Die Plakate der fünf größten Wiener Parteien versuchen krampfhaft, von der Asyldebatte abzulenken.
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Wien. Am 11. Oktober wird gewählt, und die Wiener Parteien buhlen mit verschiedenen Slogans und Sujets um Wähler. Dabei zeigt sich, dass die FPÖ auch hier die Nase vorn hat, meint Politologe Thomas Hofer, der für die "Wiener Zeitung" die Wahlplakate analysiert hat. Bei der SPÖ präsentiert sich Michael Häupl als guter Hirte, den Sujets der Grünen und noch mehr jenen der ÖVP schadet es sichtlich, dass das Asylthema den Wahlkampf so stark dominiert. Und die Neos? Die wirken ein bisschen, als würden sie die FPÖ kopieren.
SPÖ
"Die Sozialdemokratie ist sehr verunsichert, wie die erste Plakatwelle zeigt: Man ist sich seiner Sache nicht mehr sicher. Nun ist es eine ziemliche Turnübung, zu schreiben: ‚Wien ist einfach eine coole Stadt. Aber ohne Lehrplatz bringt dir das genau gar nix.‘ Das ist eine Doppelbotschaft, die für den Beobachter - und eine solche Botschaft muss sich sofort erschließen - kaum verständlich ist. Man wollte auf den Wohlfühlfaktor nicht verzichten und wusste auch, dass man eine Bilanz über viele Jahrzehnte hinweg zu verteidigen hat. Das mit inhaltlichen Ansagen zu verknüpfen, die indirekt auch die eigene Arbeit kritisieren, ist dann ein fast unmöglicher Spagat.
In der ersten Welle mit diesen Statements ist keine klare Linie drinnen, in der zweiten Welle, in der dann Parteichef Michael Häupl Antworten darauf gibt, ist sie schon eher da. Die SPÖ versucht krampfhaft, den Wahlkampf weg vom Asylthema auf andere Bereiche wie Arbeitsplätze oder Wohnen zu lenken. Das kann man zwar probieren, die Asylkrise deckt aber alles zu. Es ist auffällig, dass das Asylthema in den Plakaten gar nicht vorkommt.
Wie sich Häupl als Bürgermeister in der Flüchtlingsfrage positioniert, ist aber geschickt. Ihm ist klar, dass da einiges in Richtung FPÖ wegrutscht. Häupl versucht jetzt das, was 2010 schon in Ansätzen gelungen ist, nämlich diese Verluste zumindest zum Teil zu kompensieren, indem er sich jetzt als der gute Hirte präsentiert - beginnend mit der Öffnung des Zentrums in Erdberg und jetzt mit der Aufnahme von minderjährigen Flüchtlingen aus Traiskirchen - und im grünen, pinken und hellschwarzen (also linkskatholischen) Bereich zu wildern. Es sind nette Fotos, auf denen die Person Michael Häupl als Kontrapunkt zu Strache positioniert wird, quasi als einzig wirksames Anti-Strache-Medikament. Die zweite Welle der SPÖ-Plakate zeigt eine Personalisierung in Reinkultur. Mit Dialektsätzen wie ‚Da bleib’ i stur‘ versucht man eine Nähe zum Wähler aufzubauen. Das ist die richtige Entscheidung. Die zweite Plakatwelle ist auch in sich schlüssig. Das Einzige, was für die SPÖ noch zählt, ist, dass sie über diese Wahl irgendwie drüberkommt. Da man keine überraschenden Akzente setzen kann, bleibt nur noch das Duell mit Strache. Die SPÖ hofft, noch einen gewissen Vorsprung über die Ziellinie zu retten."
Grüne
"Das Öffi-Plakat mit Nationalratsmandatar Julian Schmid - der namentlich gar nicht genannt wird - finde ich nur bedingt gelungen. Gerade bei grünen Zielgruppen glaube ich, dass in der Zeit des Asylnotstands dieses Plakat nicht der beste Kunstgriff war. Schmid ist hier mit vielen Kussmündern übersät, da ist, angesichts der Tatsache, dass viele grüne Basisvertreter gerade auf dem West- und Hauptbahnhof oder an der Grenze im Hilfseinsatz sind, die Kluft groß. In einem anderen Wahlkampf kann man das Plakat schon lustig finden.
Am Punkt ist da schon eher das Plakat mit Parteichefin Maria Vassilakou, bei dem mit dem Slogan ,Unbequem, aber wirkt‘ bewusst damit gespielt wird, dass sie polarisiert. Und die Grünen hätten ja eigentlich einiges befolgt von dem, was wir 2010 analysiert haben, nämlich, dass sie ein paar Leuchttürme brauchen werden und nach den fünf Jahren beweisen müssen, was sie in Wien bewirkt haben. Und was immer man von Mariahilfer Straße, 365-Euro-Jahreskarte, Parkpickerl oder grünen Radwegen halten mag - es ist eine grüne Handschrift. Und das ist ja auch das Problem der SPÖ: Alle markanten stadtpolitischen Entscheidungen der vergangenen fünf Jahre kamen von den Grünen und nicht von den Roten. Und bei diesen erwähnten Rathaus-Entscheidungen waren die meisten grünen Wähler dafür und viele SPÖ-Wähler dagegen, und das fällt der SPÖ jetzt (auch) auf den Kopf.
Nur, und jetzt sind wir wieder beim Konjunktiv: Wenn das ein stinknormaler Wahlkampf in einer stinknormalen Zeit wäre ohne die Asylkrise und ohne die Zuspitzung auf die Frage, wer Erster und wer Zweiter wird, hätte ich gesagt: Mit dieser Linie kommen die Grünen wieder auf ihr Ergebnis von 2005 mit rund 15 Prozent oder sogar mehr. Jetzt wird aber einfach alles so vom Asylthema zugedeckt, und die FPÖ feiert dermaßen fröhliche Urständ’, dass das die Wachstumschancen der Grünen enorm reduziert. Rot-Blau im Burgenland zieht auch nicht mehr als Argument, weil sich SPÖ-Chef Michael Häupl als guter Hirte und Bollwerk gegen HC Strache inszeniert. Und weil die FPÖ im Burgenland bisher keinen extremen Anlass geliefert hat, um der SPÖ erneut den Tabubruch vom Juni umzuhängen."
Neos
"Die Neos geben sich puristisch. Es ist für sie ein echter Stilbruch, auch einmal gegen etwas zu sein und nicht nur für etwas. Das war zunächst ein etwas naiver Ansatz, immer nur positiv bleiben zu wollen. Das haben die Neos im EU-Wahlkampf und in Vorarlberg auf die harte Tour gelernt, als sie zum Opfer des ‚Negative Campaigning‘ der anderen Parteien wurden, gerade von Schwarz und Grün.
Von der Sprache her ist es aber wohl ein bisschen zu freiheitlich, der Satz von der ,gierigen Politik‘ zum Beispiel oder den ,gstopften Politikern‘. Sie meinen es wohl anders, und sie sagen auch, dass sie es anders meinen. Aber der Eindruck ist ein anderer und auch da ist die Frage, ob die Tonalität mit den pinken Zielgruppen in Einklang steht. Die Zuspitzung ist aber richtig, denn für die Neos gilt dasselbe wie für die ÖVP und die Grünen, nämlich dass sie zwischen SPÖ und FPÖ unterzugehen drohen. Deshalb greifen sie zu schrilleren Tönen.
Es ist also ein gewisser Stilbruch zumindest gegenüber der Neos-Gründungsphase erkennbar, als sie gesagt haben: ‚Wir stehen für eine positive Art und werden nie jemanden attackieren.‘ Dieser neue Ansatz ist auch richtig. Die Neos haben zumindest für eine Diskussion über ihre Wahlkampflinie gesorgt.
Aber damit werden sich die Neos wohl nicht durchsetzen, auch wenn sie natürlich von der ÖVP-Schwäche ein wenig profitieren. Aber eines ist klar: Sie werden es nicht in den Landtag schaffen, wenn sie nur bei der ÖVP Stimmen holen, dazu sind die Schwarzen nicht mehr groß genug in Wien. Deshalb wird es auch noch ein heftiges Match mit der SPÖ geben. Da waren wohl einige SPÖ-Wähler schon bei den Neos oder sind es vielleicht noch immer - aber die drohen nun mit der Last-Minute-Argumentation der SPÖ wieder abzudriften. Es ist jedenfalls eine schwierige Ausgangslage."
ÖVP
"Dass ÖVP-Chef Manfred Juraczka mit ‚25.000 Jobs‘ wirbt, während SPÖ-Chef Michael Häupl ‚neue Arbeitsplätze‘ verspricht, zeigt, dass er im Grundsatz die Marketing-Grundregel befolgt hat, mit möglichst konkreten Zahlen zu arbeiten. Es ist aber letztlich Makulatur. Denn was in diesem Wahlkampf für die SPÖ gilt - dass man versucht, ihn auf andere Themenfelder zu zerren - trifft im Übermaß auf die ÖVP zu. Es ist völlig egal, was Juraczka jetzt tut. In diesem Wahlkampf hilft der ÖVP nichts mehr.
Natürlich versucht er mit dieser Autofahrer-Geschichte die Polarisierung von Grünen-Chefin Maria Vassilakou für sich zu nutzen, und die ÖVP hat das vor Jahren auch ganz gut gemacht mit der Parkpickerl-Unterschriftenaktion im Westen von Wien. Aber in diesem Wahlkampf geht sie unter. Das geht sich nicht mehr aus mit den angestrebten Zuwächsen. Auch der Slogan mit dem Gymnasium soll noch einige Kernwähler sichern, aber am 11. Oktober wird das dennoch eine Minderheitenfeststellung.
Was man bei den Plakaten auch feststellen und immer mit einrechnen muss: Natürlich wird es konkreter, wenn man zum Beispiel genau ‚25.000 Jobs‘ verspricht, aber es braucht auch eine gewisse Glaubwürdigkeit. Und die Glaubwürdigkeit, dass Juraczka überhaupt in die Verlegenheit kommt, Bürgermeister zu werden und als solcher dann Jobs schaffen zu können, eine sehr geringe.
Fazit: Die ÖVP versucht auf ihren Plakaten ihre Basisstrategie abzubilden, dazu gehört etwa ihre Kernstärke Wirtschaftskompetenz - aber es ist wie gesagt fast egal, womit sie wirbt."
FPÖ
"Dass die FPÖ in der zweiten Plakatwelle neben Parteichef Heinz-Christian Strache mit Ursula Stenzel wirbt, überrascht mich nicht. Diese Plakate werden aber nicht in den Flächenbezirken hängen, da ist Stenzels Überlaufen kein Thema, sondern vermutlich auf jene Bezirke konzentriert werden, in denen die FPÖ etwas von der ÖVP holen kann - und das kann sie in Teilbereichen sicher. Es werden zwar nicht alle Stenzel-Fans mit fliegenden Fahnen überlaufen, aber ein Teil ist sicher gewinnbar. Und Strache kann jeden Prozentpunkt gebrauchen. Es ist natürlich auch ein Symbol: Da schaut her, andere laufen zu mir über! Das Siegerimage wirkt nicht nur bei der Bevölkerung, sondern auch bei den Mitbewerbern. Und in Richtung einer durch die Asylkrise verunsicherten bürgerlichen Schicht ist dieser Coup sinnvoll. Ich glaube nicht, dass er damit die FPÖ-Kernwählerschicht verprellt. Wo sollen denn die Hardcore-Wähler hingehen? Sie werden trotzdem HC Strache wählen.
Auffällig ist, dass die FPÖ bei ihren Plakaten mit angezogener Handbremse fährt, weil sie weiß, dass ihr die anderen Parteien die Stimmen ohnehin zutreiben, solange sie selbst nichts falsch macht. Und es ist ja auch keine einfache Übung, für das Ziel, über die 30 Prozentpunkte zu kommen, die Hürden für jene Wähler abzubauen, für die die FPÖ bisher nicht in Frage gekommen ist.
Die ‚Revolution‘ wird in Anführungszeichen geschrieben, die Rache ist süß, das Strache-Foto ist herzallerliebst, wie von einer Partnervermittlungsagentur. Man will es nicht übertreiben in diesem Wahlkampf. Der FPÖ könnte jetzt nichts Schlimmeres passieren, als mit irgendwelchen extremistischen Sagern rauszugehen. Stattdessen versucht sie ein bisschen weichzuzeichnen. Das Wort ‚Liebe‘ ist eigentlich ein freiheitlicher Stilbruch. Denn eines ist klar: Die Botschaft der FPÖ ist die am besten kommunizierte - österreichweit. Jeder weiß, wofür sie steht, deshalb braucht sie auf ihre Plakate nicht mehr ‚Daham statt Islam‘ oder ‚Umvolkung‘ draufzuschreiben, sondern es genügt, die alten Sätze indirekt - und abgeschwächt - zu zitieren.
Die Oktober-‚Revolution‘-Geschichte hat noch einen Aspekt, der nicht unwesentlich ist. Man versucht nicht nur ein bisschen zu provozieren, damit über das Plakat geredet wird, sondern die ‚Revolution‘ deutet auch darauf hin, dass Strache ganz bewusst auch Nichtwähler des Jahres 2010 ansprechen will, und das ist meiner Meinung nach keine schlechte Idee. Warum? Weil es da auch viele von der Politik Gefrustete gibt und gab, die gesagt haben oder sich noch immer sagen: ‚Das komplette politische System ist für die Würste, und so brauche ich es nicht.‘ Und Strache suggeriert auf dieser Metaebene im direkten Duell gegen Michael Häupl: ‚Diesmal geht was. Bei dieser Wahl könnt ihr mit eurer Stimme wirklich was bewirken.‘ Es ist auch eine Botschaft an die schon an das Nichtwählerlager verloren geglaubten Wutbürger."
Thomas Hofer ist Politikberater und Buchautor, zuletzt "Dagegen sein ist nicht genug".