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Premier Cameron droht Tätern mit voller Härte des Gesetzes. | Gewalt erreicht | Manchester.
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London. Am dritten Tag der Jugendkrawalle herrschte Ausnahmezustand in Großbritannien. Premier David Cameron brach Hals über Kopf seinen Sommerurlaub in der Toskana ab und trommelte den nationalen Sicherheitsrat zusammen. Die Sommerpause des Parlaments wurde unterbrochen, die Abgeordneten eiligst in die Hauptstadt beordert. Die Behörden raten Eltern, ihre Kindern nicht mehr auf die Straße zu lassen.
Die britische Skandalpresse erinnert bereits an den Angriff Hitlers 1940 und spricht angesichts der zahlreichen brennenden Häuser und rußgeschwärzten Geschäfte von der "Schlacht um London", die nun begonnen habe. An die Front werden Polizisten in Spezialmontur geschickt, ihre Zahl musste am Dienstag um 10.000 Mann aufgestockt werden, nachdem die vorhandenen Einheiten überfordert waren.
Verunsicherte Bürger fordern längst den Einsatz der Armee. In den Londoner Gefängnissen ist kaum noch Platz, nachdem in den vergangenen Tagen hunderte Verdächtige festgenommen worden waren. Die Zahl der inhaftierten Jugendlichen wird mit Sicherheit in den kommenden Tagen noch steigen.
Die Krawalle haben am Dienstag ein erstes Todesopfer gefordert. Ein 26-Jähriger, der angeschossen worden war, starb im Krankenhaus. Er war mit mehreren Schusswunden in einem Auto im Londoner Bezirk Croydon gefunden worden. Die genauen Umstände seines Todes sind zu diesem Zeitpunkt nicht geklärt.
Ein Flächenbrand
Tatsache ist, dass das, was zunächst mit einer friedlichen Protestaktion gegen Polizeigewalt begonnen hat, zu einem Flächenbrand geworden ist. In London sind mittlerweile zahlreiche Bezirke betroffen: Hackney, Croydon, Peckham, Lewisham Clapham, Camden und Ealing. Auch Woolwich in den Docklands im Südosten wurde verwüstet. Jugendliche durchbrachen dort Blockaden der Polizei, hinterließen eine Spur der Zerstörung. Die zentrale Einkaufsstraße wurde geplündert, Kaufhäuser, Pubs, Fast-Food-Restaurants angezündet. Woolwich hat eine besondere Bedeutung, immerhin sollen hier einige Bewerbe der Olympischen Spiele 2012 stattfinden. Das Viertel wird derzeit saniert, viele blicken mit Sorge auf die Olympischen Spiele.
In der Nacht von Montag auf Dienstag griffen die Krawalle auf Birmingham, Liverpool und Bristol über. Vermummte versammelten sich, hielten Autos an, zwangen die Insassen zum Aussteigen und setzten die Fahrzeuge in Brand.
Die Täter sind jung. Eine Sozialarbeiterin berichtet, sie habe 12-Jährige beobachtet. Ein Großteil der Randalierer dürfte 14- bis 17 Jahre alt sein. Die Rädelsführer und die, die systematisch Autos in Brand setzen, sind älter. Die BBC zitiert zwei Mädchen, die einen Lebensmittelladen geplündert und Wein entwendet haben. "Wir zeigen der Polizei und den Reichen, dass wir tun, was wir wollen", so die zwei Jugendlichen. "Die Regierung nimmt uns alles - das Schulgeld und überhaupt - und jetzt ist es an der Zeit, dass wir uns das zurücknehmen, was wir wollen", so ein Randalierer im Stadtteil Ealing. Sozialarbeiter sprechen von Wut und Frustration unter den Jugendlichen angesichts hoher Arbeitslosigkeit und Sozialkürzungen der neuen Regierung.
Premierminister David Cameron demonstriert angesichts der außer Kontrolle geratenen Situation Entschlossenheit. Bei den Krawallen handle es sich um "pure Kriminalität", diese müsse besiegt werden, meinte der konservative Premier vor der Tür seines Amtssitzes Downing Street 10. "Ihr werdet die Härte des Gesetzes spüren", so Tory-Politiker in Richtung Krawallmacher. Wer alt genug sei, Straftaten zu begehen, sei auch alt genug, bestraft zu werden.
Die Exekutive geht unterdessen vergleichsweise defensiv vor. Wasserwerfer kommen nicht zum Einsatz, das sei auch nicht geplant, so Innenministerin Theresa May. Auf Youtube-Bildern ist zu sehen, dass die Polizei kaum auf Demonstranten einprügelt, sondern sich im Fall von Attacken geordnet zurückzieht und den Jugendlichen das Feld überlässt. Die Randalierer laufen so gleichsam ins Leere.
"Fang den Plünderer"
Während die Jugendlichen Twitter und Blackberrys zur Vernetzung nutzen, weiß mittlerweile auch die Polizei die neuen Medien einzusetzen. Seit Dienstag finden sich Bilder von Plünderern online, Internet-Nutzer werden von der Exekutive aufgefordert, bei der Identifikation der Täter zu helfen. Die Initiative "Catch a looter" ("Fangt den Plünderer") war am Dienstag eine der meistgesuchtesten Phrasen auf Twitter.
Unterdessen verabreden sich Freiwillige über Facebook und Twitter zum Aufräumen der von den Zerstörungen betroffenen Stadtteile. Auf Twitter interessierten sich zehntausende Unterstützer für die Reinigungskampagne. In Peckham versammelten sich Freiwillige mit Schaufel und Besen. Die Krawalle dürften die Versicherer und den Einzelhandel Dutzende Millionen Pfund kosten. Der Einzelhändlerverband befürchtet, dass sich kleinere Geschäfte von den Zerstörungen nicht mehr erholen werden.