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WZ-Interview mit Europaexpertin Sonja Puntscher-Riekmann. | Türkei-Beitritt überfordert Union.
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"Wiener Zeitung":Österreichs Parteien sind - mit Ausnahme der Grünen - nunmehr gegen einen Beitritt der Türkei zur Europäischen Union. Welche Motive stehen dahinter?Sonja Puntscher-Riekmann: Ganz offensichtlich hat die öffentliche Meinung in dieser Frage an Bedeutung gewonnen, denn die Positionen waren ja durchaus Schwankungen unterworfen. In der Vergangenheit hat etwa die ÖVP allen europäischen Beschlüssen zur Türkei zugestimmt; das gilt auch für die SPÖ solange sie noch Regierungspartei war. Das Ja der Grünen ist vor allem Ausdruck eines kosmopolitischen Denkens, wobei ihr EU-Abgeordneter Johannes Voggenhuber hier eine unterschiedliche Linie einnimmt.
Das gilt ja auch für die SPÖ, wo SPE-Fraktionsvize Hannes Swoboda die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei befürwortet. Sollten da nicht die Parteizentralen im Sinne der Glaubwürdigkeit auf einer einheitlichen Linie bestehen?
Meiner Ansicht nach nehmen die Parteizentralen ihre EU-Abgeordneten nicht ernst. Man glaubt hier, sie werden ohenhin nicht gehört, das ist leider eine Fehlkalkulation.
Am Ende hat man sich auf die Betonung der Aufnahmefähigkeit der Union als Kompromissformel geeinigt. Wie beurteilen Sie das Ergebnis?
Ich halte das alles für sehr unanalytisch und uneuropäisch. Die Antwort auf die Frage, wie groß die EU werden darf, um noch eine politische Union werden zu können, ist wieder einmal ausgeblieben. Das Kriterium mit der Aufnahmefähigkeit hat es ja auch zuvor bereits gegeben, nun wird es eben stärker betont. Aber das ist immerhin ein Hebel, mit dem man später argumentieren kann.
Wie stehen Sie selbst zur Frage eines türkischen EU-Beitritts?
Ich bin dagegen, weil ich glaube, dass damit die Union endgültig überfordert wäre. Wenn es jemals eine politische Union geben soll, dann muss es auch Grenzen und Prioritäten geben. Und Letztere sind eindeutig die Staaten des westlichen Balkans. Nach Kroatien braucht es auch einen Fahrplan für Serbien-Montenegro und Albanien.
Es wird auch überhaupt nicht darüber nachgedacht, was ein Türkei-Beitritt für mögliche weitere Beitrittsansuchen etwa der Maghreb-Staaten, ganz zu schweigen von Israel, bedeutet. Damit wäre ein Fass ohne Boden geöffnet. Das grundsätzliche Problem ist: Diese ganze Diskussion stammt nicht aus der Mitte der Gesellschaft, sondern ist von oben oktroyiert.
Zur Person
Sonja Puntscher-Riekmann lehrt Politikwissenschaft mit Schwerpunkt europäische Integration an der Uni Salzburg, wo sie auch als Vizerektorin fungiert. Außerdem leitet sie das Institut für Europäische Integrationsforschung an der Akademie der Wissenschaften.
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