Zum Hauptinhalt springen

Politische Transformationsprozesse

Von Sigrid Maurer

Gastkommentare

Grüne regieren anders, sie haben auch anders verhandelt.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 5 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Beim Jubiläum der ORF-Sendung "Hohes Haus" vorigen Donnerstag wurden Parlaments-Schmankerln der vergangenen 40 Jahre gezeigt - mit vielen grünen Ausschnitten. Der Einzug der Grünen in Parlament im Jahr 1986, aktionistisch mit Koffern mit aufgeklebten Botschaften, die grüne Abgeordnete Christine Heindl, die mit der größten Selbstverständlichkeit ihren Sohn im Plenarsaal stillte, oder die mehr als zehnstündige Filibuster-Rede von Madeleine Petrovic.

Die Grünen sind als aktionistische Bewegung ins Parlament eingezogen und haben sich über viele Jahre den Ruf einer akribisch arbeitenden Oppositions- und Kontrollpartei erarbeitet. 2017 sind sie fulminant aus dem Nationalrat geflogen - und haben sich aus der außerparlamentarischen Opposition zurück gekämpft - direkt in die Regierung. Dass Grüne regieren können, beweisen sie seit Jahren mit erfolgreichen Koalitionen in den Bundesländern. Eine Koalition im Bund ist neu - und eine Herausforderung für den Parlamentsklub und die Partei. Es ist neu für uns Grüne, Reden der ÖVP zu beklatschen. Es ist ein anderes politisches Arbeiten, nicht noch einen Kritikpunkt in einem großen Paket zu suchen - sondern das große Ganze zu bewerten. Und ja, es ist auch neu, bei Abstimmungen nicht nur der eigenen Überzeugung zu folgen, sondern der Koalitionsräson.

Dieser Transformationsprozess wird nicht von heute auf morgen abgeschlossen sein. Wer die Erwartung hatte, dass wir Grüne mit einem pädagogischen Auftrag in diese Regierung eingetreten sind, etwa mit dem Ziel, dass die ÖVP verbal abrüstet und sich als plötzlich als Menschenrechtspartei positioniert, lag falsch. Wir Grüne sind in dieser Regierung, um Verantwortung zu übernehmen für die Themen, für die wir gewählt wurden: saubere Umwelt, saubere Politik und soziale Gerechtigkeit. Zusätzlich verhindert unsere Regierungsbeteiligung auch, dass korruptionsanfällige Blaue wieder in die Ministerien einziehen.

Mittelfristig wird sich aber der politische Diskurs transformieren. Grüne kommunizieren anders - wie man an den ersten Auftritten unserer Ministerinnen und Minister bereits erkennen kann. Ruhig, sachorientiert - auch mit einer guten Portion Humor.

Grüne regieren anders, sie haben auch anders verhandelt. So witzelt der Verhandlungspartner, der FPÖ wäre vieles egal gewesen - während wir Grüne zu jedem Detail eine Studie aus der Tasche gezogen hätten. Das hat natürlich einen wahren Kern - seriöse Politik auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse ist ein Grundpfeiler grüner Politik. Diese Regierungsbeteiligung wird diskursiver ablaufen, sie wird kein Paarlauf geeinter Positionen werden. Das erfordert gewissermaßen auch eine Transformation im Denken der Journalistinnen und Journalisten des Landes: Nicht jede Äußerung unterschiedlicher Positionen ist ein Streit, nicht jedes Ringen um eine Entscheidung ein Anzeichen einer Regierungskrise, ein Kompromiss nicht automatisch ein "Umfaller".

Dementsprechend möchte ich an dieser Stelle für ein bisschen Gelassenheit plädieren - wir werden sehen, wie gut diese Transformationen gelingen werden.