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Wie weit die Meinungen von europäischen und türkischen Politikern auseinander liegen, kann sich auch bei einem entspannten Frühstück zeigen.
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Sitzen ein deutsch-französischer und ein türkischer Politiker zusammen. Der eine trinkt Kaffee, der andere Tee. Sie plaudern darüber, ob sich die Türkei nun von Europa entfernt oder nicht. Der Türke versichert dem Franzosen, dass es kein Abwenden vom Westen bedeutet, wenn sich sein Land mit den Nachbarn im Osten besser denn je versteht. Scherzt der Europäer: "Also ist die EU eure erste Ehefrau." Erwidert der Türke: "In der Außenpolitik gilt euer christliches Prinzip nicht: Da gibt es keine Monogamie."
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Als der EU-Parlamentarier Daniel Cohn-Bendit und der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu einander in Istanbul zum Frühstück trafen, ist Davutoglu wenige Stunden zuvor aus China gekommen und war auf dem Weg zu einer Regionalkonferenz über Afghanistan. Cohn-Bendit wiederum weilte auf einer Konferenz der Grünen mit dem Titel "Die Türkei in Europa".
Davutoglu willigte nicht ungern in die Zusammenkunft ein. Immerhin sind die Grünen im Europäischen Parlament mittlerweile die einzige Partei, die weiterhin unterstützt, was die EU der Türkei einst versprochen hat: Falls Ankara alle Bedingungen erfüllt, muss das Ziel der Beitrittsverhandlungen eine Mitgliedschaft in der Union sein. Keine privilegierte Partnerschaft. Keine assoziierte Freundschaft. Oder was auch immer sich europäische Politiker ausdenken, um zu umschreiben, dass sie die Türkei hinhalten wollen.
So empfinden es ihre Kollegen in Ankara - und vehement lehnen sie jede Alternative zum Beitritt ab. Zunehmend zeigt sich dabei Ungeduld, gemischt mit Nationalstolz, der zusätzliche Vorgaben aus Brüssel als eine Form der Ablehnung ansieht. Und die Sichtweise der Europäer und die der Türken klaffen teils noch immer weit auseinander.
Auch Davutoglu bringt das zum Ausdruck, selbst wenn er harsche Worte vermeidet und oft sein fast knabenhaftes Lächeln aufsetzt, wenn er seinem Gegenüber etwas erklären möchte. Da sitzen also er und Cohn-Bendit, umgeben von ihren jeweiligen Kollegen, und Davutoglu zeigt sich verwundert über die Sorgen in der EU, dass mit einer Aufnahme der Türkei in die Union auch die Konflikte importiert werden, die sich jenseits der östlichen Grenzen des Landes abspielen. Dabei hätte Ankara derzeit wunderbare Beziehungen zu seinen Nachbarn, und den Europäern passe wieder etwas nicht.
Ebenso wenig sieht Ankara ein, dass es die Häfen und Flughäfen für zypriotische Schiffe und Flugzeuge öffnen soll, wenn es noch immer keinen direkten Handel mit dem isolierten Norden der Insel gibt. Cohn-Bendit dazu: "Wenn ihr eine Deklaration unterschreiben würdet, dass ihr Truppen aus Zypern abzieht, wäre das hilfreich. Ihr braucht die Soldaten doch nicht."
Davutoglu: "Das stimmt. Aber da geht es um die Psychologie. Die griechischen Zyprioten sind wie verzogene Kinder. Seit Jahren machen wir Zugeständnisse, und sie trotzen weiter."
Cohn-Bendit: "Ihr sollt es ja nicht nur für die Kinder auf Zypern tun, sondern für die Onkeln und Tanten in Brüssel."
Auch beim Thema Integration hat jeder seinen eigenen Standpunkt.
Davutoglu: "Entweder beharrt Europa darauf, ein Kontinent der Weißen zu sein, oder es nutzt seine multikulturelle Stärke."
Cohn-Bendit: "Nicht nur in Europa, auch in der Türkei gibt es Probleme mit dem Multikulturellen. Wie geht ihr mit den Minderheiten um, mit den Kurden oder den Alewiten?"
Davutoglu: "Gut, da haben wir noch einiges nachzuholen. Aber ihr auch."
Mit einer herzlichen Verabschiedung gingen sie auseinander. Die Meinungsunterschiede bleiben.