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Politik oder Fußball

Von Walter Hämmerle

Leitartikel

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Es ist ein durchaus ehrenwerter Versuch, sich am Beispiel der Ukraine wieder einmal über den Stellenwert des Sports in unserer Zeit zu verständigen. Immerhin ist dieser in seiner massentauglichen Variante die letzte verbliebene Institution, die verlässlich und - besonders wichtig! - planbar Massen zu mobilisieren vermag. Und das als monopolkapitalistisch organisiertes Mega-Event.

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Das klingt jetzt schlimmer, als es unbedingt sein muss, schließlich trifft das Angebot auf enthusiasmierte Nachfrage, der sich selbst ausgewiesene Geistesgrößen nicht entziehen wollen. Zu verlockend ist es, aus dem spielerischen Wettkampf den Zustand unserer Zeit herauszudestillieren. Und Fußball ist als Spiegelbild der Gesellschaft perfekt für diese Meta-Ebene.

2007 wurde die Fußball-EM 2012 an Polen und die Ukraine vergeben. Damals schon tobte in Kiew ein Machtkampf zwischen Julia Timoschenko und Wiktor Janukowitsch - mit ungewissem Ausgang. Möglich, dass einige Romantiker in der Uefa dabei die europäische Ausrichtung der Ukraine im Auge hatten, ausschlaggebend waren jedoch wirtschaftliche und sportpolitische Beweggründe. Bei Olympia 2010 in Peking und 2014 in Sotschi, bei der Formel 1 in Bahrain, der Fußball WM 2022 in Katar oder - um über den Sport hinauszublicken - beim Eurovision Song Contest Ende Mai in Baku galten und gelten die gleichen Kriterien. Mit Moral und Werten hat all das nichts zu tun.

Die Einzigen, die solche Events politisch aufladen können, sind die Politiker selbst. Die Macht der Medien ist in diesem Fall begrenzt, weil zwischen den Interessen ihrer eigenen Politik- und Sportredaktionen neutralisiert.

Es ist bemerkenswert, dass ausgerechnet Deutschland mit einer Pastoren-Tochter im Kanzleramt und einem Pastor im Bundespräsidentenamt im Umgang mit dem Regime in Kiew den Ton angibt, dem etliche EU-Länder nun folgen. Im Schatten eines Großen ist es eben leichter, mutig zu sein. Dass die selbst im Leiden fotogene Timoschenko dabei nicht zur Heiligen taugt, ist allen bewusst. Aber jede Geschichte, die erzählt werden will, braucht nun einmal ein Gesicht.

Interessant wäre jetzt nur noch, wenn uns all die Empörten den genauen Unterschied zum in Russland inhaftierten Michail Chodorkowski erläuterten. Wegen Olympia in Sotschi und so.