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Die polnische Regierungspartei SLD (Bündnis der Demokratischen Linken) strebt auch nach dem angekündigten Rücktritt von Ministerpräsident Leszek Miller eine Einigung auf eine EU-Verfassung vor der Wahl zum EU-Parlament an. Damit würde der in Brüssel vereinbarte Zeitplan nicht verzögert: Am Wochenende haben sich die Staats- und Regierungschefs der jetzigen und künftigen EU-Staaten verständigt, bis spätestens Ende Juni die Gespräche abzuschließen.
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Für Leszek Miller war es wohl der letzte EU-Gipfel. Nach seiner Ankunft aus Brüssel gab der polnische Ministerpräsident am Wochenende seinen Rücktritt am 2. Mai bekannt. "Wenn es Polen und der polnischen Linken dient, ist meine Entscheidung der Rücktritt", erklärte Miller. Er begründete dies mit dem seit Monaten unaufhaltbaren Vertrauensverlust seiner Regierung in der Bevölkerung. Es ist auch als Reaktion auf die Spaltung der Partei anzusehen: Kurz davor haben unzufriedene SLD-Abgeordnete um Parlamentspräsident Marek Borowski mit der Sozialdemokratie Polens (SDPL) eine neue Linkspartei gegründet. Außenminister W³odzimierz Cimoszewicz soll mit der Fraktion sympathisieren.
Er ist auch als Nachfolger Millers im Gespräch, neben Innenminister Józef Oleksy und dem früheren Finanzminister Marek Belka. Heute will Staatspräsident Aleksander Kwaœniewski Gespräche mit den Parteien beginnen und eine neue Regierung vorschlagen. Sollte diese bis 16. Mai keine parlamentarische Mehrheit finden, werde es Neuwahlen geben.
Während die SDPL dies begrüßt hat, ist es der Opposition zu wenig. So hat die Bürgerplattform (PO), die laut Meinungsumfragen den größten Zuspruch der Bevölkerung genießt, angekündigt, einer Regierung unter SLD-Führung nicht zuzustimmen. Vorsitzender Donald Tusk präferiert den sofortigen Rücktritt Millers und vorgezogene Parlamentswahlen im Juni.
Dafür sieht die SLD-Spitze keinen Grund. Am Samstag bestätigte sie auch den Kompromisskurs der polnischen Regierung in der EU-Verfassungsdebatte. Demnach sollte eine Einigung noch vor den EU-Wahlen am 13. Juni erfolgen.
Dem könnten allerdings Frankreich und Italien skeptisch gegenüber stehen. Sie bevorzugen einen Verfassungsbeschluss nach den EU-Wahlen. Jedenfalls sollen die Gespräche bis zum Gipfel am 17./18. Juni abgeschlossen sein, verkündete EU-Ratspräsident Bertie Ahern am Wochenende in Brüssel.
"Ich glaube, jeder versteht, dass wir Kompromisse machen müssen", meinte Ahern. Es gebe zwar eine Reihe ungelöster Fragen - doch das System der doppelten Mehrheit sei die Grundlage für einen Erfolg. Damit haben sich Deutschland und Frankreich gegenüber Spanien und Polen durchgesetzt, denn das Prinzip berücksichtigt bei Mehrheitsabstimmungen in der EU die Bevölkerungsgröße eines Landes. Sowohl Madrid als auch Warschau hat bereits im Vorfeld des Gipfels angedeutet, von ihrer Forderung nach Einhaltung der Vereinbarungen von Nizza abzugehen.
Kompromissbereit wird sich wohl auch Österreich zeigen müssen. Zwar ist der Ruf nach einem Kommissar pro Land mit Stimmrecht noch nicht verstummt. "Es hat aber keinen Sinn, wenn jedes Land unverändert seine Position präsentiert", räumte Bundeskanzler Wolfgang Schüssel ein. Mittlerweile sind auch die Benelux-Staaten sowie die Slowakei, Tschechien, Ungarn und Polen bereit, die Wünsche der großen Mitgliedstaaten nach einer Reduzierung der Kommission auf 15 Mitglieder zu akzeptieren.
Nun solle die Liste der offenen Probleme reduziert werden, skizzierte Schüssel den weiteren Verlauf. Dies könnte im Rahmen von bi- oder multilateralen Treffen, Gesprächen der AußenministerInnen oder bei einem Sondergipfel geschehen. Die Ratspräsidentschaft sei mit Vorschlägen am Zug.
Größere Anstrengungen sind ebenso bei der Umsetzung der Lissabon-Strategie notwendig. Auch wenn die EU am Weg zur wettbewerbsfähigsten Region der Welt seit 2000 "beträchtliche Fortschritte" erzielt hat, müssen die Reformen "erheblich beschleunigt werden, wenn die Ziele für 2010 noch erreicht werden sollen", heißt es in den Schlussfolgerungen des EU-Gipfels. Die Staats- und Regierungschefs seien "entschlossen, den politischen Willen aufzubringen, damit dies geschieht".
Dabei sei die Schaffung von mehr und besseren Arbeitsplätzen die dringendste Aufgabe, die im kommenden Jahr zu bewältigen sei. Und während praktisch alle 15 derzeitigen EU-Staaten den Zutritt von BürgerInnen der zehn neuen Mitgliedsländer auf ihren Arbeitsmarkt mit Übergangsfristen verzögern wollen, heißt es im Gipfelbeschluss: "Ein gemeinsamer Arbeitsmarkt, der die Freizügigkeit der Arbeitskräfte fördert, ist von zentraler Bedeutung für die Entwicklung der Union." Dazu erklärte Bundeskanzler Schüssel: "Wir haben die Übergangsfristen ausverhandelt, und dabei bleibt es." Ob diese verkürzt werden, hänge vom österreichischen Arbeitsmarkt ab.