Fall Timoschenko bremst EU-Ambitionen der Ukrainer. | Keine Beitrittsperspektive für die Ostpartner.
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Brüssel/Warschau. Die sogenannte Östliche Partnerschaft sollte die Beziehungen mit den EU-Nachbarländern im Osten viel enger machen, wird aber immer wieder von Affären überschattet. Statt Fortschritte verzeichnen zu können, wird das amtierende EU-Vorsitzland Polen beim gestern, Donnerstag, gestarteten Gipfeltreffen der meisten EU-Staats- und Regierungschefs mit ihren Kollegen aus Armenien, Aserbaidschan, Georgien, Moldawien, Ukraine und Weißrussland Schadensbegrenzung betreiben müssen.
Denn dem ukrainischen Präsidenten Wiktor Janukowitsch wird vorgeworfen, Politjustiz gegen die Opposition zu forcieren. Das prominenteste Opfer ist die frühere Premierministerin Julia Timoschenko, seine damals erfolgreiche Gegenspielerin bei der Orangen Revolution vor sieben Jahren. Genau so lange soll auch ihre Haftstrafe wegen Amtsmissbrauchs dauern, wenn es nach der ukrainischen Staatsanwaltschaft geht.
EU und USA bezweifeln, dass bei dem Verfahren alles mit rechten Dingen zugeht. "Es wird unmöglich sein, dieses Thema nicht anzusprechen", sagte eine Sprecherin von EU-Außenministerin Catherine Ashton. Bei einem Vier-Augen-Gespräch will auch die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel den Ukrainer ins Gebet nehmen.
Gegen Erweiterung
Denn bei den Themen Rechtstaatlichkeit und Demokratie gebe es in der Ukraine in den letzten Monaten einige Fragezeichen, hieß es. Diplomaten verweisen darauf, dass Timoschenko nur die Spitze des Eisberges sei. Zahlreiche weitere Oppositionelle würden von der Justiz verfolgt, bei den letzten Kommunalwahlen habe es deutliche Unregelmäßigkeiten gegeben, tendenziell versuche Janukowitsch scheinbar, seine Macht durch Änderungen der Verfassung und des Wahlrechts abzusichern.
Für die Polen, auf deren Idee die 2009 gegründete Östliche Partnerschaft zurückgeht, kommt diese Entwicklung zu einem schlechten Zeitpunkt. Sie wollten bis Jahresende ein umfassendes Assoziierungs- und Freihandelsabkommen mit ihrem Nachbarland abschließen. Inhaltlich kommen die Verhandlungen offenbar gut voran. Sollte Timoschenko verurteilt werden, würde das Abkommen aber nicht umgesetzt, drohen Diplomaten unverblümt.
Die anscheinend auf politischen Irrwegen wandelnde Ukraine hat auch ein anderes Projekt der Polen vorläufig torpediert. Denn eigentlich hätte Warschau den östlichen Partnern gerne eine EU-Beitrittsperspektive in die Gipfelbeschlüsse hineingeschrieben. Die deutsche Regierung hat jedoch wiederholt klargestellt, dass die Östliche Partnerschaft ein Teil der Nachbarschaftspolitik der EU und keinesfalls der EU-Erweiterung sei. Auch im Assoziierungs- und Freihandelsabkommen mit der Ukraine dürfe es keinen Hinweis auf eine Beitrittsperspektive geben, hieß es zuletzt.
In einem Entwurf der Gipfelerklärung, welcher der "Wiener Zeitung" vorliegt", heißt es nun: "Die Östliche Partnerschaft basiert auf einer Gemeinschaft von Werten und Prinzipien der Freiheit, Demokratie, Respekt der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie Rechtsstaatlichkeit." Schon das mutet angesichts der ukrainischen Probleme recht weitreichend an - ganz zu schweigen vom umstrittensten östlichen Partner Weißrussland.
Minsk wählt Boykott
Dort regiert der oft als "letzter Diktator Europas" bezeichnete Alexander Lukaschenko mit eiserner Hand. Eine Einladung für Außenminister Sergej Martynow schlug der Herrscher aus, nur der weißrussische Botschafter in Warschau soll beim Gipfeltreffen vorbeischauen. Für den Chef selbst gilt wie für gut 190 weitere Personen aus seinem Umkreis EU-Einreiseverbot und Kontensperre. Die weißrussische Regierung schade sich mit dem Gipfelboykott nur selbst, sagte der polnische Außenminister Radoslaw Sikorski. In der EU wird überlegt, die Sanktionen auf Figuren in der Justiz und der Regierung nahestehende Wirtschaftsbosse auszudehnen.
Frankreich, Großbritannien und Italien besetzen das Gipfeltreffen übrigens nicht höchstrangig. Präsident Nicolas Sarkozy, Premier David Cameron und dessen Kollege Silvio Berlusconi schickten Stellvertreter. Österreichs Kanzler Werner Faymann hat sein Kommen zugesagt.