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Politikberatung als "dynamische" Balance

Von Eva Stanzl

Wissen

Der künftige ÖAW-Präsident Heinz Faßmann will die Politikberatung durch die Wissenschaft professionalisieren.


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Der designierte Präsident der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), Heinz Faßmann, will die Politikberatung durch die Wissenschaft professioneller gestalten und Forschende über die Institution, an deren Spitze er ab 1. Juli steht, bei ihrer Kommunikationsarbeit besser unterstützen. Diese Perspektive gab Faßmann am Montagabend bei einer Diskussion im Klub der Bildungs- und Wissenschaftsjournalisten.

"Wir werden in der Akademie eine Kultur der Klarheit in wissenschaftlichen Studien und Stellungnahmen einfordern und pflegen", sagte Faßmann im Gespräch mit Vorstandsmitglied Oliver Lehmann. Eine solche Kultur ließe sich "nicht auf Rezept verordnen", sondern sei das Ergebnis von Diskussion und Bemühen um die Sache. Damit dies gelingen kann, müssten Institutionen wie die ÖAW und Unis die "erfolgreichen Erklärer" unterstützen und auf Interviews vorbereiten und stärken, wenn ihnen die öffentliche Meinung entgegenschlägt.

Die Corona-Pandemie hat das Verhältnis zwischen Politik und Wissenschaft in den Fokus gerückt. Diese zwei Lebensbereiche, die nach sehr unterschiedlichen Gesetzen funktionieren, waren für unser soziales Leben in den vergangenen zwei Jahren prägend. Ihr Zusammenwirken war keineswegs spannungsfrei. Schon während des ersten Lockdowns verließen Wissenschafter die Corona-Kommission der Regierung. Es gab Vorwürfe von tendenziösen Entscheidungen, die sich nicht an den Fakten, sondern politischem Opportunismus orientierten. Kürzlich machte auch das Gecko-Gremium seinem Unmut Luft, dass sich seine Empfehlungen nicht in den Corona-Maßnahmen wiederfänden.

Eine Studie des Journalism Center am Institut für Kommunikationswissenschaft der Uni Wien dokumentiert die Spannungen. 24 befragte Forschende sahen sich während der Pandemie einerseits "in der Pflicht", ihren Teil zu deren Bekämpfung beizutragen. Andererseits empfanden sie aber das oft feindselige Feedback als emotional belastend und Instrumentalisierungsversuche durch die Politik als "mitunter frustrierend". Die Forscher, die sich in den unsicheren und emotional aufgeladenen Kernzeiten der Pandemie federführend äußerten, wurden teils angefeindet, unscharf in Medien wiedergegeben, zu Themen fernab ihrer Expertise befragt, von der Politik in ihrer Einschätzung kaum gehört oder teils nachträglich als Rechtfertiger fragwürdiger Entscheidungen zweckentfremdet, heißt es in der Studie "Wissenschaftskommunikation in der Covid-19-Pandemie". Als Reaktion auf diesen Befund stünde ein "strukturierter Reflexionsprozess vielen Institutionen gut zu Gesicht, um erfolgreiche Erklärer evidenzbasierter Themen zusammenzuholen und zu schauen, welche Lehren man aus diesen Erfahrungen ziehen kann", sagte Faßmann.

Forschung als Feigenblatt

In Anlehnung an den deutschen Soziologen Max Weber (1864-1920) gliederte der 66-jährige Geograf, der als Universitätsprofessor selbst lehrend und forschend tätig ist und von 2017 bis 2021 während des Großteils der Corona-Pandemie fast durchgehend Minister für Wissenschaft und Bildung war, die Aufgabenteilung. Politik setze normative Entscheidungen, indem sie sage, was gut und richtig sei und was realisiert gehört und was nicht. Dafür werde sie gewählt und abgewählt. "Die Wissenschaft hat die Funktion, den politischen Boden aufzubereiten, aber die Letztentscheidung, bleibt beim Politiker". Erwartungsgemäß könne Expertise aber nicht eins zu eins umgesetzt werden. "Wenn auf einer Skala von eins bis zehn die Stufe zehn bedeutet, dass eine Empfehlung komplett umgesetzt wird, kann ich sie auf alle Fälle ausschließen und die neun und die acht wahrscheinlich auch. Erst ab sieben kommen wir in den realistischen Bereich", verdeutlichte Faßmann: "Es sind so viele Stakeholder und Interessen zu berücksichtigen, dass man versuchen muss, dass ein dynamisches Gleichgewicht herauskommt - und das ist unglaublich schwer.

Entscheidungsträger dürften aber zugleich ihre Verantwortung nicht ablegen, etwa indem sie die Wissenschaft als "Hilfstruppe für ihre Zwecke" benutzten. Solche Tendenzen gab es durchaus - etwa als die mittlerweile berüchtigte "Tischvorlage" in der ersten Phase der Pandemie Ende März 2020 auftauchte. In dem noch unfertigen Papier hatten vor allem Mathematiker mögliche Infektions- und Sterbezahlen vorausberechnet, jedoch ohne Dämpfungseffekte oder die Sicht von Epidemiologen oder Virologen zu berücksichtigen. Die Politik nahm den Ball auf und verschärfte die Maßnahmen just, als die Zahlen rückläufig waren. Das führte zu Kritik und trug letztlich auch zu einem ersten Stimmungswandel in der Öffentlichkeit bei, doch die Grundbotschaft passte "angesichts der dramatischen Bilder aus Bergamo in die politische Stimmung", sagte Faßmann.

Forschern rät der Geograf dazu, nicht auf Fragestellungen von Politikern zu warten oder zu versuchen "in der Logik der Politik Beratung durchzuführen", sondern unabhängige "Gesellschaftsberatung" zu betreiben. Gleichermaßen sollten Politiker nicht auf einseitige Aussagen der Wissenschaft vertrauen, sondern prüfen.

Der künftige ÖAW-Chef kann sich "auf alle Fälle" vorstellen, für seine Institution Prinzipien für integere Politikberatung festzulegen, um dabei Grundlagen, Financiers und Ergebnisse öffentlich zu machen. "Es gibt eine Basis, auf der man eine politische Entscheidung treffen kann, aber der Öffentlichkeit kann man diese Basis zur Verfügung stellen, damit sie sich eine Meinung bilden kann", sagte er. "Transparenz ist auch im Sinne der Forschenden. Allerdings muss man auch überlegen, wie viel Transparenz in der Praxis verträglich ist."