Franz Vranitzky, Heinrich Neisser, Norbert Steger und Terezija Stoisits im Streitgespräch über Österreich.
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Wien. Wenn Vorgänger auf ihre Nachfolger zurückblicken, wandelt man stets am Abgrund einer "Früher war alles besser"-Suada. Genau dies nicht zu tun, war ausdrücklicher Wille der Runde prominenter ehemaliger Politiker von SPÖ, ÖVP, FPÖ und Grünen. Ganz ist es nicht gelungen, es geht ja schließlich um Österreich.
"Wiener Zeitung": Wann haben Sie sich das letzte Mal so richtig über die Innenpolitik geärgert?Norbert Steger: Das Alter bringt es mit sich, dass etliches an einem abprallt. Was mir mehr missfällt, ist, dass die großen Bögen in der Politik nicht mehr sichtbar sind; es hat schon einen Grund, dass sich die Menschen von den Politikern und den Parteien abwenden. Ich war ja auch nicht perfekt, aber die Politiker müssen endlich verstehen, dass sie selbst schuld sind, wenn ihre eigene Handschrift von den Bürgern nicht mehr erkannt wird. Unsere Politik wird viel zu sehr von der Tagespolitik beherrscht, das größere Ganze gerät aus dem Blick. Das gilt besonders für die Europapolitik.
Teilen Sie diesen Befund?Terezija Stoisits: Die Politik will leider nicht verstehen, dass die Bevölkerung es satt hat, von Entscheidungen ausgeschlossen zu werden. Die einzige sogenannte demokratiepolitische Maßnahme der letzten Jahre war die Verlängerung der Legislaturperiode von vier auf fünf Jahre mit der Begründung, mehr Zeit für die Lösung der großen Probleme zu erlangen. Und wo stehen wir jetzt? Der Glaubwürdigkeitsverlust in die Politik ist größer als je zuvor. Die Leute wollen sich einmischen, man lässt sie aber nicht.
Franz Vranitzky: Tatsächlich ist es schade, dass die zwei Regierungsparteien wichtige Politikfelder nicht intensiv bearbeiten und die Bürger dabei mitnehmen. Die Folge ist, dass Randgruppen diese Themen mit Ansichten besetzen, die, um es vorsichtig zu sagen, nicht sinnvoll sind. Europa ist sicher ein Beispiel, hier gebe ich Steger recht. Österreichs Politik ergeht es hier so wie fast allen anderen EU-Staaten: Es gelingt der Politik auch nach so vielen Jahren nicht, ihr nationalstaatliches Korsett abzuwerfen und sich den viel größeren Mantel der europäischen Gemeinsamkeit überzustreifen.
Stoisits: Ja, Globalisierung und globale Krisen brauchen nun einmal gemeinsame Strategien und daher mehr Europa und nicht weniger. Es ist verantwortungslos, den Bürgern vorzumachen, Europa sei das Problem. Die meisten Politiker glauben immer noch, Europa liege im Ausland.
Der Verlust der großen Linien, das Abrutschen ins Kleinkarierte: Hat bisher nicht jede Generation so auf ihre Nachfolger zurückgeblickt? Wahrscheinlich werden Faymann und Spindelegger in zwanzig Jahren ganz ähnlich formulieren.Heinrich Neisser: Wenn man feststellt, dass sich die Politik geändert hat, muss man dazu sagen, dass sich auch die Menschen geändert haben. Ich will nicht zu denen gehören, die zurückblicken und behaupten, alles sei schlechter geworden, das stimmt auch nicht. Und trotzdem muss ich die Kritik von Steger und Vranitzky bestätigen, ja sogar noch verstärken: Es fehlen nicht nur die großen Linien, die Politik hat das Nachdenken verlernt. Wir haben einen Grad an Oberflächlichkeit erreicht, der bedrückend ist: Politik ist nur noch Entertainment ohne Inhalt. Und es ist wahr, dass Europa verschwiegen wird. Man geht dem Thema einfach aus dem Weg.
Steger: Lassen Sie mich noch ein bezeichnendes Beispiel einbringen: Neisser gehört zu jenen, die ein anderes Wahlrecht fordern, bei dem die Wähler direkter mitbestimmen können als derzeit, wer regiert. Ich sehe das zwar anders, aber dies spielt in diesem Fall keine Rolle. Entscheidend ist, dass es hier um eine eminent wichtige Frage geht. Aber die Politik weigert sich, darüber ehrlich zu diskutieren.
Warum ist das so, wie haben sich Parteien und Politiker verändert?Steger: Das hängt mit dem Auswahlsystem von Politikern zusammen. Die Aussicht auf die Ochsentour zieht die klugen Köpfe schon lange nicht mehr an.
Vranitzky: Ich will nicht so tun, als ob ich alles besser wüsste, aber meinem Eindruck nach nehmen die Politiker bei den wirklich wichtigen Themen die Wähler zu wenig mit. Man darf das nicht auf Marketing und Kommunikation beschränken, man muss ständig mit der Bevölkerung kommunizieren. Weil das kaum mehr geschieht, sind vielen zentrale Zusammenhänge nicht mehr bewusst. Das wird zum Teufelskreislauf: Weil den Menschen niemand mehr die Zusammenhänge erläutert, blocken sie bei solchen Themen ab, was dazu führt, dass die Politik diese Themen erst gar nicht anspricht.
Mit Verlaub: Die Bevölkerung von politischen Themen fernzuhalten, war das Erfolgsrezept nach 1945. Kompromisse wurden von den Sozialpartnern hinter verschlossenen Türen ausverhandelt, öffentliche Debatten waren die Ausnahme. Der Umgang mit der Neutralität ist ein Beispiel, Pensionen, Schulden oder Integration sind weitere.Vranitzky: Ich will nicht alles Vergangene schlechtreden. Dass dieses Land ökonomisch, sozial und ökologisch gut aufgestellt, kann niemand bezweifeln. Deshalb halte ich es mit dem Ökonomen Karl Aiginger: Wir dürfen uns damit nicht begnügen und müssen an morgen und übermorgen denken. Und zur Neutralität: Wir dürfen nicht übersehen, dass diese Frage in den 50er Jahren auch emotional einen ganz anderen Stellenwert besaß als jetzt, im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts. Aber auch hier gilt: Man muss die Menschen mitnehmen. Dazu gehört auch, dass wir uns von Leopold Kohrs Diktum "small is beautiful" endlich verabschieden. Der Satz hat heute keine Bedeutung mehr. Das gilt auch für die Forderung, wir müssten unsere Souveränität verteidigen. Wo wir eingebettet sind in Europa oder in die Welt, sind wir nicht mehr souverän. Aber durch ein geeintes Europa schaffen wir eine neue, für einen Kleinstaat viel plausiblere Souveränität. Weniger Abhängigkeit von russischem Gas geht etwa nur durch mehr europäische Integration.
Neisser: Europapolitisch bin ich völlig d’accord, nur bei Kohr wäre ich vorsichtig: Gut möglich, dass in manchen Bereichen sein Motto doch wieder an Attraktivität gewinnt. Die Globalisierung führt nämlich zur verstärkten Zusammenarbeit auch in kleineren Regionen, wenngleich sich diese nicht mehr an staatliche Grenzen halten. Das Problem ist, dass wir zwar eine globalisierte Welt, aber noch nicht die entsprechende politische Ordnung besitzen.
Vranitzky: Das ist kein Widerspruch, die Regionalisierung ist ja längst im EU-Recht als Subsidiaritätsprinzip verankert - wir müssten es nur leben.
Steger: Verzeihen Sie, aber da muss ich widersprechen. Mein größter Fehler in der Auseinandersetzung mit Jörg Haider war es zu glauben, man könne mit intellektuellen Argumenten gegen Emotionen gewinnen. Leider habe ich mich geirrt. Intellektuell kann man nur Intellektuelle überzeugen. Und nur ein wirklich begabter Politiker vermag, intellektuelle Argumente mit Emotionen zu verknüpfen. Ihnen, Herr Dr. Vranitzky, ist das bei Ihrer Rede zur Mitverantwortung Österreichs an den NS-Verbrechen gelungen. Natürlich war die Zeit auch reif dafür. Bei einer anderen wichtigen Frage ist unsere Generation allerdings gescheitert: Die Leute haben das Gefühl, egal wie sie wählen, es kommt immer die gleiche Regierung heraus. Das halte ich für eine gefährliche Entwicklung, weil sie dazu führt, dass die Demokratie weniger ernst genommen wird. Ich respektiere die Entscheidung jeder Partei, wenn sie mit einer anderen nicht koalieren will, aber mir fehlt die Bereitschaft, dass alle miteinander reden können. Niemand kann sich darüber beschweren, wenn die FPÖ mit gewissen Themen Zulauf von den Wählern hat, wenn die anderen Parteien diese Themen gar nicht ansprechen.
Neisser: Warum gelingt es uns nicht, jenes offene Klima zu erzeugen, das zur Erkenntnis führt, dass Demokratie politische Auseinandersetzungen braucht? Die Antwort ist nicht einfach, und obwohl auch die Medien eine gewisse Verantwortung tragen, will ich ihnen nicht die Hauptschuld geben. Die Wahrheit ist, dass der Stil der Parteien nicht dazu taugt. Wie jetzt etwa die Demokratiediskussion wieder in die Garage gefahren wird, das halte ich für skandalös. Wenn man über die zentralen Fragen der Demokratie nicht einmal mehr diskutieren will, dann zeugt das von Verantwortungslosigkeit der regierenden Parteien. Ständig reden alle davon, wie notwendig Dialog ist, aber er findet nie statt. Bei der Neutralitätsfrage leben wir seit Jahren mit einer Lebenslüge, das müssen wir auch uns selbst vorwerfen.
Kann sich Österreichs Politik am eigenen Schopf aus dem Schlamassel ziehen, in das sich die Parteien hineinmanövriert haben?Stoisits: Ja, aber nur, wenn sich Beteiligungsprozesse und Diskurse ändern. Die Zivilgesellschaft und NGO werden viel zu wenig beachtet, Politik hat die Chance, ihr ramponiertes Image durch den Ausbau von Beteiligungsmöglichkeiten zu sanieren.
Vranitzky: Ich möchte die Hoffnung nicht aufgeben, dass sich nach dem 29. September der neue Nationalrat mit der Kritik am Zustand des Parlamentarismus und der Demokratie auseinandersetzt. Die Abgeordneten sind in ihren ureigensten Angelegenheiten einfach nicht aktiv genug gewesen. Dass etwa die Regierung das Parlament von außen wissen ließ, wie viele Mitglieder es haben soll, war bezeichnend. Wenigstens dagegen haben sich die Abgeordneten gewehrt.
Steger: Da hatten sie ja auch ein eminentes Eigeninteresse.
Vranitzky: Natürlich, aber es war immerhin ein Lebenszeichen.
Es gibt in unserer Demokratie ein merkwürdiges Paradoxon: Obwohl es uns immer besser geht, fällt es der Politik schwer, schmerzhafte Entscheidungen zu treffen. Die offizielle Staatsschuld liegt bei rund 230 Milliarden Euro, aber unsere Universitäten sind immer noch massiv unterfinanziert. Warum gewinnt immer die Gegenwart auf Kosten der Zukunft?Stoisits: Es fehlt ganz einfach die Einsicht, dass der Zugang zur Bildung die zentrale Gerechtigkeitsfrage ist.
Vranitzky: Wir mussten in den vergangenen fünf Jahren durch die schwerste Wirtschaftskrise seit 1945, und diese Regierung hat sich dabei recht gut geschlagen. Man kann nicht alles gleichzeitig machen: Schulden abbauen und Krisen bewältigen.
Steger: Allerdings wurde die Krise mit einem kräftigen Finanzvorgriff zulasten der nächsten Generation bekämpft.
Aber ich möchte noch etwas anderes ansprechen, was erheblich zum Politikfrust beiträgt: Dass in den 50er Jahren, als SPÖ und ÖVP gemeinsam auf 90 Prozent kamen, das Land rot-schwarz aufgeteilt war, verstehe ich. Aber warum ist das heute immer noch so, wo beide Parteien nur mehr knapp über 50 Prozent haben? Ein bisschen mehr von Ralf Dahrendorfs offener Gesellschaft würde diesem Land guttun.
Stoisits: Dieses Land gehört weder SPÖ noch ÖVP und deshalb kann und darf es auch nicht geführt werden wie ein Familienunternehmen mit dynastischem Denken. Wir brauchen mehr Transparenz und weniger Parteibuch - und Kontrolle auf allen Ebenen, das gilt vor allem auch für die Bundesländer.
Neisser: Ich halte das für eine der Kernfragen dieses Landes, doch dazu müssten sich zuvor die Parteien selbst öffnen - und gerade SPÖ und ÖVP, eben weil sie Regierungsverantwortung tragen. Tatsächlich geschieht das Gegenteil. Leider ist das eine Frage des Instinktes und der politischen Kultur der handelnden Akteure.
Vranitzky: Ich kann dem meisten zustimmen, aber nicht allem. Ich habe in den 80er Jahren erhebliche Umstrukturierungen bei der Verstaatlichten durchführen müssen. Neben den betriebswirtschaftlichen Reformen ging es auch um die Beseitigung des Regierungseinflusses auf die Personalpolitik der Unternehmen. Das ist heute selbstverständlich, wie der aktuelle Voest-Vorstandschef nicht müde wird zu betonen. Auch der jetzige Präsident des Verfassungsgerichts ist weder rot noch schwarz. Also ganz so umfassend ist der Zugriff von SPÖ und ÖVP doch nicht.
Neisser: Wir dürfen eines nicht vergessen: Es wird sich die Parteienlandschaft grundlegend verändern. Wir, die wir hier sitzen, spiegeln die Landschaft Ende der 80er wider. Wir erleben ja jetzt schon das Aufkommen neuer Gruppierungen, etwa Piraten, Neos, Stronach.
Steger: Wenn es einer der beiden großen Parteien gelingt, sich wirklich zu öffnen, dann könnte diese Partei den Umschwung schaffen und zur Abwechslung auch einmal Wahlen gewinnen, statt immer nur zu verlieren.
Vranitzky: Es wäre schon ein Fortschritt, wenn sich die Bundesregierung gegenüber den sogenannten Landeskaisern emanzipieren könnte. Da wurde monatelang diskutiert, ob Bildung nicht Sache der Länder sein soll - und schließlich hat sich die Koalition fast Hilfe suchend an die Sozialpartner gewendet, wobei es sich im Fall der Lehrergewerkschaft ja eigentlich gegenüber der Regierung um Sozialgegner handelt.
Die Regierung hätte allerdings jederzeit ihre Pläne ins Parlament einbringen können, das Nicht-Entscheiden ist hier eher eine Frage mangelnden Mutes der Koalition.Neisser: Durch diese Debatte haben wir unseren Blick auf das Thema Bildung völlig verengt. Wir bräuchten einen völlig neuen Diskussionsstil, nicht nur beim Thema Bildung, sondern auch für Demokratiefragen und Pensionen.
Stoisits: Richtig, solange es um Lehrerbeschäftigungspolitik statt Bildungspolitik geht, sehe ich kein Licht am Horizont.
Steger: Einverstanden, wenn ein Punkt hinzu kommt: eine ehrliche Debatte darüber, wofür wir unser Geld ausgeben.
Jüngere verstehen nicht, warum alle nur vom Ausgeben reden, aber keiner davon, wie die Schulden weniger werden könnten.Vranitzky: Wir haben zu viele Kreisverkehre ohne Ausfahrt. Ich will ja nicht parteipolitisch werden, aber die Lehrergewerkschaft im ÖGB wird von der Fraktion Christlicher Gewerkschafter dominiert; die ist bekanntlich mit dem ÖAAB stark verflochten und der Obmann der ÖVP, Michael Spindelegger, war zuvor Obmann des ÖAAB. Da kann also nur schwer etwas herauskommen.
Das Bild vom Kreisverkehr ohne Ausfahrt trifft auch auf die SPÖ bei den Pensionen zu. Der ÖGB ist von der Fraktion sozialdemokratischer Gewerkschafter beherrscht, die ist wiederum eng mit der SPÖ verbunden. Und Sozialminister Hundstorfer war zuvor ÖGB-Präsident. Dass die Hacklerpension nicht schneller abgeschafft wurde, hat die Steuerzahler Milliarden gekostet. Wäre es nicht an der Zeit, diese Verflechtung von SPÖ und ÖVP mit den Sozialpartnern aufzubrechen?Steger: Das muss früher oder später kommen, so wie man auch bei der Verstaatlichten reagieren musste. Ob es mit diesen Personen gelingt, weiß ich nicht, zumal unsicher ist, wer den Wahlabend politisch überleben wird.
Wie soll das geschehen, wenn sich doch beide Parteien auf ihre Kernstrukturen verengen: die SPÖ auf Gewerkschafter und Pensionisten, die ÖVP auf Beamte und Bauern?Stoisits: Erstens, ohne ein entsprechendes Ergebnis bei der Wahl wird es nicht gehen; zweitens, es muss Schluss sein mit dem bloßen Durchwinken von Regierungsvorlagen im Parlament; drittens, weniger Föderalismus und mehr Transparenz bei Personalentscheidungen.
Neisser: Wir brauchen Politiker mit einer neuen Mentalität, wir müssen weg von diesen Wahlgeschenksverteilern. Der 28. September 2008, als die Regierung mit erheblicher Unterstützung der Opposition unmittelbar vor der Wahl Milliarden verteilt hat, war ein denkwürdiger Tiefpunkt.
Vranitzky: Es wäre schon ein großer Schritt vorwärts, wenn die neue Regierung einen Entwurf vorlegen würde, der auflistet, wie die vor uns liegenden Aufgaben gelöst werden können. Darin könnte auch das Prinzip des Gesamtzusammenhangs verankert werden, das verhindert, dass etwa bei einer Steuerreform nicht einfach nur zwei Steuersätze verändert werden, wie es die Finanzministerin vorschlägt. Man muss schon auch dazu sagen, wie das finanziert werden soll.
Trauen Sie SPÖ und ÖVP diese Wandlung zu?Steger: Schwer zu sagen. Das Parlament muss mit mehr Selbstbewusstsein zum gleichberechtigten Partner der Regierung werden, die Justiz muss unabhängig ermitteln - und die Medien als vierte Gewalt sollen ihre Privilegien im Sinne der Republik einsetzen und nicht für die Sicherung eigener Interessen.
Neisser: Man kann das Parlament nur über die Abgeordneten verändern. Deswegen ist auch ein stärker personenzentriertes Wahlrecht so entscheidend. Natürlich brauchen wir Fraktionen, die eine gewisse Linie vorgeben. Was fehlt, ist der Mut zu einem individuellen kritischen Diskurs. Es ist ja kein Naturgesetz, dass die Regierungsfraktionen die Regierung verteidigen und die Opposition sie attackiert. Wir brauchen den freien unabhängigen Abgeordneten, der sich auch in der eigenen Fraktion etwas zu sagen traut. Damit muss auch eine Partei zurande kommen. Wie das Parlament etwa die Frage der Renovierung des eigenen Hauses angeht, ist ein Trauerspiel.
Vranitzky: Ich sehe seit einigen Jahren die bedauerliche Tendenz der Politiker, sich selbst klein zu machen; das beginnt beim Gehalt und endet beim Parlamentsgebäude. Ich plädiere für ein selbstbewusstes Umdenken. Wenn nicht, befürchte ich wachsende Nachfrage nach einem starken Mann in der Politik.
Zur Person
Zur Person
Heinrich Neisser, geb. 1936, war Staatssekretär (1969-70) unter Josef Klaus, Minister für Föderalismus (1987-89), ÖVP-Klubchef (1990-94) und Zweiter Nationalratspräsident (1994-99). Anschließend lehrte der promovierte Verfassungsjurist Politikwissenschaft an der Universität Innsbruck mit Schwerpunkt auf Europa. Heute engagiert er sich für eine Demokratiereform.
Franz Vranitzky, geb. 1937, war Bundeskanzler (1986-97) und SPÖ-Vorsitzender (1988-97). 1970 begann der Handelswissenschafter als Berater von Finanzminister Androsch, 1981-84 war er Generaldirektor der Länderbank. 1984 kehrte er als Finanzminister in die Politik zurück. Nach 1997 war er Konsulent der WestLB und Aufsichtsrat bei Stronachs Magna.
Zur Person
Zur Person
Terezija Stoisits,geb. 1958 war bis Juni Volksanwältin. Die Grünen-Politikerin und Burgenlandkroatin zog 1990 erstmals in den Nationalrat ein. Ihren Berufsweg startete die Juristin im Unterrichtsministerium. Politisch engagierte sich Stoisits, die mit Bruno Aigner, dem Pressesprecher von Bundespräsident Fischer verheiratet ist, für Menschenrechte und Minderheiten.
Norbert Steger, geb. 1944, war von 1983-87 Vizekanzler und Handelsminister der rot-blauen Koalition. Als FPÖ-Obmann seit 1980 wurde der Liberale 1986 von Jörg Haider gestürzt. Für die FPÖ sitzt der Rechtsanwalt seit 2010 im ORF-Stiftungsrat, seine Tochter Petra kandidiert an aussichtsreicher Stelle für die Freiheitlichen für den Nationalrat.