Stefan Wallner, Parteimanager der Grünen, über die Unterschiede zur FPÖ und den Bruch zwischen Bürgern und Parteien.
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Wien. "Heimat bist du großer Herzen" oder "Liebe ist stärker als Angst": Mit solchen Botschaften in Plakatformat melden sich die Grünen kurz vor der Sommerpause in der innenpolitischen Arena zurück. In den vergangenen Wochen und Monate gehörten die Schlagzeilen dem Dauerstreit der Koalitionsparteien und den Folgen des Flüchtlingsansturms auf Österreich. Beides war, wie das Ergebnis der steirischen Landtagswahlen demonstrierte, Wasser auf die Mühlen der Freiheitlichen. Über die Gegenstrategien der Grünen sprach die "Wiener Zeitung" mit Stefan Wallner, dem Bundesgeschäftsführer.
"Wiener Zeitung": Herr Wallner, was macht die FPÖ besser als die Grünen?Stefan Wallner: Gar nichts.
Warum wandert dann das Gros
der von Rot-Schwarz enttäuschten Wähler zur FPÖ, während die Grünen sich mit marginalen Zuwächsen begnügen müssen?
Die FPÖ legt zu, weil SPÖ und ÖVP in Krisenzeiten nicht regieren und keinerlei Zukunftsfragen angehen. Diese Arbeitsverweigerung sorgt für Verunsicherung - und auf dieser Welle der Angst surft die FPÖ.
Sie machen es sich zu einfach: Auch die Grünen sind in Opposition, profitieren aber nur höchst bescheiden vom Wählerfrust.
Das stimmt nicht. Wir haben jetzt 14 Wahlen hintereinander zugelegt und regieren in sechs Bundesländern. Hätte die SPÖ nicht Rot-Blau im Burgenland gemacht, würden die Freiheitlichen nur noch dort regieren, wo dies der Proporz vorschreibt. Die FPÖ ist deshalb keine gestaltende politische Kraft mehr, sondern nur noch eine Rabauken-Partei mit Korruptionshintergrund.
Zugegeben: Sie regieren mit, aber wenn SPÖ und ÖVP fast 20 Prozentpunkte verlieren, die Grünen aber nur um 1,13 Prozentpunkte zulegen, wie jüngst in der Steiermark, dann können Sie damit doch unmöglich zufrieden sein.
Eine Gegenfrage: Die "Kronen Zeitung" verliert signifikant Leser - warum legt die "Wiener Zeitung" nicht stärker zu?
Weil wir ein anderes Konzept verfolgen, das sich nicht an den Reichweiten des Boulevards orientiert.
Danke, genau so lautet auch meine Antwort. Wir Grüne versuchen, eine Politik der Hoffnung zu machen, die auf notwendige Veränderungen bei Bildung, Umwelt und Zusammenleben drängt. Die FPÖ verstärkt dagegen bestehende Ängste noch weiter. Wir erleben eine unheilige Allianz der Extremisten: Rechtspopulisten auf der einen, die mit der Angst vor dem Islam auf Stimmenfang gehen, und radikale Dschihadisten auf der anderen Seite. Dabei gibt es eine große Mehrheit, die friedlich zusammenleben wollen. Die Grünen wollen dieser Mehrheit eine Stimme geben.
Für die belgische Politikwissenschafterin und Aktivistin Chantal Mouffe liegt das Gegenrezept für den rechten Populismus in der Formulierung eines linken Populismus. Teilen Sie diese Analyse?
Ich glaube schon, dass es so etwas wie einen progressiven Populismus braucht, nur darf er nicht auf Ressentiments beruhen. Es ist daher legitim, mit verkürzten Argumenten für etwas zu kämpfen, wenn dahinter das Ziel einer solidarischen Veränderung steht. Ein Beispiel: Wir Grüne wurden im EU-Wahlkampf kritisiert, weil wir für dieses Europa gekämpft haben, indem wir seine Feinde deutlich gemacht haben. Diese Feinde sind für uns Lobbys, die etwa die Finanztransaktionssteuer weglobbyiert haben, oder Gentechnik-Konzerne.
Gentechnik und eine Steuer auf Finanztransaktionen sind wichtige Themen. Derzeit aber brennen die Flüchtlingsfrage, der Umgang mit Islamisten und Job-Sorgen unter den Nägeln. Bei all dem ist von den Grünen kaum etwas zu hören.
Das stimmt nicht, wir starten gerade eine Plakatkampagne für mehr Menschlichkeit. Wir melden uns klar zu Wort, aber eben nicht um den Preis einer Aufgabe unserer Werte. Gerade wenn alle anderen rechts abbiegen, braucht es eine verlässliche Position der Menschlichkeit.
Es geht nicht um die Aufgabe von Positionen, sondern um deren Sichtbarkeit.
Wir handeln. Viele Grün-Politiker engagieren sich, um Flüchtlingen zu helfen.
Dazu brauche ich aber nicht den Apparat einer Partei, dazu reicht der Wille der Bürger zu zivilgesellschaftlichem Engagement.
Werten Sie das bitte nicht ab! Jetzt geht es um die Stärkung der positiven Kräfte in der Zivilgesellschaft, weil sie von allen anderen geschwächt werden. Angesichts der selbstgewählten Ohnmacht der Regierung ist entscheidend, wie wir jenen Menschen begegnen, die unsere Hilfe brauchen.
Die Grünen regieren im Westen mit der ÖVP, in Wien mit der SPÖ: Nehmen Sie, wen Sie kriegen können?
In den Ländern hat sich gezeigt, dass eine gemeinsame Form des Regierens möglich ist - bis zu dem Punkt, an dem die SPÖ in Wien in ihren alten Machtrausch zurückgefallen ist (beim Streit um ein neues Wahlrecht warb die SPÖ einen Grün-Mandatar ab; Anm.). Ich verstehe die Nervosität der Wiener SPÖ, immerhin haben 365-Euro-Ticket, Mariahilfer Straße oder Kindergrundsicherung dieser Koalition den Stempel aufgedrückt. Die SPÖ war dagegen die ganze Zeit gelähmt, weil bis heute niemand weiß, wer nach Michael Häupl kommt. Nach der Wahl ist die Partnerwahl die entscheidende Frage. Das gilt übrigens genau so für Oberösterreich, wo sich Josef Pühringer die blaue Option bewusst offen hält.
Und was haben Sie aus dem Ergebnis in der Steiermark gelernt?
Dass ein Wahlkampf schwierig ist, wenn es keine reale Perspektive für eine Regierungsbeteiligung gibt. Es war ja vorher schon klar, dass SPÖ und ÖVP einfach weitermachen wollen.
Das Gleiche sagen die Grünen in Wien auch.
Ja, weil wir überzeugt sind, gute Arbeit geleistet zu haben.
Das behaupten in der Steiermark SPÖ und ÖVP auch, doch die Grünen haben dies als demokratiepolitischen Sittenverfall gebrandmarkt.
Die Steiermark hätte eine neue politische Option dringend gebraucht. SPÖ und ÖVP haben hier lediglich die Landesfinanzen saniert, die sie zuvor gegen die Wand gefahren haben. Was völlig fehlte, war eine Zukunftsvision für das Land. Aber um ihre Frage zu beantworten: Hier ist es uns bei der Landtagswahl nicht gelungen, die Frauen jüngeren und mittleren Alters, die beruflich wie privat voll im Leben stehen, im gleichen Ausmaß wie bei den großen Wahlerfolgen zuvor anzusprechen.
Spüren Sie den Vertrauensbruch zwischen Bürgern auf der einen und Politik sowie Medien auf der anderen Seite?
Ja, massiv sogar.
Haben Sie auch eine Erklärung dafür?
Ich glaube, es gibt zwei Faktoren. Einer betrifft alle europäischen Länder: Nach dem Ausbruch der Finanzkrise 2008 entstand die Hoffnung auf eine Renaissance der Politik angesichts eines Finanzkapitalismus, der außer Rand und Band geraten war. Nichts wirkt fataler als enttäuschte Hoffnungen. Der zweite spezifisch österreichische Faktor sind die geballten Korruptionsfälle der letzten 10, 15 Jahre, die den Eindruck erwecken, es gehe der Politik nur noch um egoistische Eigeninteressen, aber nicht mehr um das Gemeinwohl.
Kennen Sie ein Gegenrezept?
Hinhören und Zuhören. Das klingt so banal, ist es aber nicht. Deshalb hat sich Eva Glawischnig 2012 sechs Wochen auf Österreich-Tour begeben, deshalb machen wir in allen Bundesländern Hausbesuche, auch dann, wenn kein Wahlkampf bevorsteht. Das wird auch deshalb wichtiger, weil wir immer mehr Menschen über die traditionellen Medien gar nicht mehr erreichen. 75 Prozent der Bürger gehen wählen, aber nur 17 bis 20 Prozent interessieren sich für die innenpolitische Berichterstattung: Wie kommunizieren wir mit diesen 50 Prozent? Darauf müssen wir Antworten finden.
Zur Person
Stefan Wallner
Der 44-jährige Grazer ist seit 2009 Bundesgeschäftsführer der Grünen. Wallner studierte Rechtswissenschaft, Geschichte und Politikwissenschaft in Graz und Wien. Vor seinem Wechsel in die Politik war er Generalsekretär der Caritas.