Österreich ist, wenn jeder über die Spitzenpolitiker schimpft, aber keiner deren Job haben will.
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Ganz ehrlich: Hätten Sie gerne den Job des Kanzlers in einer rot-schwarzen Koalition? Oder den des Finanzministers in Zeiten der Hypo Alpe Adria? Falls nicht, geht es Ihnen wie der überwältigenden Mehrheit, und zwar nicht nur der politikinteressierten Bürger, sondern auch der aktiven Politiker.
Nun ist natürlich nicht ausgeschlossen, dass die derzeitigen Amtsinhaber deshalb ohne Herausforderer sind, weil sie nach übereinstimmender Beobachtung der maßgeblichen Instanzen schlicht die bestmögliche Besetzung darstellen. Angesichts der mitunter durchaus ausufernden Kritik am Spitzenpersonal der Republik, der sich keineswegs nur die grundsätzlich mieselsüchtigen Vertreter der schreibenden Zunft mit einiger Leidenschaft widmen, sondern die auch in den Hinterzimmern der Mächtigen in der zweiten, dritten und besonders in der vierten Reihe grassiert, ist diese Variante aber nicht sehr wahrscheinlich.
Umso mehr verwundert das Verharren in der grummelnden Unzufriedenheit, vor allem demokratietheoretisch. Und zwar aus einem einfachen Grund: Politiker, die nicht nach der nächsthöheren Machtposition streben, sind irgendwie ein systemimmanenter Widerspruch. Wer gestalten will, muss Macht auch wirklich haben wollen. Und je mehr, desto besser. Das gilt natürlich nicht zwingend für jeden Politiker auf jeder Ebene, aber doch zumindest für die Alphatiere darunter, die stets bis ganz nach oben wollen. Wohin auch immer sie dieses "nach oben wollen" schlussendlich führt.
Dahinter steckt kein mephistophelisches Verständnis von Macht, die vor allem die dunklen Seiten unserer Persönlichkeit hervorkehrt, sondern ganz im Gegenteil: Es geht um einen prinzipiell wünschenswerten Wettbewerb, sodass sich am Ende, wenn schon nicht unbedingt die allerbesten, so doch wenigstens nicht die allerschlechtesten Köpfe durchsetzen. Kombiniert mit dem Wettlauf um Stimmen ergibt dieser Konkurrenzkampf gleichsam die Quintessenz von Demokratie verstanden als Mechanismus zum friedlichen Machtwechsel.
In Österreich ist es aber momentan so, dass die beiden Topjobs der Republik offensichtlich niemand haben will, jetzt abgesehen von den beiden Amtsinhabern. Das ist einerseits gut, konkret für Kanzler und Vizekanzler, und andererseits schlecht, nämlich für die Republik. Ein Land, dessen höchste politische Ämter so unattraktiv sind, dass sie eigentlich niemand haben will, hat ein Problem, und zwar ein Politikerproblem. Bekanntlich spornt Konkurrenz zu Höchstleistungen an, was nicht nur für Personen, sondern auch für Systeme wie die Politik gilt. Das ist, zugegeben, nicht immer angenehm, aber aus Sicht der Allgemeinheit sehr wohl wünschenswert.
Mitunter mag es ja sympathisch anmuten, wenn ein potenziell talentierter Politiker für sich die hochpersönliche Entscheidung trifft, lieber in der zweiten Reihe zu wirken, von wegen Fachqualifikation und Work-Life-Balance. Wenn allerdings eine ganze Generation lieber den fidelen Landeshauptmann mit rudimentär gestaltenden Möglichkeiten gibt als den entscheidungsfreudigen Bundeskanzler, ist es an der Zeit sich zu fragen, welche Zielgruppe von Persönlichkeiten es überhaupt noch in die Arena der öffentlichen Angelegenheiten zieht.