Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 13 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Plötzlich kosten Zigaretten drei Cent mehr. Warum?, fragt der konsternierte Kunde. Noch nie etwas von der Sales Tax gehört?, versetzt der Verkäufer. Drei Cent Steuern auf jeden Gegenstand, der verkauft wird.
In den 1930ern führten zahlreiche Staaten im Süden der USA die (heute mit Ausnahme von fünf Staaten flächendeckend erhobene) Sales Tax als Abgabe auf Konsumgüter und Dienstleistungen ein. Die ungeliebte Innovation inspirierte 1934 die Mississippi Sheiks, eine Country-Blues-Gruppe aus der Delta-Region, der die Rockmusik den Klassiker "Sittin On Top Of The World" verdankt, zu einem satirischen Lied: "I’ve never seen the likes / since I’ve been born / the women’s got sales tax / on their stuff at home".
Mit dieser humoristischen Auseinandersetzung blieb das Thema Steuern in der Populärmusik freilich gut drei Jahrzehnte lang ein Einzelgänger. Es tauchte erst wieder in den mittleren 60ern auf, als Pop begann, politische, gesellschaftliche und ökonomische Entwicklungen in den Songtexten zu reflektieren.
Der gehasste "Taxman"
1966 haben gleich drei große Bands dieser Zeit das Thema Steuern mehr oder weniger prominent auf der Tagesordnung. "Taxman" von den Beatles, der Opener ihrer besten LP "Revolver", ist gewissermaßen die Mutter aller popmusikalischen Steuer-Lamentos. Das britische Finanzwesen präsentiert sich hier als nimmersatter Moloch, der noch den Sessel, auf den man sich setzt, versteuert, und selbst von Toten nicht die Finger lässt: Sich auf den englischen Brauch beziehend, Verstorbenen Penny-Stücke auf die Augen zu legen, damit sie geschlossen bleiben, fordert der Song: "Now my advice for those who die / declare the pennies on your eyes".
"Taxman" stammt von George Harrison. Er war um die Entstehungszeit auch am meisten von allen vier Beatles um das Geld besorgt. Das war nicht völlig unverständlich: Die Beatles fielen mit ihrem Einkommen in die Höchstbemessungsgrundlage, und das waren damals in England 90 Prozent (in Harrisons Text sind es 95 und selbst über die verbliebenen 5 Prozent soll der Steuerzahler demütigst dankbar sein). Harrisons Einkünfte hinkten aber deutlich hinter jenen John Lennons und Paul McCartneys - der in "Taxman" das einigermaßen rabiate Gitarrensolo spielt - hinterher, weil er weitaus weniger Songwriter-Tantiemen bekam.
"Taxman" ist übrigens auch der erste Pop-Text, der Politiker namentlich vorführt. Es sind dies Labour-Führer Harold Wilson und sein konservativer Kontrahent Edward Heath, der vier Jahre später Wilson als britischer Premier beerben sollte. Der 2002 verstorbene George Harrison hat "Taxmann", das er richtigerweise als grundsätzlich allzeit gültig erkannte, über seine ganze Solo-Karriere hinweg im Live-Repertoire gehabt und als eine Art offene Fläche für textliche Updates benutzt. In einer auf dem Album "Live in Japan" dokumentierten Version von 1991 sind die Namen Wilson und Heath ersetzt durch die des damaligen britischen Regierungschefs John Major und - besonders pikant - George Bush, der 1988 mit den Worten "Read my lips. No more taxes" ein Wahlversprechen abgegeben hatte, das er als amerikanischer Präsident dann nicht halten konnte. Auch die Liste an besteuerungswürdigen Dingen trägt den - unvorteilhaft - veränderten Zeichen der Zeit Rechnung: "If you are overweight / I’ll tax your fat".
"Sunny Afternoon" von den Kinks könnte wie eine Antwort auf "Taxman" gelesen werden (was sich allerdings nicht ausgeht, weil es ungefähr zwei Monate vorher veröffentlicht worden war). Es macht sich über Reiche lustig, die sich über hohe Steuern beschweren. Der Text handelt von einem jungen Mann, der jammert, dass er nicht mit seiner Yacht segeln kann, weil ihm die Steuer alles weggenommen hat. Immerhin hat sie ihm aber noch sein feudales Anwesen gelassen, auf dem er faulenzend mit kaltem Bier einen sonnigen Nachmittag verbringt.
In "19th Nervous Breakdown", dem letzten Hit der Rolling Stones vor ihrem Übergang in die psychedelische Phase, geht es um ein verwöhntes Mädchen aus reichem Elternhaus. "Deine Mutter, die dich vernachlässigt hat, schuldet der Steuer eine Million Dollar." In einer ähnlichen Situation sollte sich die Band selbst wiederfinden. 1971 verließen die Stones wegen der Steuern England und zogen nach Südfrankreich, wo sie ihr epochales Doppelalbum "Exile On Main Street" aufnahmen.
Stones im Steuer-Exil
In der DVD "Stones In Exile", die die Steuerflucht und die Aufnahmen zu "Exile On Main St." dokumentiert, sagt ihr ehemaliger Bassist Bill Wyman: "Keiner von uns hatte je Steuern bezahlt, wir dachten, darum hätte sich jemand gekümmert. Was nicht der Fall war. Unter der Labour-Regierung betrugen die Steuern 93 Prozent. Das heißt: Wenn wir eine Million Pfund verdient hätten - was wir nicht taten -, wären uns 70.000 übergeblieben. Um unsere Steuerrückstände zu zahlen, mussten wir England verlassen."
"Die britischen Steuergesetze, das ist eine beliebte englische Rock’n’Roll-Geschichte", sagt White Stripes-Frontmann Jack White süffisant in "Stones In Exile". Er hat natürlich Recht.
Das Beispiel der Stones machte sehr schnell Schule und animierte zahlreiche weitere britische Musiker zum brieftaschenfreundlichen Ortswechsel: Led Zeppelin waren es Mitte der 70er Jahre müde, ihre enormen Einnahmen dem Mutterland abzuführen und verteilten sich in den USA, der Karibik, auf griechischen Inseln und in Marokko. Ungefähr zur gleichen Zeit zog David Bowie nach Berlin, wo seine große LP-Trilogie "Low", "Heroes" und "Lodger" entstand. Die frühen 80er Jahre verbrachte er in der Schweiz; heute lebt er in New York. Freddie Mercury lebte vom Ende der 70er Jahre bis zu seinem Tod 1991 hauptsächlich in New York und München. Rod Stewart entfloh der Steuer 1976 gen Kalifornien.
Die Rolling Stones wiederum haben die Kunst, Geld am Fiskus vorbeizumanövrieren, im Laufe der Jahrzehnte umgekehrt proportional zu ihrer schwindenden musikalischen Potenz zur Meisterschaft perfektioniert. Zwischen 1986 und 2006 haben sie bei Einnahmen von 242 Millionen Pfund (nach heutigem Kurs ca. 275 Millionen Euro) gerade mal 3,9 Millionen Pfund (4,4 Millionen Euro) Steuern gezahlt. 1,6 Prozent.
Bereits seit 1972 wickeln die Stones ihre finanziellen Transaktionen in Holland ab. Ihr Geld ist dort in Stiftungen geparkt. Es gibt in den Niederlanden keine direkte Steuer auf Tantiemen - wohl aber die Pflicht, bei geschäftlichen Transaktionen größeren Ausmaßes bestimmte Informationen öffentlich zu machen. Als 2006 die Gründungsmitglieder Mick Jagger, Keith Richards und Charlie Watts Verfügungen zur Verhinderung von Erbstreitigkeiten aufsetzten, wurde auch ihr Steuer-Gebaren bekannt. Besonderen Schaden tat das den Stones, die seit Urzeiten das Image von hedonistischen Jet-Settern mit äußerst beschränktem sozialem Verantwortungsbewusstsein haben, nicht.
Ganz anders war das, als bekannt wurde, dass auch die vom personifizierten Gutmenschen Bono Vox geführten irischen Volkshelden ihren Geschäftssitz nach Holland verlegt haben. Das geschah bereits 2006, als in Irland die Steuererleichterungen für gut verdienende Künstler drastisch reduziert wurden, hat aber langzeitige Nachwirkungen: Wo die Wirtschaftskrise in Irland immer dramatischere Ausmaße annimmt, fordert die Öffentlichkeit auch immer lauter einen adäquaten Tribut von der Band ein, deren Vermögen laut "Süddeutscher Zeitung" auf 629 Millionen Euro geschätzt wird. Beim heurigen Glastonbury-Festival ließen Demonstranten einen Ballon aufsteigen, auf dem stand: "U pay your tax 2" ("Zahlt auch ihr gefälligst eure Steuern"). U2 freilich berufen sich auf ihren globalen Aktionsradius, um der heimatlichen Insel weiterhin ihren Obolus vorzuenthalten.
Auch Bruce Springsteen ist ins Visier der Steuermoralisten geraten. Das begann damit, dass Springsteen im heurigen Frühjahr in einem Leserbrief die lokale "Asbury Park Press" für einen Artikel lobte, der warnte, die seitens der republikanischen Verwaltung in seinem Heimatstaat New Jersey geplanten Einsparungen an öffentlichen Ausgaben und Senkungen der Grundstückssteuern würden die Situation der Armen und des unteren Mittelstandes weiter verschlimmern. Die republikanische Retourkutsche ließ nicht lange auf sich warten: Der TV-Sender Fox berichtete, dass Springsteen, sein Drummer Max Weinberg und der ebenfalls in New Jersey lebende Jon Bon Jovi Steuern sparten, indem sie Teile ihrer riesigen Grundstücke als Farmland deklarierten.
Kampf der Bürokratie
Sind also Teile der Öffentlichkeit und der Finanz nicht gut auf Pop-Musiker zu sprechen, wenn es um Steuern geht, so sind es Musiker auf die Finanz naturgemäß noch weniger. Seit "Taxman", das 1977 von der US-Band Cheap Trick im Titel "Taxman, Mr. Thief" - mit mehr Zorn und weniger Witz - paraphrasiert wurde, verbreiten Steuer-Songs den Tenor "Ich arbeite mir den Rücken krumm und die Steuer frisst mir alles": "Success Story" von den Who (aus der Feder des verstorbenen Bassisten John Entwistle), "Inner City Blues" von Marvin Gaye, "Tired" von Willie Nelson, "After Taxes" von Johnny Cash. Auch Robert Crays "1040 Blues" fällt in diese Kategorie - in Wahrheit, so erzählte der Musiker, richtet sich sein Unmut nicht so sehr gegen die Abgaben an sich, sondern gegen das mit ihnen verbundene Zahl- und Zettelwerk ("1040" heißt das Formular zum Ausfüllen der Steuererklärung).
John Fogerty, dessen satirische Fähigkeiten gemeinhin unterschätzt werden, ätzt im Creedence Clearwater Revival-Klassiker "Fortunate Son", dass Leute, die mit einem silbernen Löffel in der Hand geboren wurden, nur Ramsch besitzen, wenn der Steuereintreiber anklopft. Donald Eugene Lytle, der raubeinige, 2003 verstorbene Country-Musiker mit dem klingenden Künstlernamen Johnny Paycheck, erklärt in seinem Song "Me And The IRS" von 1978, keinen Cent mehr an die amerikanische Bundessteuerbehörde IRS zu zahlen. 1990 musste Paycheck Konkurs anmelden. Wegen Steuerrückständen bei der IRS.
Bruno Jaschke, geboren 1958, lebt als freier Journalist und Autor in Wien und ist ständiger Mitarbeiter der "extra"-"music"-Seite.