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Portugals Sozialisten droht Machtverlust

Von Barry Hatton

Europaarchiv

Bei Wahl am Sonntag Kopf-an-Kopf-Rennen zu erwarten. | Lissabon. (ap) Bei der letzten Parlamentswahl in Portugal konnten die Sozialisten mit José Socrates an der Spitze noch triumphieren. Socrates präsentierte sich als Verfechter eines wirtschaftlichen Reformkurses, der das kleine Land auf der iberischen Halbinsel an die Spitze in Europa bringen sollte. Seine Partei gewann damals die absolute Mehrheit im Parlament und Socrates wurde Ministerpräsident. Vier Jahre später haben die Portugiesen genug von den Reformen - bei der Wahl am Sonntag droht den Sozialisten eine Niederlage.


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Meinungsumfragen zufolge zeichnet sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen der Sozialistischen Partei (PS) und der bis vor vier Jahren regierenden konservativen Sozialdemokratischen Partei (PSD) ab. Den beiden großen Parteien werden etwa 30 bis 35 Prozent der Stimmen vorhergesagt. Der Rest entfällt auf drei kleinere Parteien. Sozialisten und Sozialdemokraten sind seit mehr als 20 Jahren die dominierenden Parteien im Parlament in Lissabon.

Hinsichtlich des Wahlausgangs gebe es eine große Unsicherheit, sagt die Politologin Marina Costa Lobo vom Sozialwissenschaftlichen Institut der Universität Lissabon. Viele Wähler, die sich bei der letzten Parlamentswahl noch für Socrates' Versprechen auf einen Wandel erwärmen konnten, haben sich inzwischen enttäuscht von der Regierung abgewandt, weil die Reformen ihnen viele Opfer abverlangt haben.

Besonders die Reformen im öffentlichen Dienst haben Beschäftigte und Gewerkschaften gegen die Regierung aufgebracht. So wurden etwa das Pensionsalter für die öffentlich Bediensteten von 60 auf 65 Jahre heraufgesetzt, Vergünstigungen bei der Gesundheitsfürsorge gestrichen und ein System zur Leistungsbewertung von Lehrern eingeführt. Die Zahl der Beschäftigten im öffentlichen Dienst wurde von mehr als 747.000 vor vier Jahren auf inzwischen 696.000 verringert.

Stammwähler verprellt

Mit den drastischen Reformen haben die Sozialisten vor allem ihre traditionellen Wähler verprellt. Sie habe ihr ganzes Leben die Sozialisten gewählt, sagt die 48-jährige Maria Augusto aus Lissabon, die im öffentlichen Dienst beschäftigt ist. Jetzt aber beabsichtige sie, einer anderen Partei ihre Stimmen zu geben. Die versprochenen Reformen seien ein Fehlschlag gewesen, sagt Augusto. Und Socrates ein Versager.

Vor vier Jahren hatte Socrates die Schaffung von 150.000 neuen Arbeitsplätzen versprochen. Heute gibt es aber nicht weniger, sondern deutlich mehr Arbeitslose in Portugal, Die Arbeitslosenrate ist von damals 7,9 Prozent auf 9,1 Prozent gestiegen. Der Anstieg ist zum Teil eine Folge der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise, die auch Portugal nicht verschont hat. So ist die Wirtschaft des Landes im zweiten Quartal dieses Jahres gegenüber demselben Zeitraum 2008 um 3,7 Prozent geschrumpft.

Die Sozialdemokraten, für die Spitzenkandidatin Manuela Ferreira Leite ins Rennen geht, haben die Reformen der Regierung als Augenwischerei kritisiert. Statt der notwendigen grundlegenden Veränderungen habe sich die Regierung auf kosmetische Veränderungen beschränkt.

Bei der Europawahl vor wenigen Monaten wurde Socrates von den Wählern abgestraft. Seine Partei fuhr mit 26,6 Prozent ihr schlechtestes Wahlergebnis seit 20 Jahren ein. Die PSD kam auf 31,7 Prozent. Von der Unzufriedenheit der traditionellen sozialistischen Wähler könnte der kleine Block der Linken profitieren, der etwa höhere Unternehmenssteuern fordert, um die Sozialausgaben zur finanzieren. Umfragen zufolge könnte die Partei ihre Parlamentssitze in etwa verdoppeln. Dies ließe bei einem knappen Ausgang die Tür offen für eine Koalition der PS mit dem Block der Linken.