Nur Slowenien ist heute EU-Mitglied - und macht Probleme. | Für die Nachbarn heißt es noch länger: Bitte warten! | Laibach/Zagreb/Belgrad/Brüssel. Im Jahr 2003 hat die EU dem sogenannten Westbalkan - dem ehemaligen Jugoslawien minus Slowenien plus Albanien - eine Beitrittsgarantie gegeben. Fünf Jahre später sieht die Bilanz auf dem Weg in die EU und damit zur umfassenden politischen Stabilisierung der Region eher ernüchternd aus. Das Ziel der vollständigen Integration in die euroatlantischen Strukturen und damit die Mitgliedschaft in Nato und EU hat bisher nur Slowenien (2004) erreicht.
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Doch offensichtlich hat die EU sich mit Slowenien auch ein Kuckucksei ins Nest geholt; denn Brüssel verabsäumte es, von Laibach zu verlangen, entweder seine bilateralen Probleme mit Zagreb vor dem Beitritt zu lösen oder jedenfalls die Zusicherung abzugeben, Kroatiens Beitritt nicht zu blockieren. Gerade das passiert jetzt aber, Anlass ist der Streit um die Seegrenze in der Bucht von Piran und die Landgrenze an der Mur.
Kroatien hat somit in der Praxis kaum eine Chance, die Beitrittsverhandlungen bis Ende 2009 abzuschließen. Gemessen am bisherigen Tempo wäre ein Abschluss wohl nur noch möglich, wenn plötzlich entweder die EU "Diskontpreise" für den Abschluss einzelner Kapitel anbietet oder Kroatien eine bisher unbekannte Effizienz an den Tag legt.
Mazedonien im Clinch mit Griechenland
Diese beiden Szenarien können aber nur zum Tragen kommen, wenn Slowenien und Kroatien ihren Konflikt zuvor bilateral beilegen oder bereit sind, den Spruch eines Schiedsgerichtes zu akzeptieren. Nun ist jedenfalls auch die EU selbst an einer Lösung interessiert, weil die Änderungen des Lissaboner Vertrages zugunsten Irlands via Ratifizierung des kroatischen Beitrittsvertrages abgesegnet werden sollen; damit will die EU vermeiden, dass der Vertrag von Lissabon nach einem allfälligen positiven zweiten irischen Referendum neuerlich von allen anderen EU-Staaten ratifiziert werden muss.
Möglich ist, dass nun der EU-weite Druck auf Slowenien zunimmt, doch mit welchem Erfolg, ist offen. Sicher ist jedenfalls, dass die EU und ihre Mitglieder das slowenisch-kroatische Problem ebenso viel zu lange zur bilateralen Fragen erklärt haben und damit schleifen ließen wie den Namensstreit zwischen Griechenland und Mazedonien. In diesem Fall bemüht sich ein US-Vermittler im Auftrag der UNO seit geraumer Zeit um einen Kompromiss, allerdings ohne sichtbaren Erfolg. Mazedoniens Aufnahme in die Nato scheiterte heuer am Veto Griechenlands; das bedeutete einen Rückschlag für die weitere Stabilisierung das Landes, weil die euroatlantische Integration der Kitt zwischen mazedonischer Mehrheit und albanischer Volksgruppe wäre, deren Konflikt das Land 2001 an den Rand des Zerfalls brachte. Nun bildet den Kitt die Machtteilung: Die stärkste Albaner-Partei, die aus der Freischärlerbewegung hervorgegangen ist, sitzt als Juniorpartner in der Regierung.
Auch die EU-Annäherung verläuft im Kriechgang; den Kandidatenstatus hat Mazedonien seit mehr als drei Jahren, ohne dass Beitrittsverhandlungen begonnen hätten. Verantwortlich dafür sind viele ungelöste Probleme (Korruption, Kriminalität, ein rudimentär entwickelter Rechtsstaat etc.); doch das Schlimme ist, dass die konservative mazedonische Regierung damit recht gut leben kann, weil die pro-europäische Opposition weitgehend unfähig und Griechenland ein dankbarer Sündenbock ist.
Die Niederlande blockieren bei Serbien
Slowenien und Griechenland sind aber nicht die einzigen beiden EU-Mitglieder, die am Balkan blockieren. So blockieren die Niederlande seit Monaten die Anwendung des Stabilisierungs- und Assoziationsabkommens mit Serbien, weil der mutmaßliche Kriegsverbrecher Ratko Mladic noch nicht gefasst ist. Praktisch nicht honoriert wurde somit die Auslieferung Radovan Karadzics ans Tribunal und Belgrads generelle Kooperation mit Den Haag.
Doch an der lahmenden EU-Annäherung ist auch die serbische Regierung mit schuld. Die Mehrparteienkoalition erweckt den Eindruck eines zerstrittenen Haufens, der mit vielen Gesetzen säumig ist. Hinzu kommt, dass es der Regierungsmehrheit im Parlament nicht gelingt, die Obstruktion der nationalistischen Opposition zu beschränken, die durch Geschäftsordnungstricks die Arbeit des Parlaments massiv behindert. Von etwa 50 Schlüsselgesetzen wurden zehn verabschiedet, Visafreiheit und EU-Kandidatenstatus sind für 2009 kaum mehr erreichbar.
Nachgiebigkeit bei der Kosovo-Frage
Im Kosovo wiederum erwies sich die EU als äußerst nachgiebig gegenüber Serbien und erkaufte etwa die Stationierung der Polizei- und Justizmission Eulex mit fragwürdigen Zugeständnissen, die die albanische Mehrheit immer stärker frustrieren. Dennoch dauerte es zehn Monate, ehe Eulex nach der Unabhängigkeitserklärung stationiert werden konnte.
Weit bedenklicher ist aber die Tatsache, dass der Kosovo de facto nach wie vor wie ein Emmentaler wirkt. In den serbischen Enklaven und im kompakt besiedelten serbischen Norden gilt weitgehend serbisches Recht, und Belgrad bemüht sich auch weiter nach Kräften, die Landeseinheit zu untergraben. Dabei kommt Serbien zugute, dass fünf EU-Staaten den Kosovo nach wie vor nicht anerkennen. In der EU gibt es also nach wie vor keine konsistente Balkan-Politik.
Bezahlt wird dieses Manko auch damit, dass die Liebe der Albaner zu internationalen Missionen drastisch sinkt. Die Nagelprobe für Eulex käme jedenfalls, sollte die Mission tatsächlich erfolgreich sein. Dann müsste sie auch manchen führenden Politikern im Kosovo nahetreten, die tief in die Organisierte Kriminalität verstrickt sein sollen.
Auch Bosnien-Herzegowina, das gemeinsame Staatsgebilde der Serben, Bosnjaken und Kroaten, gleicht einem bürokratischen Monstrum, das in dieser Form weder überlebensfähig ist noch sich der EU annähern kann. Offensichtlich zählt das auch gar nicht zu den echten Prioritäten; denn die politische Rhetorik vor allem zwischen führenden bosnjakischen und serbischen Politikern hat wieder eine Maßlosigkeit erreicht, die an der Bereitschaft, in diesem Staat zusammenzuleben, zweifeln lässt.
Albanische Frage steht vor der Lösung
Trotz aller Schattenseiten sind 2008 natürlich auch positive Entwicklungen zu verzeichnen. Dazu zählt vor allem die Unabhängigkeitserklärung des Kosovo Mitte Februar. Die albanische Frage könnte damit am Balkan endgültig gelöst sein, wenn es gelingt, die drei albanischen Staaten der Region, Albanien, Kosovo und Mazedonien, in EU und Nato zu führen. Auch, dass Eulex im ganzen Kosovo stationiert und die Ablösung der UNO-Verwaltung eingeleitet worden ist, zählt zu den positiven Entwicklungen.
Vollzogen wurde die Unabhängigkeit, ohne dass es zum Massenexodus der Serben oder zur politischen Destabilisierung Serbiens kam - im Gegenteil siegte bei der Präsidentenwahl der pro-westliche Boris Tadic, unter dessen Führung auch bei der Parlamentswahl ein pro-europäisches Parteienbündnis gewann. Dieses führt nun eine Koalition, in der zum ersten Mal seit dem Sturz Slobodan Milosevics auch die Sozialisten vertreten sind; sie haben den langen Marsch der Parteireform begonnen. Das ist positiv für die Parteienlandschaft; doch für die Vergangenheitsbewältigung bedeutet das wohl das vorläufige Ende, weil viele alte Milosevic-Kader wieder zu Amt und Würden gelangt sind.
Positiv aufs Parteiensystem wirkte sich auch die Spaltung der Ultranationalisten aus. Unter Tomislav Nikolic könnte nun auch in Serbien eine pragmatische nationalkonservative Partei nach dem Muster der HDZ in Kroatien entstehen, die langfristig als Koalitionspartner der pro-westlichen Kräfte in Frage kommt.
Auch in der euroatlantischen Integration gab es Fortschritte; Albanien und Kroatien sollen im April der Nato beitreten. Serbien, Bosnien und Montenegro unterzeichneten das Abkommen über Stabilisierung und Assoziation, wobei Montenegro den Status eines EU-Beitrittskandidaten beantragt hat.
Bei der Zusammenarbeit mit dem Haager Tribunal stehen allerdings großen Fortschritten in Serbien offensichtlich massive Drohungen gegen potenzielle Zeugen im Kosovo gegenüber, die zu fragwürdigen Freisprüchen führten.
Der Pferdefuß der Region bleibt aber die Wirtschaft; sie entwickelte sich 2008 in den potenziellen Krisenherden alles andere als berauschend. Serbien verlor das ganze Jahr über, obwohl die pro-europäischen Kräfte gerade damit gewannen, dass sie den Einstieg von Fiat beim maroden Autobauer Zastava präsentierten.
Vor allem trifft den Balkan die weltweite Krise: durch das Ausbleiben von Touristen und großen ausländischen Investitionen. Dazu kommt, dass für die neue US-Führung der Balkan nicht zu den Prioritäten zählt und die EU weiter vor allem mit sich selbst beschäftigt ist. Doch die vielen unfertigen Baustellen auf dem Westbalkan dürfen noch nicht sich selbst überlassen werden.