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Politische Reform trotz Wachablöse nicht in Sicht

Von Andreas Landwehr

Politik

Peking - Es ist der erste reibungslose Machtwechsel in der Geschichte der KP Chinas. Ohne ein persönliches Wort verabschiedete sich Jiang Zemin am Donnerstag nach 13 Jahren als Parteichef von den Delegierten in der Großen Halle des Volkes in Peking.


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Als sein Erbe hinterlässt Jiang Zemin dem 1,3-Milliarden-Volk seine Politik der "Drei Vertretungen". Hinter dieser vagen und ungelenk beschriebenen Theorie verbirgt sich die weitere Öffnung der Partei für Chinas Wirtschaftskapitäne. Zwar schwört er, der Kommunismus bleibe das "höchste Ideal und endgültige Ziel". Doch bewegt seine Strategie das Land weiter weg vom Kommunismus als je zuvor.

Ohne Widerspruch folgen ihm die Delegierten, heben einstimmig mit ihrer rechten Hand dieses "wichtige Gedankengut" neben den Marxismus-Leninismus und den Lehren Mao Zedongs in die Parteiverfassung. Eine moderne Partei, die sich den Herausforderungen einer aufstrebenden Wirtschaftsnation stellt, soll sie werden. Doch das operettenhafte Ritual unter Hammer, Sichel und rotem Stern lässt nur verstaubte Vergangenheit lebendig werden.

In seinem Streben nach Stabilität vereint Jiang auch die größten Widersprüche. Mit diesem Geschick bescherte der sowjetisch geschulte Ingenieur und frühere Fabriksdirektor der Volksrepublik über 13 Jahre eine friedliche Transformation, Stabilität und bis dahin unerreichten Wohlstand. Auf der Weltbühne wurde China als Mitspieler anerkannt und in die Welthandelsorganisation (WTO) aufgenommen. Es folgte der Zuschlag für die Olympischen Spiele 2008.

Sein größter Erfolg sei es gewesen, den Aufbau der Wirtschaft in den Mittelpunkt gerückt zu haben, sagt Professor Chen Mingxian, Parteihistoriker an der Pekinger Volksuniversität. Zur Stabilität habe aber auch beigetragen, dass sich zunehmend ein kollektiver Führungsstil an der Spitze der Partei entwickelt habe.

Doch wachsen politische Widersprüche. Die Menschen genießen heute größere Freiheiten als je zuvor. Nur organisieren dürfen sie sich nicht. Bürgerrechtler, Internetdissidenten oder religiöse Aktivisten wandern ins Gefängnis. Die Staatssicherheit wird allmächtig. Der Mangel an Transparenz während des Parteitages, seine Ritualisierung und die ungewöhnlich scharfen Sicherheitsmaßnahmen lassen unter der Oberfläche ein verängstigtes und unsicheres System ahnen. Politische Reformen sind nicht in Sicht.