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Politische Kostenrechnung

Von Walter Hämmerle

Leitartikel

Die Mühlen irdischer Gerechtigkeit mahlen langsam, aber immerhin: Sie mahlen. Ende 1995 hatte das UNO-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag Anklage wegen Völkermords gegen Ratko Mladic erhoben. Es sollte beinahe 16 Jahre dauern, bis der "Schlächter von Srebrenica" nun verhaftet wurde.


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Entscheidend war, dass sich im Laufe dieser Zeit das Verhältnis zwischen den politischen Kosten und dem Nutzen eines frei herumlaufenden Mladic in sein Gegenteil verkehrte. Die europäische Integrationsperspektive gewann in Serbien schließlich die Oberhand über nationalistischen Amok. Politische Erwägungen, nicht Fragen von Recht und Gerechtigkeit, haben letztlich den Ausschlag gegeben.

Das Primat der Politik in internationalen Beziehungen ist so alt wie deren Geschichte. Auf lange Sicht erweisen sich nur die Gesetze der Ökonomie als noch mächtiger. Auf den Anklagebänken aller Zeiten versammelten sich bevorzugt die Verlierer von Kriegen - umso mehr, wenn sie auch noch arm waren. Beziehungsweise wohlhabend werden wollen, wie jetzt eben auch Serbien. Die Moral ist dabei keine autonome Kategorie, sondern Spielball übergeordneter Interessen.

Wer das nicht glaubt, verschließt vor den außenpolitischen Realitäten seine Augen. Libyens Diktator Muammar Gaddafi wird jetzt mit dem Segen der Weltgemeinschaft bombardiert; bei den iranischen Mullahs und Nordkoreas Steinzeitkommunisten begnügt man sich mit Sanktionen; gegenüber Syriens Bashar al-Assad ist sich in dieser Hinsicht nur noch der vereinigte Westen einig; dasselbe gilt für Alexander Lukaschenkos Regime in Weißrussland. China und Russland brauchen solches nicht zu fürchten, hier regiert die normative Kraft des Ökonomischen.

Recht und Gesetz können nur unter demokratischen Bedingungen bestehen, die gibt es jedoch längst nicht überall - und am allerwenigsten im Verhältnis zwischen den Staaten. Und wer jetzt beginnen will, das hohe Lied auf Europa zu singen, sei daran erinnert, wie vor wenigen Wochen einige mächtige Staaten ganz locker bestehendes europäisches (Schengen-)Recht ausgehebelt haben.

Doch aus welchen Gründen auch immer Ratko Mladic ausgerechnet jetzt verhaftet wurde, sie ändern nichts an den Tatsachen: Die Festnahme des mittlerweile 69-jährigen bosnisch-serbischen Generals ist eine sehr gute Nachricht und Serbien ein selbstverständlicher Kandidat für einen EU-Beitritt.