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Politische Nicht-Wähler

Von Bettina Figl

Politik

Der ÖH-Wahlkampf stößt auf wenig Interesse. Direkt- und Briefwahl lassen auf höhere Wahlbeteiligung hoffen.


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Wien. Wann ist die ÖH-Wahl? War sie nicht schon? War die Wahlbeteiligung heuer wieder so gering? Kurz vor der Wahl zur Österreichischen Hochschülerschaft (ÖH) hat sich die "Wiener Zeitung" unter den Studierenden umgehört. Das Ergebnis: An den meisten geht die ÖH-Wahl spurlos vorüber. Das ist kaum verwunderlich, ist doch die Wahlbeteiligung traditionell gering, bei der vergangenen ÖH-Wahl vor zwei Jahren lag sie bei knapp 28 Prozent. Eine YouTube-Kampagne soll das ändern: "Wer nicht mitgestaltet, wird gestaltet werden", sagt etwa Wissenschaftsminister Reinhold Mitterlehner (ÖVP). Humoristischer fällt der Video-Appell der Kabarettisten Gebrüder Moped aus, die die Studierenden auffordern, trotz etwaiger Zweifel an der ÖH wählen zu gehen. Riesensprünge darf man sich bei der Wahlbeteiligung wohl trotzdem nicht erwarten.

Neu: Direkt- und Briefwahl

Woran liegt das? Lässt das verschulte Bachelor- und Mastersystem keine Zeit für Politik? Stimmt das medial stark verbreitete Bild des angepassten Studenten, der, den geringsten Widerstand folgend, durch das Studium prescht? "Natürlich ist es leichter, das Studium einfach durchzuziehen, ohne nach links oder rechts zu schauen", so ein Student, der zwischen zwei Seminaren am Universitätscampus im Alten AKH jausnet. Er ist 24 Jahre alt, studiert im 7. Semester Kunstgeschichte und ist nicht zufrieden: "Das ganze Studium ist schrecklich, die Prüfungen Multiple-Choice-Tests, in den Vorlesungen sitzen 700 Studenten. Ich wünschte, ich hätte nie begonnen zu studieren." Dennoch wird er bei der ÖH-Wahl für das "kleinste Übel" seine Stimme abgeben. Welche Studenten-Partei das ist, weiß er noch nicht.

Heuer ist zum ersten Mal die Briefwahl möglich, und die Direktwahl wurde wiedereingeführt. Dadurch erhofft man sich eine Erhöhung der Wahlbeteiligung. Ob das gelingt, wird der kommende Donnerstag zeigen, wenn nach drei Wahltagen (19. bis 21. Mai) die Wahllokale schließen. Kleinere Gruppen, keine Knock-out-Prüfungen, günstiges Mensa-Essen: Die Wunschliste der Studierenden ist lang, die Vorhaben der elf antretenden Fraktionen (Gratis-Öffi-Tickets, leistbares Wohnen) ebenfalls.

Seit rund einem Monat kämpfen sie um die Gunst der 325.000 Wahlberechtigten - das sind rund 75.000 Menschen mehr als bei der zehn Tage später stattfindenden Landtagswahl im Burgenland. "Bis jetzt habe ich nur die Wahlplakate mitbekommen", sagt ein Psychologie- und Philosophiestudent und blickt missbilligend auf den Werbeslogan "Gegen Diskriminierung ist GRAS gewachsen" der Grünen und Alternativen StudentInnen (GRAS). "Sollte nicht jede Fraktion gegen Diskriminierung sein?" Im Gespräch zeigt er sich politisch interessiert, aber desillusioniert: Er wird heuer nicht wählen gehen, der 31-Jährige war überhaupt erst einmal in seinem Leben wählen. Aus Mangel an Angeboten, wie er sagt, wie in der Bundespolitik sei es ihm auch bei der ÖH-Wahl ein Rätsel, wofür die Parteien stehen.

Heuer treten zwei neue Fraktionen an: "Die Liste" - ein Ableger der Satire-Partei "Die Partei" - und die interkulturelle Studenteninitiative "Stulife". Zweitere schicken vor allem türkischstämmige Kandidaten ins Rennen und fordern geförderte Deutschkurse für nicht-deutschsprachige Studenten und Krankenversicherung für alle. Unterstützt werden sie von der UETD, der Union Europäischer Türkischer Demokraten, die der türkischen AKP nahestehen soll.

Alteingesessen ist hingegen die ÖVP-nahe AktionsGemeinschaft (AG), die am Campus Äpfel verteilt, und der Verband Sozialistischer StudentInnen (VSStÖ); die SPÖ-Vorfeldorganisation kredenzt an ihrem Stand vor der Hauptuniversität Kaffee. Im GRAS-Campingwagen nebenan werden Papierfilter für selbst gedrehte Rauchwaren verschenkt.

Studentin Sophie Schnürl sitzt etwas abseits auf der Unirampe und sagt, sie werde zwar wählen gehen, habe derzeit jedoch andere Dinge im Kopf: Die Pharmaziestudentin will an die Universität für Bodenkultur wechseln, da der Studienaufwand dort bewältigbarer ist. "In Pharmazie muss man 24 Stunden an sieben Tagen pro Woche lernen. Aber ich arbeite nebenbei, und Biotechnologie lässt sich damit besser vereinen." Soll die ÖH sich in politische Debatten einbringen oder sich auf Servicethemen konzentrieren, wie es der Ring Freiheitlicher Studenten (RFS) oder die Junos vorschlagen? "Information gibt es genug", sagt Schnürl.

Service oder Politik?

Auch Nicht-Wähler sagen, dass sie prinzipiell hinter der ÖH stehen: "Die ÖH darf nicht zur Servicestelle degradieren. Wenn es ums Eingemachte wie Studiengebühren geht, ist es wichtig, dass es die ÖH gibt." An der ÖH interessiert sind klarerweise jene, die in ihr aktiv sind oder waren. So etwa Sümeyye Cigci: Sie hat bei der letzten ÖH-Wahl für die AG kandidiert, heuer beteiligt sie sich nur als Wählerin. Die junge Türkin studiert Orientalistik und erzählt, wie schwer die Zeit in der ÖH zeitlich mit dem Studium vereinbar war: "Ich muss jetzt Gas geben, um so schnell wie möglich fertig zu werden." Sie studiert gerade einmal im vierten Semester.

Studieren bis 30, das war einmal. Ab dem 24. Lebensjahr verliert man die Familienbeihilfe, Seminare fordern Anwesenheitspflicht, nebenbei wird oft gejobbt. Das neue Mantra der Studierenden lautet "fertig werden". Bei aller Unzufriedenheit ist der Studienabbruch für die meisten dennoch keine Option: Ohne Abschluss ist die Wahrscheinlichkeit, später einen Job zu finden, noch geringer. Dass Professoren vor vollen Auditorien scherzen, nach dem Studium müsse man eben als Taxifahrer arbeiten, hebt die Stimmung auch nicht unbedingt.

Dass das Studium keinen Raum ließe, sich zumindest dahingehend zu informieren, wen man wählen will, ist aber Humbug. "Zeit hätte ich schon, das Studium ist nicht besonders stressig", sagt Ülkü Yildrim und grinst. Die 21-Jährige studiert an der Wirtschaftsuniversität Wien Betriebswirtschaftslehre im 4. Semester, wie ihre Kommilitonin Özge Hazar, 8. Semester, wird sie nicht wählen gehen. Die jungen Frauen haben noch nie ihre Stimme abgegeben, auch nicht bei landes- oder bundespolitischen Wahlen. Warum? "Egal ob ÖVP, SPÖ oder Grüne an der Macht sind, es ist alles dasselbe." Daran, dass die ÖH an den Missständen an der Uni etwas ändern könnte, glauben sie nicht. Manchen sind die Forderungen der ÖH auch zu abgehoben oder zu radikal: "Man kann auch Kapitalismus kritisieren, ohne Marxist zu sein." Bei der ÖH-Wahl treten seit einigen Jahren zwei kommunistische Parteien an: der KPÖ-kritische KSV und dem mit der Bundes-KPÖ sympathisierenden KSV-LiLi.

Häupl gegen Kalashinokovs

Ihr Stand ist karger bestückt als die größerer Fraktionen: "Wir haben mit 2500 Euro das kleinste Wahlkampfbudget", argumentiert Tina Sanders. Sie repräsentiert den KSV Lili bei der Wahl, aber nicht als Spitzenkandidatin, die Fraktion ist basisdemokratisch aufgestellt. Adam Markus verteilt für KSV Lili-Flyer, der Doktorand trägt ein T-Shirt mit der Aufschrift "Gegen Säbel, für Kalashinokovs". Er habe heute schon ein Foto mit dem Wiener Bürgermeister Michael Häupl gemacht, erzählt er stolz. "Dem Häupl hat mein T-Shirt nicht so gut gefallen. Er sagte, er war auch einmal so, und später werde ich das ebenfalls anders sehen." Immerhin vierzig Jahre liegt es zurück, dass Häupl als VSStÖ-Vorsitzender in der ÖH aktiv war.

Die ÖH, das war immer schon eine Kaderschmiede der Politik - und wenn es nicht für die große Politik reicht, dann zumindest für einen Versorgungsposten. Die Liste prominenter Ex-ÖHler in der Politik ist jedenfalls lang: Bundespräsident Heinz Fischer war VSStÖ-Mandatar, die Wiener Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou ÖH-Generalsekretärin, die grüne Wissenschaftssprecherin Sigrid Maurer stand 2009, zur Zeit der Audimax-Besetzung, an der ÖH-Spitze.

Und just während dieser massiven Studentenproteste - eine Art Antithese zu den unpolitischen, angepassten Studierenden - war die Wahlbeteiligung mit 25 Prozent so niedrig wie noch nie. Zwischen geringer Wahlbeteiligung und geringem politischen Interesse dürfte also kein kausaler Zusammenhang bestehen. Vielmehr tun sich die studentischen Parteien schwer, ihre Wähler anzusprechen. Auch das dürfte die Polit-Azubis auf den parteipolitischen Alltag vorbereiten.