Ein Skandal um einen polizeiinternen Whistleblower könnte Irlands konservativen Regierungschef Enda Kenny den Kopf kosten.
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Dublin/Wien. Enda Kenny hat schon bessere Zeiten erlebt. Der irische Premier wurde quasi zum Abschuss freigegeben - von seiner eigenen Partei. Zwar hat das Parlament Kennys Minderheitsregierung diese Woche mit 57 zu 52 Stimmen das Vertrauen ausgesprochen. Doch seine Partei Fine Gael tat das Gegenteil: Sollte er nicht freiwillig sagen, wann er zurücktritt, werde man kommende Woche einen neuen Parteichef wählen. So wird es wohl geschehen, denn Kenny kündigte an, dass er gar nicht daran denke, Pläne für seinen Abgang zu diskutieren.
Zwar dürften weder Fine Gael noch Fianna Fáil, die Kennys fragile Minderheitsregierung bisher duldete, Interesse an Neuwahlen haben. Doch ist davon auszugehen, dass Kenny spätestens nach seinem Besuch bei Donald Trump am St. Patrick’s Day, dem 17. März, aus dem Amt gezwungen wird.
Doch von Anfang an, denn die Geschichte beginnt bereits 2006. Damals bemängelte der Polizist Maurice McCabe Fehlverhalten innerhalb der Polizei. Das brachte ihm zwar Schwierigkeiten mit seinen Kollegen ein, doch McCabe machte weiter - und enthüllte schließlich 2012, dass seine Kollegen Prominente von Strafpunkten in der Verkehrssünderkartei verschonten. Eine anschließende interne Untersuchung ergab, dass hier "möglicherweise Regeln verletzt wurden", aber kein Strafbestand vorliege. Wenig später wurde McCabe beschuldigt, Kinder missbraucht zu haben. Die zuständige Behörde untersuchte die Vorwürfe und bestätigte sie vorerst, räumte aber später ein, einer Verleumdungskampagne zum Opfer gefallen zu sein. Trotzdem wurde das Verfahren gegen McCabe erst im Juni 2016 eingestellt. Zwar gibt es in Irland Gremien, die die Arbeit der Polizei überwachen. McCabe hat das aber augenscheinlich nicht geholfen.
Der Premier behauptete, von den Behördenfehlern und der Schutzkampagne gegen den Whistleblower nichts gewusst zu haben. Er habe erst aus dem Fernsehen davon erfahren, sagte Kenny - verstrickte sich dann aber in Widersprüche. Er habe sich mit der für Kinder zuständigen Ministerin Katherine Zappone über den Fall beraten, so Kenny. Bald stellte sich heraus, dass es nie ein solches Treffen gegeben hatte.
Es folgte eine hitzige Auseinandersetzung zwischen Kenny und Oppositionellen, darunter Sinn-Féin-Parteichef Gerry Adams. Er warf der Regierung vor, auf "miserable Weise versagt" zu haben. Whistleblower innerhalb der Polizei würden schlechtgemacht und gemobbt. Kenny bezeichnete Adams daraufhin als "absoluten Heuchler", weil dieser vor Jahren einen Fall von sexuellem Missbrauch an einer ehemaligen Sinn-Fein-Parteikollegin durch IRA-Mitglieder vertuscht habe - was Adams seinerseits bestritt.
Muss Kenny nun gehen, dann wäre das nicht der erste Kopf, der in dieser Sache rollt: Justizminister Alan Shatter musste bereits 2014 zurücktreten. Eine Untersuchung hatte ergeben, dass Regierung und Polizei nicht genug unternommen hatten, um den Vorwürfen gegen McCabe auf den Grund zu gehen. Kenny hat nun ein Tribunal eingeleitet, das etwa klären soll, wie es überhaupt zu den Diffamierungen gekommen war. Damit will der Premier offenbar Zeit gewinnen, denn diese Prozesse dauern mindestens fünf Jahre. Rechtliche Folgen haben solche teuren Tribunale in der Regel nicht.
Kennys Kritikern wird das also nicht reichen. Da hilft es auch nicht, dass er sich diese Woche öffentlich bei McCabe entschuldigt hat. Die Familie des Polizisten, der laut "Irish Times" eine Klage gegen den Staat erwägt, spricht von einer "langen und anhaltenden Kampagne, um uns zu zerstören" - "acht Jahre großen Leides, ein privater Albtraum, öffentliche Diffamierung und Verunglimpfungen durch den Staat". Der 55-Jährige ist seit vergangenem Jahr im Krankenstand.
Angst vor Neuwahlen
Um die fragile Regierung am Leben zu erhalten, will Kennys Partei ihn möglichst rasch ersetzen. Denn bei Neuwahlen würde es wohl zu einem Regierungswechsel kommen. Ein enger Vertrauter Kennys geht davon aus, dass die Fine Gael 20 ihrer derzeit 50 Sitze im Parlament verlieren würde. Zwar führt die Fianna Fáil in Umfragen, doch dürfte auch ihr klar sein, dass eine Regierungskrise die Insel derzeit besonders hart treffen würde. Wegen der engen Handelsbeziehungen mit Großbritannien und der Grenze zu Nordirland ist die Republik vom Brexit besonders betroffen. Dublin liegt viel daran, die Verhandlungen mit London nicht zu unterbrechen. Irland will die Folgen des Brexit möglichst gering halten und eine Schließung der Grenze zum Norden verhindern.