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Rückkehr von Ex-Präsident Aristide könnte für große Unruhe sorgen. | Gefahr der politischen Gewalt. | Port-au-Prince. Auf der Bühne ließ er früher auch gerne einmal seine Jeans runter. Seitdem der haitianische Sänger Michel Joseph Martelly aber politische Ambitionen hat, tritt er ganz seriös in Anzug und Krawatte auf, und jedes Kleidungsstück bleibt an seinem Fleck. Der Popstar, der auch "Sweet Mickey" genannt wird, möchte der nächste Präsident des nach dem verheerenden Erdbeben 2010 in Trümmer liegenden Landes werden.
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Seine Gegenkandidatin, Mirlande Manigat, stellt einen großen Kontrast zu dem Quereinsteiger aus der Musikbranche dar. Die Akademikerin, die an der Pariser Sorbonne studiert hat, besitzt viel politische Erfahrung und ist die Ehefrau des Ex-Präsidenten Leslie Manigat. Aber es scheint ihr nicht so gut wie "Sweet Mickey" zu gelingen, bei der jüngeren Bevölkerung zu punkten, weshalb der Sänger als leichter Favorit für die Stichwahl am Sonntag gilt.
Doch im Schatten der Präsidentenstichwahl taucht nun plötzlich ein dritter Akteur auf, der wieder kräftig in der haitianischen Politik mitmischen könnte. Ex-Präsident Jean-Bertrand Aristide, der zuletzt im südafrikanischen Exil lebte, ist in seine Heimat zurückgekehrt. Die USA und Frankreich hatten Aristide, der 2004 als Staatsoberhaupt gestürzt worden war, aufgefordert, seine Rückkehr bis nach der Stichwahl zu verschieben. Sie befürchten, dass seine Rückkehr die ohnehin schon unruhige Lage im Land zusätzlich verschärft.
Eine Furcht, die nicht grundlos ist. Auch wenn Aristide vor allem in seiner zweiten Amtszeit teilweise Politik für die Eliten gemacht hat, gilt er noch immer als Präsident der Armen. "Von allen Politikern hat er die breiteste Basis im gesamten Territorium, die sich auch schnell aktivieren lässt", sagt der Haiti-Experte Günther Maihold von der deutschen "Stiftung Wissenschaft und Politik" zur "Wiener Zeitung".
Es ist eine explosive Mischung: Bei der Präsidentenwahl kam es schon im ersten Durchgang zu heftigen Betrugsvorwürfen und Protesten rund um das Ergebnis. Und nun ist auch Aristide wieder im Land, der wohl ebenfalls seine politischen Pläne hat. Die Angst vor Auseinandersetzungen ist groß. Gewalt sei ein Instrument, dass in der haitianischen Politik immer wieder eingesetzt werde, betont Maihold. Für keinen Akteur sei es ein Problem, sich Schlägerbanden zu erkaufen.
Die Wahl findet in einem zerstörten Land statt. Im Jänner 2010 traf den ärmsten Staat der westlichen Hemisphäre ein verheerendes Erdbeben, bei dem mehr als 220.000 Menschen um Lebens kamen. Es gab nicht wie in Japan erdbebensichere Gebäude, durch die bei der Katstrophe dort noch viel Schlimmeres verhindert wurde.
Zeltstädte und Cholera
Und noch immer leben in Haiti etwa 800.000 Menschen in Zeltstädten, die Trümmer sind nicht weggeräumt und die Cholera grassiert. Das Land ist zwar voller internationaler Hilfsorganisationen, doch diese stoßen wegen des Ausmaßes der Katastrophe immer wieder an ihre Grenzen.
Zudem wird der Wiederaufbau dadurch erschwert, dass die ohnehin schwachen staatlichen Strukturen durch das Erdbeben zerstört wurden. Die Gerichte funktionieren nicht, und es gibt oft auch keine Unterlagen mehr darüber, wem welches Grundstück gehört.
In dieser Lage bräuchte Haiti laut Beobachtern dringend politische Stabilität. Doch die derzeitigen Entwicklungen deuten eher darauf hin, dass dem Land politisch unruhige Zeiten bevorstehen.