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Politik im Schneckentempo

Von Christian Lukner

Gastkommentare
Christian Lukner ist Regierungsdirektor im Bundesumweltministerium Bonn.

In der deutschen Politik ist der Wurm drin. Auf wichtigen Feldern herrscht totaler Stillstand oder es geht - wenn überhaupt - nur schleppend voran.


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Wollte die große Koalition in Berlin nicht Großes auf den Weg bringen und schwierige Projekte anpacken?

Bei der Energiewende zum Beispiel bescheinigte eine von der Regierung selbst eingesetzte Expertenkommission dem Projekt schon kurz nach dem Start schlechte Noten bei der praktischen Umsetzung. Die Notwendigkeit eines der zentralen Reformvorhabens - des Erneuerbare-Energien-Gesetzes - wird generell in Frage gestellt. Man bezweifelt die Kraft der Regierung bei der Innovation des Industriestandortes, auf die man nun einmal nicht verzichten könne, um Wohlstand und Wirtschaftskraft zu erhalten. Immer mehr Stimmen fordern den Verzicht auf die Reformpläne und eine Rückkehr "bodenständigen" Energiepolitik, die nicht nur irgendwelchen Träumereinen hinterherlaufen dürfe.

Eine weitere Baustelle, die das Nichtstun der Regierung zeigt, hängt unmittelbar damit zusammen: die Endlagerung radioaktiver Abfälle. Das Endlager ist ein zentraler Baustein des Atomausstiegs, irgendwo muss der Atommüll ja hin. Aber Fehlanzeige. Man lässt sich Zeit.

Eine detaillierte Planung gibt es nicht, obwohl das Thema als wichtigster Baustein der Energiewende gilt. Im Koalitionsvertrag heißt es dazu lapidar: "Wir wollen die Endlagerfrage aus Verantwortung für die nachfolgenden Generationen lösen."

Nur schöne Worte. Von einer Lösung etwa der Standortfrage ist man weiter entfernt denn je. Der angedachte Konsens scheint wegen des nach wie vor umstrittenen Standorts Gorleben wieder fraglich. Vor einem Jahr war alles anders , da verkündete der damalige Umweltminister Peter Altmaier (CDU) ein neues Endlagerkonzept (als Alternative zum damals noch bestehenden und von Experten für geeignet gehaltenen Standort Gorleben) und versprach rasches Handeln. Viel ist davon in der Realität nicht übrig geblieben, dazwischen lag die Bundestagswahl.

Auch die Bildungs- und Gesundheitspolitik hat Mängel. Allein in den nächsten Jahren fehlen hunderttausende Pflegekräfte zur Betreuung der alternden Bevölkerung.

Will die Koalition in die Gänge kommen, muss sie jetzt bei diesen Großprojekten aufs Tempo drücken. Sicher keine leichte Aufgabe, aber zumindest hätte man die organisatorischen Voraussetzungen für das Regierungshandeln schaffen müssen. Fehlende Organisationsstrukturen und beinahe amateurhafte Personalentscheidungen zeugen von einer Art Selbstblockade der Politik (noch immer sitzen Mitarbeiter im Verkehrsministerium, die eigentlich ins Umweltministerium hätten versetzt werden müssen, seit Wochen fehlen Organigramme, die in einer transparenten Demokratie selbstverständlich sein sollten).

Es gibt keinen Grund, die Dinge weiter aufzuschieben. In den vergangenen 20 Jahren hat etwa die Endlagerforschung sehr große Fortschritte gemacht. Physikalisch sind alle zu berücksichtigenden Phänomene bekannt, wir können heute dank leistungsstarker Computer treffsichere Aussagen über die Langzeitsicherheit von Endlagern selbst über eine Million Jahre ermöglichen.

Es ist moralisch verwerflich, wider besseres Wissen notwendige Entscheidungen aufzuschieben.