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Politique autrichienne als Vorbild

Von Walter Hämmerle und Thomas Seifert

Politik

Vorbild Sozialpartnerschaft: Frankreich sucht Auswege aus wirtschaftlicher Krise.


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"Wiener Zeitung": Derzeit ist in der Europäischen Union viel in Bewegung, vor allem in Bezug auf die strategischen Allianzen zwischen den 27 Mitgliedsstaaten. Österreich - auch unter einem SPÖ-Kanzler - war dabei traditionell immer Teil der sogenannten Euro-Hardliner gemeinsam mit Deutschland, den Niederlanden und Finnland. Mit dem Amtsantritt des sozialistischen Präsidenten François Hollande scheinen sich auch hier die Dinge verschoben zu haben. Was ist hier passiert?Stéphane Gompertz: Der Eindruck stimmt. Präsident Hollande hat von Anfang versucht, die Partnerschaften Frankreichs in Europa zu diversifizieren, und Österreich ist Teil dieser Strategie. Ohne die Partnerschaft mit Deutschland können wir nicht vorangehen, aber das allein genügt nicht mehr. Zum anderen ist man sich auch in Österreich bewusst geworden, dass man Europa nicht gegen Frankreich verändern kann, ein Einvernehmen mit Paris ist unerlässlich. Schließlich entdeckten wir Österreich in vielerlei Hinsicht als Vorbild für uns, insbesondere was die Zusammenarbeit zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern betrifft. Hier weht ein breit angelegter Geist der Kooperation, von dem wir Franzosen sehr viel lernen können, davon ist unsere Regierung überzeugt.

Welche Rolle nimmt aus Ihrer Sicht das Nettozahler-Land Österreich in der Diskussion zwischen Befürwortern und Kritikern der Austeritätspolitik ein?

Eine Vermittlerrolle, das hat man etwa ganz deutlich bei der Diskussion um den Fiskalpakt gesehen. Hollande hatte ja im Wahlkampf versprochen, diesen Vertrag nicht zu unterzeichnen, mit dem Argument, dieser sei ausschließlich auf Sparen ausgerichtet und beinhalte keine Perspektive für Wachstum. In Österreich trafen diese Bedenken auf große Zustimmung und beileibe nicht nur bei Sozialdemokraten, sondern auch bei bürgerlichen Politikern und vor allem bei Wirtschaftsvertretern. In dieser Frage agierte Österreich also tatsächlich als Vermittler, und Hollande hat den Pakt ja dann auch - nach entsprechenden Ergänzungen - tatsächlich unterzeichnet.

Die Wahlen hat Hollande noch mit einer Absage an Sparen und Reformen gewonnen; jetzt muss auch er den Franzosen erklären, dass sie sich ändern müssen. Wie kam es zu diesem Wandlungsprozess?

Hollande hat schon im Wahlkampf immer betont, dass das Budgetdefizit gesenkt und die Schulden verringert werden müssen. Dass das schwierig werden würde, war allen klar, auch ihm selbst; nur dass es so schwierig sein würde, hat keiner geahnt.

Hat zu dieser Verwandlung nicht auch beigetragen, dass Frankreich plötzlich als größtes Risiko für den Euro, ja sogar als kranker Mann Europas dargestellt wurde?

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Theoretisch stimmt es sogar, wenn man Frankreich als größtes Risiko bezeichnet, ganz einfach, weil wir die zweitgrößte Volkswirtschaft der Eurozone sind. Wir haben zweifellos wirtschaftliche Probleme, aber diese sind lösbar; und das Fundament unserer Wirtschaft ist sehr gesund. Wir sind attraktiv für Investitionen, die Produktivität unserer Arbeitnehmer ist hoch, wir investieren mehr in Forschung und Entwicklung; und wir verfügen über eine junge und wachsende Bevölkerung. Ja, unsere Industrie hat an Wettbewerbsfähigkeit eingebüßt, hier müssen wir ansetzen und das geschieht auch; aber das geht nicht von heute auf morgen. Jetzt haben sich bei Renault erstmals Arbeitgeber und Gewerkschaften darauf geeinigt, dass die Löhne nicht angehoben und die Arbeitszeit verlängert wird; im Gegenzug hat sich das Unternehmen verpflichtet, Arbeitsplätze nach Frankreich zurückzubringen. Diese Einigung ist für uns eine historische Zäsur. Vor zwei Monaten hat Wirtschaftskammer-Präsident Christoph Leitl gemeinsam mit den Chefs aller anderen Sozialpartnern die EU-Botschafter in Österreich zu einem Treffen eingeladen - ich würde mich freuen, wenn demnächst auch der französische Arbeitgeber-Präsident gemeinsam mit den Chefs der Gewerkschaften zu einem solchen Treffen einladen würde. Doch so weit sind wir noch nicht.

Um das Image Frankreichs ist es nicht zum Besten gestellt: Als kürzlich der Chef eines US-Reifenherstellers über die Franzosen als "sogenannte Arbeiter" lästerte, die zu viel Geld bekämen und nur drei Stunden täglich arbeiteten, gingen die Wogen hoch . . .

Dieser Manager ist auch in den USA für seine ungeschminkte Ausdrucksweise berüchtigt, darüber hinaus war er Kandidat der US-Republikaner; ich glaube also nicht, dass diese Sätze die öffentliche Meinung über Frankreich in den USA widerspiegeln.

Wie wichtig ist die Chemie zwischen Spitzenpolitikern jenseits von Weltanschauungen? Deutschlands Kanzlerin Merkel scheint vom Typus her mehr Gemeinsamkeiten mit dem Sozialisten Hollande als mit dessen konservativem Vorgänger Sarkozy aufzuweisen.

Das kann durchaus sein, obwohl ich natürlich nicht weiß, wie das persönliche Verhältnis zwischen Sarkozy und Merkel war. Hollande hat trotz seiner nüchternen Art die wichtige Fähigkeit, einen guten Witz zum richtigen Moment erzählen zu können. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass es zwischen Deutschland und Frankreich nach 1945 immer wieder Spannungen gegeben hat, die jedoch stets überwunden wurden.

Die Angst vor einem Bürokratieungeheuer in Brüssel ist beträchtlich. Da passt es ins Bild, dass die Abgeordneten des EU-Parlaments ständig zwischen Straßburg und Brüssel pendeln. Frankreich beharrt auf Straßburg als Sitz des EU-Parlaments. Der Verwaltungsaufwand dafür ist enorm.

Man könnte ja alle Sitzungen in Straßburg abhalten! Dass das EU-Parlament abwechselnd auch in Brüssel tagt, ist bereits ein französisches Zugeständnis. Niemand beschwert sich, dass der Europäische Gerichtshof in Luxemburg oder die Zentralbank in Frankfurt sitzt. Mit den neuen Technologien ist die Kommunikation zwischen unterschiedlichen Orten kein Problem mehr, man mus Unterlagen nicht länger hin und her transportieren. Bestehende Verträge sollten eingehalten werden.

Es gab die Hoffnung, in der Eurokrise sei das Schlimmste überwunden - und dann eskalierte die Situation mit Zypern. Wann wird Europa endgültig über dem Berg sein?

Heuer und 2014 werden noch schwierige Jahre. Allein die Tatsache, dass die Eurozone nicht auseinandergebrochen ist, ist ein Erfolg. Jetzt in Zypern wurde ein Tabu gebrochen, doch persönlich erachte ich es für richtig, dass die Eigentümer und Sparer mit großen Guthaben an den Kosten der Sanierung beteiligt werden. Warum sollten immer nur die europäischen Steuerzahler die Rechnung begleichen?

Frankreich hat sich zu einem militärischen Einschreiten in Mali entschlossen, um den Vormarsch islamistischer Rebellen zu stoppen. Praktisch ganz Europa hat dies begrüßt, nur mit der europäischen Unterstützung in Nordafrika hapert es. Ist man in Frankreich darüber enttäuscht?

Nein, wir wussten schon vorher, dass es bei unseren Partnern zahlreiche, im Falle Deutschlands etwa gesetzliche Probleme gibt, schnell zu helfen. Dazu kommt, dass in der EU praktisch nur Frankreich und Großbritannien zu einem schnellen militärischen Eingreifen fähig sind. Europa verfügt immer noch nicht über eine funktionierende Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Hoffentlich führen die Erfahrungen in Mali dazu, dass diese schneller kommt. Grundsätzlich aber hat Frankreich von allen Partnern Hilfe bei diesem Einsatz bekommen, ganz einfach, weil er im Interesse aller stattfindet. Wir müssen uns aber bewusst sein, dass eine wirkliche Lösung ein nachhaltiges, langfristiges Engagement verlangt.

Zur Person



Stéphane Gompertz

Seit März 2012 ist der 63-Jährige Botschafter der Republik Frankreich in Wien. Er ist Absolvent der Eliteakademie École Nationale d’Administration und Professor für klassische Literatur. Zuvor war er Leiter der Sektion Afrika und Indischer Ozean im französischen Außenministerium.