In der Debatte um Schwangerschaftsabbruch stehen politische Profilierungsversuche im Vordergrund.
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"Aborcja" und "Lustracja": Zwei Worte sorgen in Polen derzeit für heftige Debatten. Die Diskussion um mögliche Verschärfungen bei den Regelungen zur Abtreibung und die so genannte Durchleuchtung der Gesellschaft nach Mitarbeitern der ehemaligen Geheimdienste lassen die Emotionen hochgehen. Wortmeldungen selbst ernannter Lebensschützer und die hysterische Suche nach immer neuen Ex-Spitzeln mit prominenten Namen dominieren den Großteil der Medien.
In beiden Fällen droht eine Hexenjagd die sachliche Auseinandersetzung zu ersetzen. Angeheizt wird die Debatte nämlich meist durch Politiker, die sich profilieren wollen.
So wirbt der Vorsitzende der rechtskatholischen Liga der Polnischen Familien, Roman Giertych, für den Schutz des Lebens von der Empfängnis an. Giertych - derselbe, der Lehrer für "Werbung für Homosexualität" an Schulen bestrafen will und bis vor kurzem rechtsextremistische Ausfälle der Jugendorganisation Allpolnische Jugend geduldet hatte - ist Polens Vizepremier und Unterrichtsminister. Und er kämpft um sein politisches Überleben. Denn laut Umfragen würde seine Partei derzeit bei Wahlen nicht einmal mehr den Wiedereinzug ins Parlament schaffen.
Dass nun auch der Europäische Menschenrechtsgerichtshof das restriktive Abtreibungsrecht in Polen gerügt hat, stört Giertych dabei wenig. Das Gericht sprach einer Frau eine Entschädigung zu, der trotz Gefahr für ihre Gesundheit - ihr drohte Erblinden - ein Schwangerschaftsabbruch verweigert wurde. Als Reaktion darauf dachte Polens Vizepremier laut darüber nach, ob sein Land überhaupt die Europäische Menschenrechtskonvention brauche.
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Polen hat neben Irland und Malta europaweit die restriktivsten Gesetze zur Abtreibung. Im ebenso katholischen Portugal arbeitet die Regierung derzeit an einer Liberalisierung der Regelungen. In Polen ist Schwangerschaftsabbruch in den ersten drei Monaten nur nach einer Vergewaltigung, bei Gefahr für Gesundheit oder Leben der Frau sowie bei schweren Missbildungen des Fötus möglich. Im Vorjahr gab es an die 200 registrierte Abtreibungen - in einem Land, wo rund 19 Millionen Frauen und Mädchen leben. Die Zahl der Eingriffe in privaten Arztpraxen, illegal oder im Graubereich, könnte bei 100.000 und höher liegen.
Ein Schwangerschaftsabbruch ist kein Problem - für jene, die ein paar Hundert Euro dafür ausgeben können. Es gibt zwar Ärzte, die Abtreibungen verweigern, aus Angst vor möglichen rechtlichen Konsequenzen oder mit dem Verweis auf ihre religiösen Überzeugungen. Doch haben sie Kollegen, die Schwangerschaftsabbrüche als willkommenen Zusatzverdienst ansehen.
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Geht es nach der Liga der Polnischen Familien sollte in der Verfassung künftig der rechtliche Schutz des Lebens "vom Moment der Empfängnis bis zum natürlichen Tod" verankert werden. Das würde bedeuten: keine Abtreibung. Dass die Fraktion aber eine Parlamentsmehrheit für die Verfassungsänderung erhält, ist unwahrscheinlich. Denn selbst in den Reihen der rechtskonservativen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit sprechen sich Politiker gegen eine Verschärfung der Abtreibungsgesetze aus. Dazu gehört Ministerpräsident Jaroslaw Kaczynski.
Ähnlicher Meinung ist Maria Kaczynska, die Ehefrau von Staatspräsident Lech Kaczynski. Sie unterschrieb einen Appell von Journalistinnen gegen eine Gesetzesverschärfung - und musste sich darauf wüste Beschimpfungen von Pater Tadeusz Rydzyk anhören.
Dessen ultrakatholischer Sender Radio Maryja rief erst in der Vorwoche zu einem "Marsch des Lebens" auf. Doch er konnte nicht mehr als ein paar tausend Menschen mobilisieren, die in Warschau gegen Abtreibung protestierten. Zu anderen Pilgerfahrten hatte sich noch vor wenigen Jahren eine 100.000-köpfige Radio Maryja-Fangemeinde eingefunden.