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Politische Stabilität nicht in Sicht

Von Martyna Czarnowska

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Ein Jahr nach der Parlamentswahl in Polen gibt es in Warschau keine mehrheitsfähige Regierung. | "Und jetzt sind wir dran!" Mit einem saftigen Fluch versehen ist der Spruch in Polen zu einem geflügelten Wort geworden. Sein Urheber soll Jaroslaw Kaczynski gewesen sein. In den 90er-Jahren kommentierte er damit die Machtablöse der Sozialisten durch rechte Parteien, der später die Machtübernahme durch die Linke folgte, die danach wieder abgewählt wurde.


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Seit sechzehn Jahren wechseln sich in Polen das linke Lager - das daran arbeitet, sich von seinen Wurzeln in der sozialistischen Arbeiterpartei zu lösen - und die rechten Parteien - die ihren Ursprung in der Gewerkschaftsbewegung Solidarnosc haben - bei der Regierungsbildung ab. Und noch jedes Kabinett ist spätestens nach einer Legislaturperiode abgewählt worden. Von Korruptionsaffären und anderen Skandalen überschattet war so gut wie jede Regierungszeit.

Jetzt ist Jaroslaw Kaczynski wieder dran, gemeinsam mit seinem Zwillingsbruder Lech Kaczynski. Die beiden sind Polens Premier und Staatspräsident. Vor einem Jahr hat ihre rechtskonservative Partei, Recht und Gerechtigkeit (PiS), die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen gewonnen. Und seit einem Jahr ist es nicht gelungen, eine stabile Regierung zu bilden.

Dabei hat der Ministerpräsident schon einiges versucht. Nachdem Koalitionsgespräche mit der zweitstärksten Partei, der Bürgerplattform, gescheitert waren, probierte er es mit einer Minderheitsregierung. Darauf folgte ein so genannter Stabilisierungspakt mit der radikalen Liga der Polnischen Familien und der Samoobrona des selbst ernannten Bauernführers Andrzej Lepper. Danach kam eine Koalition mit den beiden Fraktionen, die nur wenige Monate hielt. Nach Leppers Rauswurf aus der Regierung steht Jaroslaw Kaczynski nun wieder einer Minderheitsregierung vor. Und schließt erneute Gespräche mit der Samoobrona nicht aus.

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Am Wochenende konnten die Polen je nach Belieben für oder gegen die Regierung demonstrieren. Zwölf Parteien und Organisationen hatten zu Kundgebungen aufgerufen. Jaroslaw Kaczynski warb für eine Mehrheitsregierung, Donald Tusk, Vorsitzender der Bürgerplattform, für Neuwahlen. Darüber soll am morgigen Donnerstag im Parlament abgestimmt werden. Doch die Chancen, dass der Antrag auf ein vorgezogenes Votum die notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit findet, sind gering. Denn PiS kann sich noch immer auf 183 der 460 Stimmen im Sejm stützen.

Dass die Regierungspartei vor vorgezogenen Neuwahlen warnt, mag nicht nur aus Staatsräson resultieren. Ihre Beliebtheitswerte sinken: Laut Umfragen würden nur noch 23 Prozent der Bevölkerung PiS wählen. Zu Jahresanfang waren es noch 36 Prozent.

Mittlerweile hat sich auch Staatspräsident Lech Kaczynski in die Regierungsbildung eingeschaltet. Er führt Konsultationen mit allen Parteien - und verhehlt nicht, dass ihm eine mehrheitsfähige Regierung unter der Führung seines Zwillingbruders lieber wäre als Neuwahlen.

Verhalten zeigt sich die Bauernpartei PSL, mit der PiS Koalitionsgespräche führen will. Offener für eine neue Kooperation ist hingegen die Samoobrona. Allerdings will Andrzej Lepper wieder einen Ministerposten bekleiden.

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Jaroslaw Kaczynski jedenfalls möchte seinen Kampf gegen das "System" weiterführen. Auch das ist zu einem geflügelten Wort in Polen geworden. Das "System" ist eine dunkle Macht, das, was Kaczynski als Filz zwischen der postkommunistischen Politklasse, ehemaligen Geheimdienstlern und Wirtschaftsbossen bezeichnet. Medien, die allzu sehr kritisieren, gehören manchmal auch dazu.

Doch zunächst müsste einmal das Budget für kommendes Jahr beschlossen werden. Privatisierungen von Staatsunternehmen müssten fortgesetzt werden. Die Arbeitslosigkeit müsste bekämpft werden. Für all das braucht es aber ebenfalls eine Mehrheit im Parlament.