Die regierenden Sozialisten trotzen erfolgreich dem Rechtsruck in Europa. Bei den Parlamentswahlen am Sonntag gelten sie als klare Favoriten. Was ist ihr Erfolgsrezept?
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Nur langsam kommt António Costa voran. Immer wieder nähern sich Menschen, um ihm die Hand zu schüttelt oder ein Selfie mit ihm zu schießen. Portugals sozialistischer Regierungschef ist beliebt. Das merkt man sofort. Vor allem hier in Lissabon. Costa zieht mit einigen Parteigenossen durch die Straßen des Altstadtviertels Chiado. Eine alte Tradition vieler Parteien am letzten Wahlkampftag. Die Menschen klatschen ihm zu. Sie kennen ihn gut. Acht Jahre lang war er Bürgermeister der Hauptstadt. Einer der besten, wie viele versichern.
Costa begrüßt die Menschen, findet Zeit für kurze Gespräche. Er ist nahbar. Der 58-jährige Jurist wirkt an diesem Freitagvormittag entspannt, zufrieden. Er strahlt. Das macht er eigentlich immer. Aber heute besonders. Wahrscheinlich hat er am Morgen die Wochenzeitung "Expresso" mit der letzten Wahlumfrage gelesen.
Mit 38 Prozent dürften Costa und seine Sozialisten (PS) am Sonntag klar die Parlamentswahlen gewinnen. Sie werden 18 Abgeordnete mehr als vor vier Jahren bekommen. Rui Rio, Portugals Oppositionsführer von der konservativ-liberalen PSD, ist weit abgeschlagen. Maximal 28 Prozent der Stimmen darf er erwarten - 16 Sitze weniger als zuvor. Es folgen der Linksblock (BE), der sich bei zehn Prozent hält, die Kommunisten (PSC) mit sieben Prozent und dann erst die Konservativen (CDS) mit fünf Prozent.
Die große Wahlüberraschung dürfte die grüne Tier- und Umweltschutz-Partei PAN werden, die sich mit drei Prozent der Stimmen von einen auf fünf Abgeordnete verbessern könnte und damit zum interessanten Partner für Costa wird. Die Sozialisten wären durch ihren zu erwartenden Stimmenzuwachs für die Fortführung ihrer Minderheitsregierung nun nicht mehr auf BE und Kommunisten angewiesen, sondern bräuchten sich nur noch von einer Parteien unterstützen lassen - zum Beispiel von den weniger konfliktreichen Grünen.
Während sich die Sozialdemokraten fast in allen Ländern Europas auf dem absteigenden Ast befinden, waren die regierenden Sozialisten in Portugal von vornherein absolute Wahlfavoriten. Auch Ana Pulido braucht nicht lange überlegen, wen sie am Sonntag wählt. "Natürlich gebe ich António Costa meine Stimme", sagt die 44 Jahre alte Portugiesin bestimmt und setzt den Blinker, um auf den Rossio-Platz im Zentrum von Lissabon einzubiegen.
Ana ist eigentlich Robotik-Ingenieurin. Doch seit vier Jahren kutschiert sie Touristen im Tuk-Tuk durch die quirlige Hauptstadt Portugals. "Das ist nicht mein Traumjob. Aber zumindest habe ich einen Job. Seitdem die Sozialisten wieder an der Macht sind, herrscht eine ganz andere Stimmung im Land. Wir schauen wieder positiver in die Zukunft", versichert die alleinerziehende Mutter.
Kein Wunder. Bei den vergangenen Wahlen 2015 war die Stimmung am Boden. Das Schuldenland Portugal befand sich mitten in einer für die Bevölkerung harten Sparpolitik. Dennoch gewann 2015 das Mitte-rechts-Bündnis erneut die Wahlen, verlor aber seine absolute Mehrheit. Costa tat etwas, was niemals zuvor ein Sozialist vor ihm gewagt hatte. Er bemühte sich 2015 um eine Parlamentsmehrheit, bildete eine Minderheitsregierung, die sich von Kommunisten und dem trotzkistischen Linksblock stützen ließ, und erklärte die von der internationalen Troika auferlegte Austeritätspolitik der konservativen Vorgängerregierung für beendet.
In Berlin, Paris und Brüssel schlug man die Hände über dem Kopf zusammen.
Erfolgreiche vier Jahre,die alle erstaunt haben
Die konservative Opposition verspottete das neue Links-Bündnis als "Geringonça", als Klapperkiste, die keine zwei Wochen halten würde. Aber aus dem Modell Klapperkiste wurden vier Jahre - und ziemlich erfolgreiche sogar. Costa verringerte die Einkommenssteuer für Geringverdiener, hob den Mindestlohn um 20 Prozent an. Die Kürzungen von Pensionen und Beamtenlöhne der Vorgängerregierung machte er rückgängig. Gleichzeitig führte er die Sparmaßnahmen der Vorgängerregierung und die Restrukturierung der Wirtschaft zumindest in abgeschwächter Form fort.
Der Inlandskonsum zog an, die Exporte ebenfalls. Portugals Wirtschaft wächst. So konnte auch Arbeitslosenquote halbiert werden und befindet sich nur noch bei 6,5 Prozent. Wie Ana Pulido haben in den vergangenen Jahren zigtausende Portugiesen vor allem in der boomenden Tourismusbranche eine Anstellung gefunden. Fast jeder zehnte Portugiese.
"Natürlich ist das nicht alles Costas Verdienst. Den Grundstein für den Schuldenabbau und viele Reformen legte die Vorgängerregierung. Außerdem profitierten die Sozialisten von der allgemeinen Erholung der Weltwirtschaft. Dennoch betreibt Costa eine Wirtschaftspolitik, bei der auch die Bürger deutliche Verbesserungen verspüren. Dadurch wird er die Wahlen gewinnen", ist sich Namensvetter António Costa Pinto sicher. Costa Pinto ist einer der renommiertesten Politologen Portugals und als politischer Analyst in mehreren Fernsehsendern auch der bekannteste.
Dabei spielt die Schwäche der konservativen Gegner eine weitere Rolle. "Seit dem Machtverlust befindet sich die PSD in einer parteiinternen Krise und durch die gute Wirtschaftsentwicklung haben die Konservativen kaum Angriffsmaterial. Zudem zeigten Sozialisten wie die linken und kommunistischen Partner, dass sie politisch sehr verantwortungsvoll handeln und vier Jahre lang eine sehr stabile Regierung bilden konnten. Alles andere als eine als Geringonça", meint der Experte vom renommierten ICS-Institut der Lissaboner Universität.
Nicht einmal mit Migrationsdebatten, bei denen Rechtsparteien in fast allen Ländern Europas Wählerstimmen gewinnen, müssen sie Portugal Sozialisten rumschlagen. "Natürlich gibt es auch hier Rassismus. Doch die Migration ist in Portugal mit sechs Prozent kein Problem. Zumal Portugal Migranten dringend braucht und die meisten Einwanderer stammen aus den ehemaligen afrikanischen Kolonien und Brasilien, die sich auch sprachlich wie kulturell-religiös gut integrieren", versichert Costa Pinto.
Europafeindliche Debatten gibt es in Portugal nicht. "Nicht einmal die neuen Rechtsparteien, die es wohl kaum ins Parlament schaffen werden, wagen es bisher, in einem so EU-freundlichen Land wie Portugal mit Anti-Brüssel-Kampagnen zu werben." So ist Portugal eine der letzten sozialistischen Bastionen Europas ohne rechtsextreme Parteien. Und wer weiß. Vielleicht kann Costas erfolgreiches Experiment mit einer links steuernden Klapperkiste ein Vorbild für die kriselnde Sozialdemokratie in Europa sein?