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Jeder kennt sie, jeder spürt sie: Die Politikverdrossenheit ist längst zum Dauerthema geworden. Einer der Gründe, warum Politik heute fast niemanden zufrieden, aber sehr viele sehr verdrossen macht, liegt darin, dass in unseren öffentlich-politischen Debatten die jeweils aktuellen Themen bis zum letzten noch erdenklichen Satz wieder und wieder durchgekaut werden.
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Alles wird in erschöpfender Weise von jedem, der wirklich oder auch nur vermeintlich etwas dazu zu sagen hat, besprochen und diskutiert, es wird solange geredet, bis endlich alles zerredet ist. Kein Wunder, dass der Überdruss die Endfolge dieser Debatten ist und sich ergo dessen immer mehr Leute regelrecht angewidert von der Politik abwenden.
Freilich: Die freie Meinungsäußerung und die Debatte sind Grundvoraussetzungen der Demokratie und daher grundsätzlich zu schützen. Aber muss deswegen auch das freie Geplapper und das öffentliche Geschrei, welche oft genug auch noch mit dem Anspruch auf intellektuelle und politische Redlichkeit oder gar als moralische Ermahnung abgesondert werden, Kennzeichen einer demokratischen Gesellschaft sein? Muss die öffentliche Debatte im Namen der mittlerweile schon unerträglichen politischen Korrektheit jedem, der sichs grade einbildet, Platz für seine natürlich immer (political correctness!) zu respektierende Meinung geben? Muss jedes "Gesudere" (© A. Gusenbauer) und jede Meldung des "siebten Zwergs von hinten" (© A. Kohl) wirklich zur Kenntnis genommen werden? Und, wichtigste Frage, müssen sich schweigende Mehrheiten den Minderheiten beugen, nur weil diese im Namen jener überstrapazierten politischen Korrektheit lautstark auftreten?
Unter den politischen Haltungen sorgen jene, die schlicht und einfach dumm oder von Halbbildung und Heuchelei geprägt sind, für den meisten Überdruss. Wenn beispielsweise ein dumpfbackiger Anti-Europa-Groll fröhliche Urständ feiert oder lachhafte Rassismus-Empörungen um den "Mohr im Hemd" lanciert werden, dann wird die Sache unerträglich. Eine Pointe gibt es aber trotzdem: Dass genau jene Politiker und Meinungsäußerer, die ununterbrochen glauben, ihren ja doch meist nur faden Senf zum jeweiligen Thema abgeben zu müssen, sich über die Politikverdrossenheit fürchterliche Sorgen und den Leuten ihren Verdruss auch noch zum Vorwurf machen.
Der Bürger wird nicht überdrüssig, weil er ein politischer Ignorant ist, sondern er wird der Politik müde, wenn sich diese in redundanten und sinnlosen Rekursen ergeht und Ergebnisse auf sich warten lassen. Er wird müde, wenn die Themen in inhaltsleeren Überschriften stecken bleiben und keiner den Mut hat, etwas durchzuziehen. Und er ist nicht zuletzt überdrüssig, weil die Stimme der Weisen und der echten Autoritäten im allgemeinen Geschrei kaum mehr zu hören ist.
Marcus Franz ist Facharzt für Innere Medizin in Wien.