Der Sozialstaat im Kontext von Globalisierung, Digitalisierung und nachhaltiger Entwicklung.
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Glaubt man einem aktuellen Ranking der Boston Consulting Group, dann ist Österreich das viertwohlhabendste Land der Welt. Wir sind also reich. Und dennoch werden Ängste geschürt - vor dem Verlust an Wettbewerbsfähigkeit, dem nicht mehr leistbaren Sozialstaat, den zu vielen Flüchtlingen. Warum?
Wie über den Wohlfahrtsstaat diskutiert wird, prägt nicht nur die Bilder über unsere Zukunft, sondern hat wesentlichen Einfluss auf die Lebensverhältnisse der Menschen. Ein Debattenstrang rekurriert auf den "überforderten Sozialstaat". Dieser sei nicht mehr leistbar, die Bürger müssten wieder mehr in die Pflicht genommen werden. Zu hohe Sozialleistungen würden die Anreize zu eigener Leistung konterkarieren. Vorgeschlagen werden Kürzungen bei Ausgaben und Transferleistungen, meist in Verbindung mit allgemeinen Steuersenkungen, um die Staatsquote zu verringern.
Ein zweiter Debattenstrang zielt auf die Erneuerung des Sozialstaats im Kontext des digitalen beziehungsweise des Finanzmarktkapitalismus. Vorgeschlagen werden neue Finanzierungsquellen für den Staat - die Ideen reichen von Ressourcen- über höhere Vermögens- bis zu Finanztransaktions- und Datentransfersteuern (um aufstrebende Internetfirmen an die Kandare zu nehmen).
Ein dritter Debattenstrang bedient populistische Ressentiments und sieht die Probleme allein in Zuwanderung und hohen Flüchtlingskosten. Vorhandene Zukunftsängste - ob real oder nur gefühlt - werden kanalisiert auf die Schwächsten in der Gesellschaft. Auch wenn die Fakten dabei unter den Tisch fallen: Die bedarfsorientierte Mindestsicherung macht derzeit 0,8 Prozent aller Sozialausgaben aus - ein kleiner Teil davon geht an Asylberechtigte.
Die erste Argumentationslinie ist insoweit nachvollziehbar, als jede Gesellschaft auf Eigeninitiative und Bürgerengagement angewiesen ist. Die Gefahr liegt in der Ausgrenzung gerade jener, die in unserer Hochleistungsgesellschaft ohnedies einen schweren Stand haben. Wer Versagen nur individuell festmacht und nicht (auch) an den Verhältnissen, verkürzt die Problemwahrnehmung.
Gute Gründe gibt es für die zweite Position: Mit dem Wandel des Kapitalismus müssen sich die Strategien seiner Zähmung ändern. Das Unerwünschte - Umweltzerstörung, übermäßige Anhäufung von Reichtum, ökonomische Machtkonzentration - zu besteuern, um damit öffentliche Aufgaben weiterhin leistbar zu halten, ergibt Sinn.
Strittig bleibt, ob hierfür weiter Wirtschaftswachstum nötig ist, um die Arbeitslosigkeit gering zu halten. Die Umkehrung der Zeit-Geld-Präferenz könnte neuen Arbeitszeitmodellen Auftrieb geben. Manche sind für ein Grundeinkommen als Ausweg aus dem Rationalisierungsdilemma. Auch die Umstellung der Sozialsysteme von Lebensstandard- auf Grundsicherung wird diskutiert - derzeit bezuschusst der Staat ja auch hohe Pensionen.
Das Ziel von Politik muss sein, dem guten Leben für alle zu dienen und die Rahmenbedingungen zu schaffen. Der Ausbau öffentlicher Leistungen entspricht einer nachhaltigen Wachstumsstrategie, wenn zugleich der private Statuskonsum zurückgedrängt wird. Neue Narrative dazu wären auch die wirksamste Strategie gegen populistische Verführer.