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Pompeji ging in Berlin unter

Von Markus Kauffmann

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Markus Kauffmann , seit 22 Jahren Wiener in Berlin, macht sich Gedanken über Deutschland.

Der Kurfürstendamm feiert 125. Geburtstag. Berlins berühmtester Boulevard, einst Hort einer gigantischen Vergnügungsmaschinerie, zelebriert seine Geschichte in einer Ausstellung.


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Der allabendliche Ausbruch des Vesuvs muss für die Nachbarn eine ziemliche Lärmbelästigung gewesen sein. Zumal er vom Gekreisch von 300 Pompejianern begleitet wurde. Da waren die Seeschlachten im 4200 m 2 großen Wasserbecken fast eine akustische Erholung. Auch wenn die rund 4000 Gäste ihre Begeisterung nicht verbargen.

Anfang des 20. Jahrhunderts gab es am Kurfürstendamm noch genug Baulücken, in denen sich eine gigantische Vergnügungsmaschinerie etablieren konnte. Schon 1902 befand sich dort die älteste und größte Radfahr- und Automobil-Lehrbahn Deutschlands. 1904 konnten sich Besucher auf den "Lawn-Tennisplätzen des Westens" sportlich betätigen. Zur gleichen Zeit fanden auf dem sogenannten Mosse-Gelände die Spektakel der Flottenschauspiel GmbH statt. In dem 60 mal 70 m großen Wasserbecken wurden mit elektrisch betriebenen Schiffsmodellen Seeschlachten simuliert. Eine britische Theatergesellschaft führte dort den "Untergang von Pompeji" mit 300 Akteuren auf. Am Ende wurde der Ausbruch des Vesuvs mit einem riesigen Feuerwerk dargestellt.

Ein Anziehungspunkt jedoch überbot alle anderen: der "Lunapark" am westlichen Ende des Kudamms. Auf dem 117.000 m 2 großen Gelände am Ufer des Halensees entstand eine Art Märchenschloss, ein Restaurant in einem dreigeschoßigen Terrassenbau mit zwei pagodenartigen Türmen. Ein Wasserfall ergoss sich vom Kurfürstendamm in den See. Die Türme waren mit buntem Glas gedeckt und wurden nachts erleuchtet. Hinzu kam Europas größter Vergnügungspark. Mit modernsten Sensationen: einer sechs Kilometer langen Berg- und Talbahn mit bis zu 80 Prozent Gefälle, einer Wasserrutschbahn, einem Zeppelin-Karussell, Wackeltreppen, Spiegelkabinetten; die Teufelsscheibe schleuderte einen bei der ersten Drehung herunter, und eine Windmaschine bauschte die Röcke der Damen.

Heute sind die Attraktionen verschwunden, die Baulücken geschlossen. Die dreieinhalb Kilometer lange Prachtstraße hat, wie so vieles in der Stadt, ihren Charakter und ihr Aussehen völlig verändert. Seit dieser Woche feiert der Boulevard seinen 125. Geburtstag.

Das Geburtsdatum ist recht willkürlich gewählt. Ebenso könnte man den "450er" feiern, denn als den preußischen Kurfürsten im 16. Jahrhundert der Tiergarten als Jagdrevier zu eng geworden ist, bauten sie im Grunewald ein Jagdschlösschen und einen Damm, auf dem der Fürst über die Sümpfe reiten konnte. Otto von Bismarck wollte in Berlin ein Pendant zu den Pariser Champs-Elysées schaffen. Am 5. Mai 1886 fuhr die erste Dampfstraßenbahn den Kudamm entlang.

Die bewegte Geschichte von Berlins berühmtester Straße auch nur zu skizzieren, sprengte den Rahmen dieser Kolumne. Wie sehr sich ihr Gesicht bis heute stetig verändert, zeigt die Frage, die eine hiesige Zeitung kürzlich ihren Lesern stellte: "Was haben die Kudamm-Hausnummern 12, 13, 25, 26, 64, 68, 71, 119, 120, 140, 152, 153, 193, 197, 202, 206, 208, 211, 217, 225, 227 und 236 gemein?" Die Antwort ist eher traurig: Sie alle waren einmal Adressen von Kinos. Seit dem Mauerfall sind von den 22 Kinos nur noch zwei geblieben. Nicht anders erging es den Kudamm-Cafés.

125 Jahre Kudamm werden in den nächsten fünf Monaten in 125 Vitrinen dargestellt, auf humorvolle Weise wie bei einer Rätselrallye. Ausstellungsmacher Sven Kuhrau: "Die Vitrinen des Kurfürstendamms sind einzigartig auf der Welt. Sie sind gleichzeitig Schaufenster und Schauvitrine wie im Museum. Die Geschichte der Straße wird zum Thema gemacht, und das auf der Straße."

Markus Kauffmann, seit 1984 Wiener in Berlin, macht sich Gedanken über Deutschland.