

Ludwig Steiner, geboren 1922 in Innsbruck, studierte Volkswirtschaft. Von 1953 bis 1958 war er Sekretär von ÖVP-Bundeskanzler Julius Raab, bevor er als Staatssekretär ins Außenministerium ging. Elf Jahre lang saß Steiner auch als ÖVP-Mandatar im Nationalrat und den U-Ausschüssen zu Lucona (1988/89) und Noricum (1989/90) vor. Von 2001 bis 2005 war er zudem Chef des Entschädigungsfonds für NS-Zwangsarbeiter.