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Politologe: "Kickl ist ja nicht dumm"

Von Daniel Bischof

Politik

Der englische Politikwissenschafter Kurt Richard Luther über die Zukunft der FPÖ - und die möglichen Koalitionsvarianten.


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Für die FPÖ sind turbulente Zeiten angebrochen. Knapp zehn Prozentpunkte verlor sie bei der Nationalratswahl, vergangene Woche suspendierte sie ihren langjährigen Ex-Parteichef Heinz-Christian Strache. Über die Zukunft der Freiheitlichen und mögliche Koalitionsvarianten sprach die "Wiener Zeitung" mit dem englischen Politikwissenschafter Kurt Richard Luther. Der Politologe beschäftigt sich seit Mitte der 1980er Jahre intensiv mit der österreichischen Innenpolitik.

"Wiener Zeitung":Herr Luther, in welchem Zustand befindet sich die FPÖ?Kurt Richard Luther: Sie konnte dieses Mal ihre Wähler nicht mobilisieren: Wie zeigt sie dem kleinen Mann in Favoriten und Fünfhaus, dass sie für ihn da ist, wenn sie Strache einen Mietkostenzuschuss von 2500 Euro und ein monatliches Spesenkonto von 10.000 Euro gewährt? Natürlich ist sie jetzt also geschwächt, weitere interne Konflikte sind möglich. Man sollte sich aber davor hüten, sie für tot zu erklären.

Könnte sich die Partei erneut spalten?

Ich bezweifle das. Mit dem BZÖ spaltete sich eine ideologisch flexible Gruppe vom nationalen Kern der Partei ab. Eine solche Gruppe gibt es nun aber nicht. Außerdem hat ausgerechnet Strache die Gefahr einer solchen Spaltung minimiert.

Inwiefern?

Jörg Haider hat immer auch
außerhalb der Parteistrukturen agiert. Er war ein Draufgänger, er ist seinen eigenen Weg gegangen. Strache war als Parteichef hingegen viel eher geneigt, über interne Strukturen der Freiheitlichen zu arbeiten. Das hat geholfen, die Partei zu vereinen. Bei der Wahl hat sich trotz der Verluste auch gezeigt, dass die FPÖ mittlerweile eine erhebliche Stammwählerschaft hat.

Wann hat sich diese gebildet?

Früher musste die FPÖ bei jeder Wahl um ihre Stimmen kämpfen. Die Wähler sind mit Haider "ein Stück des Weges gegangen", haben der FPÖ ihre Stimme zunächst aber nur geliehen. Seit Mitte der 1990er werden sie loyaler, auch wenn es bei der NR-Wahl 2002 einen außerordentlichen Ausreißer gab (Die FPÖ lag bei zehn Prozent, ein Verlust von 17 Prozentpunkten, Anm.). Vergangene Wählerstromanalysen haben gezeigt, dass die Stammwählerschaft der FPÖ nun nicht mehr allzu viel kleiner als jene der SPÖ ist.

Wie wird es mit der FPÖ weitergehen? Bisher betont die Parteispitze, dass sie eher in Opposition gehen will.

Nach der Niederlage 2002 wollte die FPÖ-Spitze unbedingt wieder in die Regierung. Der Preis dafür war hoch: Schwarz-Blau II war praktisch eine ÖVP-Alleinregierung. Aus diesem Fehler hat die FPÖ gelernt. Herbert Kickl, der Parteistratege, ist ja nicht dumm. Daher zeigen sich die meisten Freiheitlichen vorerst distanziert und skeptisch. Sie müssen auch nicht zwingend in die Regierung: Die Oppositionsrolle könnte ihr dieses Mal durchaus helfen.

Warum?

Im Fall von Türkis-Grün kann die ÖVP nicht mehr eine so harte Ausländerpolitik betreiben. Natürlich könnte Kickl dann sagen: "Schaut her, wenn wir einmal nicht mehr da sind, besteht die ÖVP nur aus Weicheiern!" Mit einem scharfen Kurs kann sich die FPÖ dann rehabilitieren.

Warum sollte sie dann überhaupt noch in die Regierung gehen?

An sich waren die Vorzeichen für Türkis-Blau ja sehr positiv. Wäre Ibiza nicht gewesen, hätte die Regierung wohl noch weitergemacht und Kurz hätte die "Einzelfälle" geschluckt. Die Planungen zwischen den beiden Parteien liefen wesentlich besser als unter Wolfgang Schüssel - und auch strukturell war die FPÖ in dieser Regierung nun deutlich stärker aufgestellt.

Auf welcher Ebene?

Unter Schwarz-Blau fehlte ihr das Personal, als sie in die Regierungsämter kam. Die Minister der FPÖ waren von schwarzen und roten Beamten umgeben: Sie waren dadurch eingeengt. Dieses Mal bauten sie mit Zustimmung der ÖVP teils riesige Ministerbüros samt Generalsekretären mit ihren Leuten auf. Wenn sie es nun schafft, einigermaßen zusammenhalten, wären die Aussichten auf einen erfolgreichen Wiedereintritt besser als damals.

Doch Türkis-Blau ist auch eine riskante Option für Kurz . . .

Ja. Er müsste der FPÖ zwar weniger Minister geben, weil sie nun nicht einmal mehr halb so stark wie die ÖVP ist. Doch sind weitere interne Konflikte bei der FPÖ und Einzelfälle möglich. Kurz weiß nicht, was da noch kommt: Das ist die Gefahr, wenn er weitermacht.

Gehen wir zu Türkis-Grün. Kann die ÖVP inhaltlich mit den Grünen zusammenkommen?

Die Abstriche, die sie bei der Migrations- und Sicherheitspolitik machen müsste, wären für die ÖVP sicherlich problematisch. Anderseits könnte sie einige bürgerliche ÖVP-Wähler zurückholen - und Türkis-Grün würde auch zu Kurz passen.

Kurz hat angekündigt, weiter einen Mitte-rechts-Kurs fahren zu wollen. Das wird mit den Grünen schwierig.

Ja, jedoch spricht Kurz ständig von Veränderungen und Innovationen. Er will eine "neue" ÖVP, einen "neuen Stil". Eine Koalition mit den Grünen könnte er als etwas Neues, als Weg der Innovation verkaufen. Es gibt hier auch eine interessante Parallele zu Schüssel.

Welche?

Schüssel hat persönlich unter den EU-Sanktionen gelitten, da er als überzeugter Verfechter der EU als einer abgestempelt wurde, der mit Rechtsextremen gemeinsame Sache macht. Eine Koalition mit den Grünen hätte ihn in gewisser Weise rehabilitiert. Die Kurz-Regierung wurde von manchen Seiten kritisiert, dass sie sich vom populistischen Kurs anstecken habe lassen. Nun könnte sie sich - so die mögliche Erzählung - "gesund impfen", indem sie mit "netten Leuten" in die Regierung geht.

Die dritte Option ist Türkis-Rot.

Ich halte das für unwahrscheinlich. Die Spitzen der Parteien mögen sich nicht, die SPÖ ist mit sich selbst beschäftigt, die Inhalte stimmen nicht. Es würde auch nicht zum "neuen Stil" passen, den Kurz will: Türkis-Rot wäre da ein Rückschritt.