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Politik und Bürger

Von Reinhard Göweil

Leitartikel
Chefredakteur Reinhard Göweil.

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In der Ukraine gibt es eine starke Bürgerbewegung, die sich der EU annähern möchte, die Mächtigen in Kiew haben sich aber von Russland kaufen lassen. In Bulgarien und Rumänien verlangen die Menschen lautstark nach besseren Lebens- und Bildungsbedingungen. Die Regierungen lassen dafür vorgesehene EU-Förderungen einfach liegen, weil sie kein Konzept haben. In Madrid, Lissabon, Rom und Brüssel gehen Hunderttausende auf die Straße, um Jobs einzufordern - die EU solle nicht nur Banken retten.

Europa hört - das muss leider festgestellt werden - zu wenig auf seine Bürger, die Politik ergeht sich in Kompromissen. Und bei 28 Mitgliedern schauen Kompromisse oft sehr alt aus. Entscheidungen werden verwässert oder überhaupt verschoben. Es ist allein der Europäischen Zentralbank und der wenig klügeren Politik in den USA zu verdanken, dass die Euro-Krise abgeflaut ist.

Dafür steigt der Bürger-Frust beim Thema EU, rechtsextreme und rechtspopulistische Parteien werden stärker. Vor allem in den süd- und osteuropäischen Ländern ist der Zulauf zu teils offen faschistischen Organisationen bestürzend. Die nationalen Regierungen, aber auch die europäischen Institutionen in Brüssel wären gut beraten, das ernst zu nehmen - die politischen Entwicklungen in Ungarn, aber auch in Kroatien sind nicht lustig.

Eine inhaltliche Form der Gegenwehr wäre, die Bürgerproteste in den Ländern ernst zu nehmen. Denn in Wahrheit verlangen die Menschen von der EU Antworten auf gesellschaftliche Unsicherheiten - schon das bedeutet mehr Europa. Die jetzt vereinbarte Verwässerung der Banken-Union bedeutet, dass die wechselseitige Abhängigkeit von Banken und Sitzstaat vorerst bleibt - das Gegenteil ist erwünscht.

Vor allem aber muss Europa seine soziale Dimension endlich sauber definieren. Dazu gehört etwa, dass die EU-Budgets effizient für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit herangezogen werden. Dazu gehört mittlerweile wohl auch, dass Europa sein Wirtschaftsmodell definiert, das dem Thema Arbeit größere Bedeutung einräumt als der ständigen Neuerfindung von Defizit-Größen für die Budgets.

Das braucht auch starke Persönlichkeiten in der EU-Kommission und im Europäischen Parlament. Da gibt es aber noch Spielraum nach oben, um es höflich zu formulieren.