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Portugal versucht’s auf die griechische Art

Von Christoph Rella

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Cristiano Ronaldo und Co. haben bei dieser EM noch kein einziges Spiel in regulärer Spielzeit gewonnen und stehen dennoch im Halbfinale.


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Als Österreich bei der WM 1998 in Frankreich nach der Gruppenphase ausschied, kursierte der Witz, das Nationalteam habe den Schluss- mit dem Anpfiff verwechselt - und erst nach 90 Minuten erst richtig zu spielen begonnen. Tatsächlich fielen damals alle rot-weiß-roten Treffer ausschließlich in der Nachspielzeit: die Ausgleichstore zum 1:1 jeweils gegen Chile und Kamerun genauso wie der Anschlusstreffer zum 1:2 gegen Italien. Für ein weiteres Tor zum 2:2, das Österreich einen Punkt und damit beinahe das Achtelfinale beschert hätte, blieb leider keine Zeit mehr, wurde gespaßt.

Lachte man damals über Österreich, so sind es nun bei der laufenden Euro 2016 die Portugiesen, die ob ihres offen zur Schau gestellten Minimalismus Spott und Häme über sich ergehen lassen müssen. Noch nie hat bei einem Großereignis wie der EM eine Nationalmannschaft, die in der Gruppen- wie auch in der K.o.-Phase keine einzige Partie in der regulären Spielzeit, also binnen 90 Minuten, gewinnen konnte, den Einzug ins Halbfinale geschafft. Tatsächlich sind die Spielergebnisse, welche Cristiano Ronaldo und Co. in den vergangenen Wochen lieferten, alles andere als europameisterlich, sondern höchstens durchschnittlich. In Zahlen ausgedrückt: 1:1 (Island), 0:0 (Österreich), 3:3 (Ungarn), 0:0 (Kroatien, 1:0 nach Verlängerung) und zuletzt das 1:1 im Spiel gegen Polen, das Portugal am Donnerstag erst im Elferschießen 5:3 für sich entscheiden konnte.

Ist es nun vorstellbar, dass ein Team wie das portugiesische mit solchen minimalistischen Leistungen - noch dazu gegen nicht einmal so starke Gegner - das EM-Finale erreichen könnte? Ja, ist es. Ob das allerdings gut fürs Turnier wäre, steht auf einem anderen Blatt. Schlag nach bei der Euro 2004, als sich etwa Griechenland dank durchgehend knapper 1:0-Siege in der K.o.-Phase erstmals zum Europameister krönte.

Rein rechnerisch ging der Titel in Ordnung, nicht aber spielerisch und viele Beobachter hätten damals den Sieg - welche Ironie - Gastgeber Portugal gegönnt, der nicht nur gut und mit Herz gespielt, sondern auch eine schwierige Ausgangsposition (mit Gegner wie Spanien, England und die Niederlande) vorgefunden hatte. Kleine Europameister, die sich erst durch eine Favoriten-Phalanx kämpfen mussten, werden immer die Sympathien der Masse (wie der Kommentatoren) auf ihrer Seite haben - so wie Dänemark, das bei der EM 1992 erst Frankreich, dann die Niederlande und zuletzt auch Deutschland sensationell schlug und damit ein Fußball-Märchen Realität werden ließ.

Von solch einer Erzählung ist der Stil des portugiesischen Dramas in Frankreich meilenweit entfernt. Womit nur die Hoffnung bleibt, dass dem zerfahrenen und glücklichen Gekicke der Lusitanier im Halbfinale endlich ein Ende gemacht wird. Für eine gelungene Märchenerzählung bieten sich bei dieser Euro ohnehin weitaus bessere Figuren an: Island zum Beispiel, das am Sonntag gegen Frankreich antritt und die Chance hat, als Debütant so tief ins Herz einer EM vorzudringen, wie das in der Geschichte noch nie ein Land geschafft hat - ja, sogar bis in das Finale. Fehlte nur noch, dass der Gegner dort doch Portugal hieße. Dann wäre alles, vom Märchen bis zur Tragödie, angerichtet.