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Portischs Plädoyer für ein journalistisches Weltkulturerbe

Von Hugo Portisch

Gastkommentare

Der am 1. April verstorbene Hugo Portisch hat mit seinem Freund Heinz Nußbaumer vor Monaten einen Text zur Würdigung der "Wiener Zeitung" verfasst. Beide angesehene Journalisten setzten sich damit dafür ein, das Blatt zum Weltkulturerbe erheben zu wollen.


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Was für ein Kontinuum: Als die "Wiener Zeitung" - am 8. August 1703 - erstmals erschien (damals noch unter dem Namen "Wiennerisches Diarium"), ist die Medienwelt noch ganz am Beginn einer beispiellos revolutionären Entwicklung gestanden: Zunächst noch winzig in Umfang ("im Gebetsbüchelformat") und Stärke, noch ohne Schlagzeilen und Bilder – und nur zweimal wöchentlich in kaum mehr als 1.000 Exemplaren erschienen, so lief sie mit "kaiserlichem Privileg" (einer zunächst immer zeitlich begrenzten Konzession) über die hölzernen Pressen.

Prinz Eugen führte das Habsburgerreich eben durch den Spanischen Erbfolgekrieg, die Lage war also mehr als heikel, und doch versprach die Redaktion schon in der ersten Ausgabe "alles Denkwürdige" zu vermelden: aus Wien, aus dem Reich und "auß der ganzen Welt" – und das von Anfang an "ohne poetische Schminck".

Seither betreibt die ab 1780 zur "Wiener Zeitung" gewandelte, weltweit älteste noch bestehende Tageszeitung über alle Fährnisse einer 316-jährigen Geschichte hinweg einen Journalismus ohne jede Parallele. Als ein Vorbild für Qualität und Verantwortungsbewusstsein – und das unter dem journalistisch keineswegs einfachen Anspruch öffentlich-rechtlicher Objektivität und Ausgewogenheit. Ihre Sonderstellung als Medium im Eigentum der Republik Österreich und der damit verbundene Verzicht auf exponierte politische Positionen hat aber wesentlich zu ihrer besonders eindrucksvollen Konzentration auf eine besonders ausgeprägte Kultur- und Wissenschafts-Berichterstattung beigetragen, die das Blatt bereits seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und bis heute auszeichnet.

Unbestritten ist auch die Bedeutung der "Wiener Zeitung" als bedeutende, ja unersetzliche Quelle für Geschichts- und Medienwissenschaft. Ihr Archiv gilt als ein wahrer Schatz der Zeit- und Zeitungsgeschichte, der nicht nur die Historiker, sondern auch Politologen und Kommunikationswissenschafter und darüber hinaus alle an Zeitgeschichte interessierten Leser zu faszinieren vermag. So hat auch die Unesco die Bestände der "Wiener Zeitung" im Jahr 2016 in ihr "Gedächtnis der Menschheit aufgenommen".

Erwähnung finden sollte unter anderem noch, dass die "Wiener Zeitung" als "Nestor der Tageszeitungen" ihre große Geschichte nie als einen nur "bewahrenden Auftrag" verstanden hat. Weit über ihren Namen hinaus ist sie von einer "wienerischen" und österreichischen Zeitung früher als manch anderes Blatt zu einem sehr "europäischen Blatt" geworden; immer bemüht, den in so vielen anderen Medien unterbelichteten Seiten des Lebens – zuletzt etwa den aktuellen Integrationsthemen – kompetent und mutig Raum zu geben. Sie erfüllt diesen Auftrag sachlich und qualitätvoll – im Wissen um ihre Verantwortung als Chronistin der Zeitgeschichte, die auch noch in Generationen ihren Wert als ein lesenswertes Stück Österreich und Weltgeist wahren möchte.

In einer Zeit, in der Qualitätsmedien weltweit einen Überlebenskampf gegen Banalität und Trivialisierung führen müssen – und ihn zu oft auch verlieren –, ist jede Würdigung und Auszeichnung für diese aus vielen Gründen außergewöhnliche österreichische Zeitung ein wichtiger Beitrag, um das Fortbestehen der "Wiener Zeitung" auch in Zukunft abzusichern.