Angesichts der Monstrosität des Verbrechens in Amstetten ist jeder Versuch, Handlungsfähigkeit zu demonstrieren, zwangsläufig zum Scheitern verurteilt. Wer als Politiker in diesen Tagen dem Volk aufs Maul schaut, bekommt eindeutige Handlungsanleitungen mit: Der Ruf nach drakonischen, nach - im wahrsten Sinn des Wortes - körperlichen Strafen ist nicht zu überhören.
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Dabei steht die Forderung nach härterer Bestrafung von Sex-Tätern ohnehin längst auf der politischen Agenda. Erst vor einigen Monaten verständigten sich SPÖ und ÖVP auf die Einrichtung einer Sexualstraftäterdatei, 2004 verschärfte der Nationalrat einstimmig das Sexualstrafrecht. Nun soll dieses Rad erneut eine Umdrehung weiter gedreht werden.
Justizministerin Maria Berger (SPÖ) will ÖVP, FPÖ und BZÖ auf diesem Weg nicht folgen, ganz kann aber auch sie sich nicht dem massenmedial befeuerten Handlungsdruck an die Politik entziehen. So sollen als erste Maßnahme nach dem Inzest-Fall in Amstetten sämtliche einschlägigen Gesetze auf der Suche nach Änderungsbedarf durchforstet werden. So gut wie fix ist die Verlängerung der Tilgungsfristen bei Sexualdelikten - bei besonders schweren Fällen auf bis zu maximal dreißig Jahren, was einer Verdoppelung der bestehenden Frist entsprechen würde. Bergers koalitionärer Gegenpart in diesen Fragen, Innenminister Günther Platter, fordert dagegen für die allerschwersten Fälle eine lebenslange Speicherung der Tat im Strafregister.
Bleibt nur die Frage: Leisten Strafverschärfungen dieser Art tatsächlich einen Beitrag zur Verhinderung einschlägiger Taten? (Wer vermag schon zu beurteilen, ob eine Strafe angemessen für die Grausamkeit einer Tat - also gerecht im umgangssprachlichen Sinne - sein kann?)
Zumindest die Expertenschaft verweigert der Politik in diesem Punkt die Gefolgschaft: "Es ist einhellige Meinung unter sämtlichen Experten, dass Strafverschärfungen nichts nützen, eben weil die Tat bereits begangen wurde", erklärt Josef Aigner, Kinderpsychologe und Sexualtherapeut an der Universität Innsbruck. "Populistische Maßnahmen dieser Art" würden den Opfern nicht helfen.
Stattdessen, ist Aigner überzeugt, sollte die prophylaktische Betreuung potenzieller Täter ausgebaut werden. Doch anders als etwa bei Frauenberatungsstellen stünden die Mittel für entsprechende Betreuungsarbeit mit Männern und Buben unter viel stärkerem öffentlichem Rechtfertigungsdruck. Dabei sind für Aigner solche Interventions- und Beratungsstellen für Männer das beste Instrument im Kampf gegen sexuelle Gewalt gegenüber Erwachsenen und Kindern.
Wobei, eines ist Aigner noch wichtig anzumerken: "Nicht-sexuelle Gewalt gegen Kinder ist für diese meistens genau so schlimm wie sexuelle."
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