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Poroschenko will Fluchtkorridore schaffen

Von Gerhard Lechner

Politik

Trotz der Ankündigung einer Waffenruhe sind in der Ostukraine erneut rund 40 Menschen ums Leben gekommen.


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Kiew/Moskau. Trotz der jüngsten Ankündigung einer Waffenruhe durch den neuen ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko sind in der Ostukraine erneut Kämpfe aufgeflammt. In der Nacht auf Dienstag sind laut Angaben der ukrainischen Armee bei Gefechten 40 prorussische Separatisten getötet worden. Ein Militärsprecher sagte, die "Söldner" hätten in der Nacht mehrere Kontrollpunkte nahe dem Flughafen von Kramatorsk angegriffen. Die Rebellen gaben dazu keine Stellungnahme ab. Sie baten allerdings erneut die "Weltgemeinschaft" um einen internationalen Friedenseinsatz. Durch den andauernden Artilleriebeschuss seien viele Zivilisten, darunter auch Kinder, verletzt worden.

Russische Sicherheitsexperten wie etwa der Politologe Fjodor Lukjanow sehen in den jüngsten Angriffen der ukrainischen Armee einen Versuch des Westens, Russland zum Einmarsch in der Ostukraine zu provozieren. Ein solcher Einmarsch würde für Russland aber "viele Probleme vor Ort schaffen", weil die Reaktion der Bevölkerung dort nicht so eindeutig sei wie auf der Krim. Zweitens "würde dies den Weg zur Anwendung des gesamten Spektrums des wirtschaftlichen Drucks" eröffnen, meinte Lukjanow. Im Gegensatz zu radikaleren Kräften wie dem "eurasischen" russischen Geopolitiker Alexander Dugin, der einen Militäreinsatz in der Ostukraine befürwortet, betrachtet Lukjanow einen solchen Einsatz als "kontraproduktiv". Seit dem Wahlsieg Poroschenkos hat die ukrainische Armee ihre Offensive gegen die Separatisten im Osten des Landes verschärft, während Russland ein Ende der Gewalt gefordert hatte.

Frostiges Treffen

Poroschenko hatte zwar am Sonntag eine Waffenruhe für diese Woche angekündigt, aber kein Datum genannt. Der neue Staatschef in Kiew hat allerdings in der Ostukraine die Einrichtung humanitärer Korridore für Zivilisten angeordnet. Um weitere Opfer im "Gebiet des Anti-Terror-Einsatzes zu vermeiden" sei die Regierung aufgefordert worden, die Bedingungen dafür zu schaffen, dass Zivilisten die Region verlassen könnten, teilte Poroschenkos Büro mit. Insbesondere sollten Notunterkünfte und Hilfsstellen eingerichtet werden, damit die Menschen Trinkwasser, Nahrung und Medikamente erhalten.

Russlands Außenminister Sergej Lawrow begrüßte Poroschenkos Pläne: "Ich gehe fest davon aus, dass es kein ausgefuchster militärischer Schritt ist, um den Regierungstruppen freie Hand zu geben", so Lawrow am Dienstag bei einem Treffen mit Deutschlands Außenamtschef Frank-Walter Steinmeier und dem polnischen Außenminister Radoslaw Sikorski in St. Petersburg, das in frostiger Atmosphäre stattfand. Für den Fall, dass die Ukraine auch noch den zweiten, wirtschaftlichen Teil des Assoziierungsabkommens mit der EU unterzeichnet, kündigte Lawrow an, dass Kiew die derzeitigen Handelsvorteile im Rahmen der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) verlieren werde. Zugleich betonte Lawrow, dass eine Waffenruhe Voraussetzung für den Dialog der prorussischen Separatisten mit der ukrainischen Regierung in Kiew sei.

Keine Bewegung im Gasstreit

Die Einrichtung von Fluchtkorridoren wäre für die Bevölkerung der Ostukraine von großer Wichtigkeit: Flüchtende müssen derzeit auf ihrem Weg aus den belagerten und umkämpften Städten und Gebieten an unzähligen Kontrollposten vorbei - sowohl der Separatisten wie der ukrainischen Armee. An den meisten dieser Posten wird Geld verlangt. Nicht jeder kann die benötigte Summe vorweisen. Dennoch sind bereits unzählige Einwohner der Gebiete Donezk und Luhansk geflohen - in andere, sichere Teile der Ukraine, aber auch über die russische Grenze. Moskau hat davon gesprochen, dass tausende Ukrainer bereits um Asyl angesucht hätten.

Während Lawrow, Steinmeier und Sikorski sich in St. Petersburg trafen, wurde am Dienstag in Brüssel um einen Kompromiss im russisch-ukrainischen Gasstreit gerungen. EU-Energiekommissar Günther Oettinger hatte ein Treffen mit dem ukrainischen Energieminister Juri Prodan und seinem russischen Kollegen Alexander Nowak arrangiert. "Leider haben wir keinen Schritt nach vorn gemacht", sagte Prodan nach den fast achtstündigen Gesprächen. Die Ukraine fordere für sich weiter einen Preis von 268,5 US-Dollar (195,64 Euro) je 1000 Kubikmeter Gas. Russland ist bereit, statt der 2009 vertraglich vereinbarten 485 US-Dollar unter Bedingungen einen Rabatt von rund 100 US-Dollar zu gewähren - allerdings nur, wenn Kiew seine angehäuften Schulden bezahlt. Die Verhandlungen gehen derweil weiter.